Es ist zum Verzweifeln. Kann man eigentlich Kommentare zum Thema „Facebook-Skandal“ ernst nehmen, in denen zu Tode gerittenen Termini wie „Datenkrake“, „asoziales Netzwerk“, „Daten sind das Öl der Zukunft“, „Big Brother“ oder „selbstverliebten Nutzern, die ihr Essen posten“ die Rede ist. Diese inzwischen ranzig gewordenen Formulierungen sagen mehr über die Verfasser der Texte als über den Gegenstand ihrer Berichterstattung. Gnade! Aufhören!

Aus den meisten Kommentaren spricht die heimliche Verzweiflung darüber, dass es Facebook überhaupt gibt. Sie wollen ihre alte Welt zurück. Ohne diesen ganzen Internetkram. Ohne die Gefahr für ihre „Privatsphäre“, die jetzt irgendwie abhanden gekommen sein soll. Das waren noch Zeiten. Doch die meisten Argumente sind hohl, stimmen einfach nicht und werden trotzdem immer weiter verbreitet.

Zum Beispiel wird einer zwielichtigen Firma wie Cambridge Analytica zugetraut, dass sie in der Lage sei, die US-Wahl zu entscheiden. Da wird von Manipulation und punktgenauer Beeinflussung durch Postings schwadroniert, die noch kein Mensch gesehen hat. Wie sieht denn so ein Posting aus, dass Leute dazu gebracht haben soll, einen trotzigen Kindskopf wie Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt zu machen? Man weiß es nicht genau. Auch über die Auswirkungen solcher Postings ist nichts genaues bekannt. Aber es ist bestimmt alles ganz schlimm, oder?

Wer sich davon manipulieren lässt, hat nicht alle Tassen im Schrank

Ich habe mir die Mühe gemacht, nach solchen Postings zu suchen. Und es ist mir nach langer Fahndungsarbeit mit Hilfe meiner Facebook-Freunde tatsächlich gelungen, ein paar davon aufzutreiben. Im optischen und inhaltlichen Stil von „National Enquirier“ wird Hillary Clinton fiesester Untaten beschuldigt. Wenn es tatsächlich Leute geben sollte, die sich von diesem Quatsch vom Absender „Defeat Crooked Hillary“ manipulieren lassen, dann sind sie schon längst jenseits von Gut und Böse. 

Cambridge Analytica spinnt weiter selbstgefällig am eigenen Mythos. Klar. Damit kann man durchaus gute Geschäfte machen. Wie die Firma wirklich ihre Geschäfte betreibt, konnte man in einem heimlich aufgenommenen Video betrachten, in dem der inzwischen entlassene Geschäftsführer bei einem Kundengespräch gefilmt wurde. Er bietet im Verlauf dieses Gesprächs an, den Gegner des Kunden mit Hilfe einer gut aussehenden weiblichen Agentin in eine kompromittierende Lage zu bringen und dabei zu filmen. Mehr Oldschool geht ja wohl nicht. Ach, falsche Personalausweise kommen natürlich auch vor. Filmen beim Sex mit einer Prostituierten. Angeboten vom Chef des ganzen Ladens. Ach ja, „Mikrotargeting“ mit personalisiert ausgespielten Fakenews in asozialen Netzwerken soll auch im Angebot sein.

Trotzdem trifft Facebook die Wucht dieses „Skandals“ und muss sich jetzt für diese moderne Legende und für Trump entschuldigen. Um es klar zu sagen: Der Weitergabe von Daten an Dritte haben die Nutzer nicht nur in diesem Fall selber zugestimmt. Wenn das nicht so sein sollte, darf es auch nicht passieren. Dann muss sich Facebook dringend darum kümmern. Aber hier gibt es kein Datenleck. Schaut am besten mal eure Einstellungen im Smartphone durch. Da gibt es bestimmt noch andere Apps, denen ihr erlaubt habt, eure Daten auszulesen. Wie war das gleich mit diesen Foto-Apps, deren Server in Russland stehen?

Jetzt muss auch Mark Zuckerberg emotional reagieren 

Klar ist, dass Werbung in der Lage ist, uns alle zu manipulieren. Menschen werden übrigens den ganzen Tag manipuliert. Von Freunden, Medien, Filmen, Eltern und Lehrern. Das nennt man Leben. Doch das verheerende Ausmaß der Folgen, das der Weitergabe von Daten zugetraut wird, lässt sich nur dadurch erklären, dass die „schöne, neue Wasauchimmer-Welt“ immer noch ein steter Quell dystopischer Alpträume über Kontrollverlust und fadenscheinigster Kommentare ist. Besonders wenn man sich vor allem emotional und nicht rational mit dem Thema beschäftigt.

Wo derartig viele Emotionen im Spiel sind, kann auch Facebook nicht mehr rational argumentieren. Man hat sich deshalb irgendwann entschieden, sich zu entschuldigen. Mark Zuckerberg ist ja nicht für emphatische Höchstleistungen bekannt. Doch auch der kühle Rationalist muss sich in Krisenzeiten für seine Firma auf eine emotionale Ebene begeben, wenn Argumente nicht mehr in der Lage sind, Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Sorry. Wir werden uns bessern, sagt er. Ok, davon gehen wir dann mal aus.

Für alle Dauerempörten kommt hier noch ein kleiner Funfact am Rande zur weiteren Empörung: Facebook verkauft keine Daten. Das wäre sogar schädlich für das Netzwerk. Denn mit unseren Daten, die er exklusiv besitzt, verkauft Zuckerberg zielgerichtete Werbung. Das ist sein Geschäft. Nein. Kein Datenverkauf. Das hält die Ahnunglosen nicht davon ab zu fordern, dass das Netzwerk unseren Nachrichtenstrom sauber halten soll. Fakenews raus. Manipulation raus. Echte Nachrichten rein. Hass raus. Liebe rein. Wirklich? Facebook soll für uns entscheiden, was Hass und was Liebe ist? Das funktioniert ja schon bei Nacktfotos nicht. Aber ausgerechnet bei Politik soll es gelingen? Schlechte Nachrichten, Leute. Das müssen wir leider selber machen. 

Verachtung von Menschen, die sich frei austauschen wollen

Netzwerkeffekte sind oft beschrieben worden. Wenn wir uns Phänomene wie Blockchain anschauen, dann bekommt man ein Gefühl dafür, was sie bedeuten. Das Internet löst Knoten der Machtkonzentration auf, es entwickeln sich Plattformen und Netzwerke. Wir erleben gerade, dass sie ab einer gewissen Größe nicht mehr steuern können, was auf ihnen passiert. Ein Teil dieser Steuerungs-Verantwortung geht auf den einzelnen Nutzer über. 

Ihm Fall von Facebook erleben wir täglich, wie jeder Nutzer in der Lage ist, Artikel oder Nachrichten zu verfassen und zu vervielfältigen. Durch ein einfaches Like kann ein Diskurs entstehen. Durch einen Kommentar eine weit verzweigte Diskussion über ein Thema. Jeder Nutzer hat die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Diskussionen nicht aus dem Ruder laufen, dass Fakenews nicht einfach geglaubt wird. Wollen wir diese neue Freiheit und Verantwortung zurück an Facebook delegieren? Wollen wir, dass Facebook oder eine andere private oder staatliche Institution am Ende bestimmt, welchen Diskurs wir in Zukunft auf der Plattform führen oder nicht führen?

Ralph Sina vom WDR bringt in seinem Kommentar zum „Facebook-Skandal“ den Subtext vieler ähnlich gelagerter Kommentare zum Vorschein: „Rund 1,4 Milliarden tägliche Facebook-Nutzer liefern sich weiterhin bereitwillig der Datenkrake aus.“ Abgesehen vom bis zur Bedeutungslosigkeit ausgelatschten Schlagwort „Datenkrake“, für dessen journalistische Verwendung irgendwo ein niedlicher Hase sterben muss – es geht gar nicht so sehr um die Fehler des Netzwerkes oder von Mark Zuckerberg. Es geht häufig schlicht und einfach um die Verachtung der Menschen, die sich frei und unabhängig auf Facebook und anderen Orten im Netz austauschen wollen.

Bevor die nächsten skandalösen Vorgänge über uns hereinbrechen, hören wir Musik von den wundervollen Sunflower Bean.