Sommer zuhause: Unsere Tipps für genug Lese- und Hörmaterial.

Nach dem Kita-Wahnsinn und der Zoom-Monotonie der letzten Monate sind die Allermeisten reif für eine kleine Auszeit – auch wenn es vielleicht keine Weltreise mehr wird in diesem Jahr. Für alle, die noch nach Inspiration für ihre Leseliste oder ihren Podcast-Feed suchen, hat die Gründerszene-Redaktion ihre persönlichen Highlights zusammengestellt. Mit dabei: Intrigen im Silicon Valley, große Fragen der Menschheit – und die Tücken des Milchabpumpens.

Code kaputt (Anna Wiener)

Verlag: Droemer Knaur, erscheint in Deutschland am 20. August 2020

Bericht. Mit Mitte 20 zieht Anna Wiener von New York nach Silicon Valley, um dort in verschiedenen Tech-Startups zu arbeiten. Wiener, eigentlich ein Büchernerd, versucht, sich im Silicon Valley einzufügen – ganz gelingt es ihr nie. Über ihre Zeit dort hat sie ein Buch geschrieben, das nun auch auf Deutsch erschienen ist, unter dem etwas seltsamen Namen „Code kaputt“. Sie berichtet darin von CEOs, die eigentlich noch halbwüchsige Jungs sind und mit all dem Geld und der ihnen verliehenen Macht schlecht umgehen können, von ethisch fragwürdigen Tech-Produkten – und von dem Sexismus in der Startupszene. Diese Geschichten über das Valley sind nicht neu, doch Wieners Geschichte berührt, gerade weil sie es ihr nicht um die nächste große Enthüllung zu gehen scheint. (Sarah Heuberger)

Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung (Zhao Tingyang)

Verlag: Suhrkamp

Sachbuch.Neue Weltordnung gefällig? Wenn es nach dem chinesischen Philosophen Zhao geht, ist die Zeit dafür reif. Um das zu realisieren, muss sowohl mit der US-amerikanischen Dominanz gebrochen, als auch der individuellen Freiheit ein Ende gesetzt werden. So seine beiden zentralen Forderungen. Zhaos Buch ist ein Frontalangriff auf unser Lebensmodell – und zwar mit sehr plausiblen Argumenten. Er kritisiert eine Politik und Wirtschaft, die bloß auf Eigennutz und Wettbewerb ausgerichtet ist. Als Gegenvorschlag präsentiert er eine Weltordnung, die auf Kooperation basiert und das Weltgeschehen als Ganzes in den Blick nimmt. Wer wissen will, was mit der chinesischen Expansion vielleicht auf uns zukommt, sollte sich dieses vieldiskutierte Buch mal genauer ansehen. Eine Philosophie, die ohne komplizierte Sätze und Begriffe auskommt. Für mich die spannendste außereuropäische Neuerscheinung in diesem Jahr. (Marco Weimer)

Rückkehr nach Reims (Didier Eribon)

Verlag: Suhrkamp

Roman. Didier Eribon stammt aus einer französischen Arbeiterfamilie. Als Jugendlicher geht er nach Paris, um sich als homosexueller Mann aus der sozialen Schicht seiner Umgebung zu befreien. Er kehrt erst wieder an den Ort seiner Kindheit zurück, nachdem sein Vater gestorben ist. Anhand von Gesprächen mit seiner Mutter und eigenen Beobachtungen setzt er sich mit seiner Herkunft auseinander und versucht gleichzeitig zu erklären, warum vormals linke Wähler, die früher die kommunistische Partei gewählt haben, plötzliche rechte Parteien wie den Front National wählen. Rückkehr nach Reims ist ein autobiografischer Roman und eine soziologische Studie gleichermaßen. Und angesichts des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien in vielen Ländern Europas auch knapp elf Jahre nach seiner Veröffentlichung in Frankreich aktueller denn je. (Steve Haak)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (Yuval Noah Harari)

Verlag: Pantheon Verlag

Sachbuch. Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um das große Ganze zu verstehen. Harari geht eine ganze Menge Schritte zurück. So, dass er die letzten hunderttausend Jahre überblickt. Ist das denn noch relevant? Harari legt in seinem Buch schlüssig dar, warum dieser Draufblick heute relevanter ist denn je. Der Homo Sapiens, Herr des Planeten und Schrecken des Ökosystems, steht evolutionär am Ende, sagt Harari. Zumindest: Er muss sich jetzt entscheiden, wer er in Zukunft sein möchte. Wer sein ebenfalls empfehlenswertes Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ schon gelesen hat, bekommt hier noch mehr Zusammenhänge erklärt. (Alex Hofmann)

Foundering (Bloomberg Technology)

Podcast. Der Wework-Skandal ist mittlerweile hundertfach in allen Facetten erzählt. Wer trotzdem – wie ich – immer noch nicht genug bekommen kann von der Geschichte des exzentrischen Gründers Adam Neumann und seines fast noch exzentrischeren Geldgebers, Softbank-Boss Masayoshi Son, sollte diesen Podcast hören. Die Bloomberg-Reporterinnen Ellen Huet und Shawn Wen rollen den Fall noch einmal ganz von vorn auf, schauen tief in die Archive und reden mit Betroffenen, die bislang nicht zu Wort kamen. „Re-Reporting“ nennen sie das. „Foundering“ ist ein Lehrstück über den Größenwahn von (vermeintlichen) Tech-Unternehmern, und eine Geschichte ihrer Opfer, die trotz bekanntem Ausgang nie langweilig wird. (Timo Brücken)

Lest auch

Überflieger: Warum manche Menschen erfolgreich sind – und andere nicht (Malcolm Gladwell)

Verlag: Campus Verlag

Sachbuch. Dem Titel nach könnte „Überflieger“ auch ein typisches Selbstoptimierungsbuch aus der Business-Ecke in Buchhandlungsketten sein. Ist es aber nicht. Der Historiker Malcolm Gladwell (auch sehr zu empfehlen: sein Podcast „Revisionist History”) zeigt in „Überflieger“, was es mit dem Geniekult eigentlich auf sich hat. Begabung, Fleiß und Ehrgeiz – das sind die Eigenschaften, die bekanntermaßen mit Erfolg assoziiert werden. Das dazu noch viel mehr gehört – zum Beispiel, ob man als Spitzensportler im Januar oder im Dezember geboren ist, wird nach der Lektüre von Gladwells Buch deutlich. (Sarah Heuberger)

Zero (Marc Elsberg)

Verlag: Blanvalet

Roman. Der Thriller ist zwar schon sechs Jahre alt, aber das Thema noch immer aktuell: Ein soziales Netzwerk überwacht sämtliche Aktivitäten seiner Nutzer. Und die geben freiwillig Daten über sich preis, um Prämienpunkte zu sammeln. Standort, Schlafrhythmus und Shopping-Aktivitäten gegen eine neue Uhr zum Beispiel. Gleichzeitig liefert die App Empfehlungen, wie die Nutzer schlanker, hübscher und erfolgreicher werden können. Bis jemand stirbt. Dieses soziale Netzwerk und die Welt, in der die Figuren leben, sind so unheimlich wie realitätsnah zugleich. Empfohlen für Leute, die den letzten Anstoß brauchen, um sich endlich von Facebook abzumelden. (Lisa Ksienrzyk)

Bad Blood: Secrets and Lies in a Silicon Valley Startup (John Carreyrou)

Verlag: Alfred A. Knopf

Sachbuch. Das Buch zum mutmaßlich größten Betrugsskandal im Silicon Valley: Als der Wall-Street-Journal-Reporter John Carreyrou am 16. Oktober 2014 einen Artikel online stellt, bringt er den weiblichen Steve Jobs um ihr Milliardenvermögen. Die Rede ist von Elizabeth Holmes, Gründerin von Theranos. Mit ihrem Startup wollte die Studentin die Medizin revolutionieren. Ein einziger Tropfen Blut sollte reichen, um Krankheiten zu erkennen und Therapien zu steuern. Hunderte Millionen US-Dollar steckten Investoren in die Idee. Nur: Holmes’ schicke Messapparate haben nie funktioniert. Zehn Jahre lang hat die Gründerin ihre Investoren, Händler und Mitarbeiter mit teils perfiden Tricks getäuscht. Pulitzer-Preisträger John Carreyrou gewährt in seinem Buch packende Einblicke in die Recherche seines Lebens. Ein Pageturner auch für Nicht-Techies! (Daniel Hüfner)

How Not To Die (Michael Greger)

Verlag: Unimedica

Sachbuch. Es ist nicht wichtig, was du in den vergangenen 30 Jahre gegessen hast. Es ist wichtig, was du in den nächsten 50, 60 oder 70 Jahre essen willst. Diese Erkenntnis aus dem Buch des US-Ernährungswissenschaftlers Michael Greger hat mich dazu gebracht, innerhalb weniger Wochen auf eine vollwertig pflanzliche Ernährung umzusteigen. Zuvor habe ich mich 30 Jahre lang teils sehr extrem von Fleisch-, Zucker- und Milchprodukten ernährt – zu Lasten meiner Gesundheit, wie ich leider erst rückblickend festgestellt habe. In „How Not To Die“ analysiert Greger die häufigsten 15 Todesursachen der westlichen Welt, zu denen zum Beispiel Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes, Bluthochdruck und Parkinson zählen, und erläutert auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, wie diese mithilfe einer pflanzlichen Ernährungsweise verhindert, in ihrer Entstehung aufgehalten oder sogar rückgängig gemacht werden können. Ganz ohne missionarischem Vokabular oder Klischees über Veganer. (Daniel Hüfner)

Harald Lesch: Universum für Neugierige: Vom Urknall bis heute

Verlag: Komplett-Media

Sachbuch. Was war vor dem Urknall? Was sind Quanten? Ist die Relativitätstheorie real? Und wie beeinflusst uns das alles? Wer bei diesen Fragen nicht einschläft, sollte das Werk von Harald Lesch lesen, dem wohl bekanntesten Physiker Deutschlands. Lesch ist Professor und nicht zufällig inzwischen auch eine Youtube-Ikone. Denn er versteht es, komplizierte Dinge einfach zu erklären. So auch in diesem Buch. Wer sich in diesem großem Universum mal ganz klein machen und zurücknehmen will oder einfach Lust auf gute Wissenschaftslektüre hat, kann bedenkenlos zuschlagen. (Georg Räth)

Working Moms (Netflix)

Serie. Die Serie Working Moms zählt eher zur entspannten Abendunterhaltung als zur intensiven wirtschaftswissenschaftlichen Weiterbildung. Dennoch empfehle ich die kanadische Sitcom uneingeschränkt weiter. Es geht, wie es der Titel vermuten lässt, um vier arbeitende Mütter. Ihre Babys sind erst wenige Monate alt, doch die Frauen starten bereits wieder als selbstständige Psychologin, aufstrebende PR-Beraterin, IT-Fachfrau oder Immobilienmaklerin ins Berufsleben. Zuhause oder im Teilzeitjob bleiben ihre Partner*innen – oder die Nanny. Allein für diese emanzipierte Ausgangslage verdient es Working Moms, angeschaut zu werden. Ehrlich, komisch (und, passend zum Genre, hier und da übertrieben) behandelt die Serie Themen, die karriereinteressierte Frauen (und Männer) 2020 interessieren: den Umgang mit chauvinistischen Chefs; die Hürden einer Mutter, die Karriere in der Männerdomäne „Beratung“ machen will; die Tücken des Milchabpumpens im Büro; die herausfordernde Startup-Gründung mit Baby oder das Zusammenleben mit einem Partner, der die beruflichen Erfolge seiner Frau nicht gutheißt. Immer wieder geht es auch darum, wie die Protagonistinnen die schwierige Balance zwischen Beruf, Partner*in, Kind und Freundschaften finden. Das gelingt mal gut, mal gar nicht – wie im echten Leben also. Working Moms zeigt: Kind und Karriere, das kann klappen. Auch wenn es alles andere als leicht ist. (Pauline Schnor)

Bild: Getty Images/ Maskot