Facebooks Cheflobbyist Nick Clegg beim Digitalkongress DLD in München

Das weltgrößte soziale Netzwerk Facebook will bei den kommenden US-Präsidentschaftswahlen die Verbreitung von manipulierten Informationen verhindern. Seit den US-Wahlen 2016, bei denen es nachweislich massive Versuche gab, die Wahl über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu steuern, habe Facebook bei rund 50 politischen Wahlen auf der ganzen Welt Desinformationskampagnen gefunden und vom Netzwerk entfernt.

„Wir werden bei den amerikanischen Wahlen viel besser sein als vor vier Jahren“, versprach Facebooks Cheflobbyist Nick Clegg beim Digitalkongress DLD in München.

Doch Facebook werde das Schalten politischer Anzeigen auf dem Netzwerk nicht verbieten, machte Clegg auch klar. Twitter hatte sich im vergangenen Jahr dazu entschlossen. Der Brite Clegg, ein ehemaliger Politiker und stellvertretender Premierminister, betonte, dass es nicht einem Unternehmen wie Facebook selbst überlassen werden sollte, wie es etwa mit politischen Anzeigen umgehen sollte.

Das sei Aufgabe von Gesetzgebern und Regulatoren. Facebook habe dennoch gehandelt und seit den US-Wahlen Ende 2016 das „weltweit fortschrittlichste System aufgebaut, um politische Anzeigen transparent zu machen“.

„Mehr in Transparenz investiert als Twitter und Google“

In einer Datenbank werden seit einer Weile Informationen über bei Facebook geschaltete politische Werbeanzeigen angelegt, die öffentlich zugänglich ist. „Facebook hat in diese Transparenz viel mehr investiert als Twitter und Google“, sagte Clegg mit einem Verweis auf Mitbewerber – alle drei Unternehmen verdienen ihr Geld mit dem Verkauf von digitalen Werbeanzeigen.

Facebook könne jedoch nicht leisten, den Inhalt von geschalteten politischen Werbeanzeigen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen – keine Plattform könne das, und es sei auch nicht ihre Aufgabe, das zu tun, so Clegg.

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Doch welche Verantwortung hat Facebook gegenüber seinen Nutzern? Reicht es, sich auf die Gesetzeslage zurück zu ziehen – oder müsste Unternehmensgründer Mark Zuckerberg viel mehr tun? Clegg redete versiert um die Fragen von RTL-Chefredakteurin Tanit Koch herum. Doch die Konferenz-Organisatoren erlauben auch Fragen aus dem Publikum – und dort saßen prominente Kritiker des Konzerns.

Cambridge-Analytica-Whistleblowerin Brittany Kaiser fragte Clegg nach der Praxis des Konzerns, Politikern unwahre Statements unkritisiert und unmarkiert durchgehen lassen zu wollen: „Warum nennt Facebook die Moderation politischer Inhalte Zensur? Das Recht auf freie Meinungsäußerung endet, wo Menschenrechte betroffen sind.“

„Ich bin mir sicher, ihr könntet das besser“

Cleggs Antwort: „Gesetz ist Gesetz – und das deckt in den meisten Staaten Beleidigungen nicht ab. Wir prüfen unsere Gemeinschaftsstandards regelmäßig.“ Kaisers Antwort darauf: „Ich bin mir sicher, ihr könntet das besser.“

Dann stellte sich ein fülliger Mann in legerer Kleidung ans Mikrofon. Die Moderatorin wollte ihn schon wegwinken, das Zeitlimit war erreicht. Doch Konferenz-Chefin Steffi Czerny erkannte die Chance, schob den Mann zurück zum Mikrofon: „Hi, ich bin Werner und arbeite für, so nennen es manche, einen Buchladen.“

Der da fragte, war Werner Vogels, Technikvorstand von Amazon – und wie sein Konzernchef Jeff Bezos ein Kritiker der Nutzerdaten-getriebenen Werbe-Ökonomie des Silicon Valley: „Wenn du nicht für das Produkt bezahlen musst, bist du das Produkt. 95 Prozent Ihrer Nutzer verstehen nicht, dass sie das Produkt sind. Was wollen Sie tun, um das zu ändern?“

Die meisten Facebook-Nutzer würden nicht realisieren, was Facebook über sie wisse, sagte Vogels. Facebook würde sie bewusst über den ökonomischen Wert ihrer persönlichen Daten im Unklaren lassen.

Cleggs Antwort fiel defensiv aus: Eine Firma wie Facebook habe eben nur zwei Möglichkeiten. Entweder man stelle seine Dienste umsonst für jeden Nutzer auf dem Planeten bereit und nutze Daten für gezielte Werbung – oder man nehme eine Nutzungsgebühr, dann aber würde man Milliarden Nutzer in Entwicklungsländern ausschließen. Immerhin gab der Cheflobbyist seinen Diskussionsgegnern dann aber recht. „Ich stimme mit Ihrer impliziten Forderung überein: Wir müssen mehr tun, um diese Beziehung für die Nutzer transparent zu machen.“

Auf der Konferenz des Medienunternehmens Burda, die jährlich direkt vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos stattfindet, sprachen vor Clegg auch eine Reihe weiterer Kritiker des sozialen Netzwerks. Die philippinische Journalistin Maria Ressa, 2018 vom „Time“-Magazin zu einer „Person des Jahres“ ernannt, sagte, das soziale Netzwerk vergifte das System der Informationsverbreitung.

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Einen eindringlichen Appell richtete auch der ehemalige Investor Roger McNamee an die Teilnehmer, für den er wie Ressa stehende Ovationen bekam. „Technologie ist zu wichtig, um sie den Leuten zu überlassen, die sie heute kontrollieren“, sagte der Amerikaner.

McNamee, einer der führenden Investoren im Silicon Valley und auch früher Facebook-Geldgeber, beriet Mark Zuckerberg und hat sich nun zu einem der schärfsten Kritiker des Netzwerks gewandelt. Wenn es den Plattformen weiter um maximale Reichweite und Effizienz gehe, würden sie damit die Demokratie bedrohen und letztlich verdrängen.

„Mit Facebook ist etwas schrecklich falsch gelaufen“

„Mit Facebook ist etwas schrecklich falsch gelaufen“, sagte McNamee. Die Firma sei nun Teil des digitalen Überwachungskapitalismus, der Daten von Nutzern abschöpft und zur Profitmaximierung einsetzt. Es sei nun die Aufgabe Europas, die Privatsphäre zu schützen und so den Aufbau neuer Geschäftsmodelle zu ermöglichen.

McNamee gehört zu der wachsenden Gruppe von Technologiekritikern, die vorschlagen, dass alle Daten von Nutzern, die diese auf Apps und Plattformen hinterlassen, ihr persönliches Eigentum bleiben, also ohne ihre Zustimmung nicht von Unternehmen genutzt werden dürfen.

Eine weitere Forderung: Die von Algorithmen geförderte und verstärkte Verbreitung von manipulierten oder hasserfüllten Botschaften, die auf die Spaltung der Gesellschaft abzielen, müsse unterbunden werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Picture Alliance for DLD / Hubert Burda Media