Die Proteste gegen das Antipiraterieabkommen ACTA reißen nicht ab, nun reagiert auch die EU-Kommission auf die Kritik von hunderttausenden Gegenern. Das ACTA-Abkommen wird juristisch geprüft. Wie eine kleine Besänftigungstaktik wirkt die Prüfung –  immer mehr Stimmen werden laut, die bestärken, dass der Europäische Gerichtshof ACTA kippen sollte. Kritiker sehen nach dem Abkommen eine weitere EU-Richtlinie lauern, die die Netzgemeinde fürchten wird. IPRED (Intellectual Property Rights Enforcement Directive) könnte auf ACTA folgen.

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Prüfung von ACTA als Besänftigungsmanöver?

Die Proteste begannen im Kleinen. Erst machte Polen gegen den umstrittenen ACTA-Vertrag mobil, weitere Länder folgten. Auch die Bundesregierung setzte die Ratifizierung des Abkommens aus. Nun lässt die EU-Kommission das Abkommen prüfen. Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben bei internationalen Abkommen Mitspracherecht und kritisieren seit Monaten das Vorgehen der EU-Kommission. EU-Handelskommissar Karel De Gucht verteidigte das Abkommen erneut. ACTA werde helfen, Arbeitsplätze zu schützen. „ACTA wird keine Webseiten schließen und auch nicht die Rede- oder Internetfreiheit einschränken“, betonte der Kommissar.

Dass die juristische Überprüfung von ACTA eher ein Besänftigungsmanöver ist, wird in den Aussagen von De Gucht mehr als deutlich: „Geistiges Eigentum ist Europas Rohstoff. Aber das Problem ist, dass wir es außerhalb der Europäischen Union kaum schützen können.“ ACTA werde dies ändern, „es schützt Jobs, die derzeit verloren gehen, weil gefälschte und raubkopierte Waren im Wert von 200 Milliarden Euro auf den Weltmärkten im Umlauf sind.“ ACTA bedeute keine Zensur von Webseiten und untergrabe auch nicht die freie Meinungsäußerung.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lobt den Entschluss der EU-Kommission am Mittwoch, das Abkommen vom Europäischen Gerichtshof prüfen zu lassen. Das sei „eine kluge Entscheidung“, sagte die FDP-Politikerin. „Der EuGH wird gewissenhaft prüfen, ob ACTA mit den europäischen Grundrechten vereinbar ist.“ Die Ministerin will die deutsche Ratifizierung so lange aussetzen, bis das EU-Parlament entschieden hat – also frühestens im Sommer.

ACTA könnte das Internet fesseln

ACTA – so betonen Kritiker immer wieder – könnte das Internet fesseln. Internet-Anbieter befürchten, dass sie durch ACTA zur Überwachung ihrer Netze gezwungen werden könnten. Mit dem internationalen Handelsabkommen wollen die großen Industriestaaten den Schutz geistigen Eigentums sicherstellen und ihre Standards weltweit verbindlich machen. Dazu gehören Regelungen, nach denen das Fälschen von Markenware unter Strafe steht und Urheberrechtsverletzungen im Internet verfolgt werden sollen. Die geheimen Verhandlungen laufen bereits seit 2008. Die teilnehmenden Parteien sind die Schweiz, die USA, die EU, Kanada, Japan, Korea, Singapur, Australien, Neuseeland, Mexiko, Jordanien, Marokko und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Kritiker fürchten, mit ACTA werde die Freiheit im Internet zugunsten der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen eingeschränkt. ACTA sieht unter anderem vor, dass Internet-Anbieter für Urheberrechtsverletzungen von Kunden haftbar gemacht werden können. Zum einen sei zu befürchten, dass Druck auf Internetanbieter ausgeübt wird, Urheberrechtsverletzungen zu verfolgen oder allenfalls dafür zu haften. Das würde eine flächendeckende Überwachung und Zensurmaßnahmen durch die Provider erzwingen. Darüber hinaus würden die Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung von möglichen Urheberrechtsverletzungen, zum Beispiel bei Tauschbörsen, zur Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen der Industrie zur Seite gestellt und somit tausende Bürger kriminalisiert werden. Das Abkommen wird deshalb häufig als “großer Bruder” der US-Gesetzesvorlage SOPA bezeichnet.

Bereitet ACTA den Weg für IPRED?

Heribert Prantl kommentiert in der Süddeutschen Zeitung, „Warum der Europäische Gerichtshof ACTA stoppen muss“:

„ACTA ist zwar ein eher unspektakulärer Vertrag, mit vielen verwaschenen Formulierungen und ohne die Schrecknisse, die von Kritikern behauptet werden. (…) Bemerkenswert ist allerdings, was in ACTA fehlt: Es fehlen angemessene Rechtsschutzmöglichkeiten für die Beklagten. Und noch sehr viel bemerkenswerter ist, was noch so alles in Vorbereitung ist: Hinter ACTA lauert IPRED (Intellectual Property Rights Enforcement Directive), die EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern. Darin sollen die stumpfen Formulierungen des Acta-Abkommens scharf geschliffen werden. Dort wird wahr, was die Netzgemeinde fürchtet. ACTA ist also nur die Lokomotive, die die Waggons mit dem Gefahrgut ziehen soll. Die EU-Kommission will sich vom EU-Gerichtshof eine TÜV-Plakette für die Lok und grünes Licht für den gesamten Zug geben lasen. Es wäre fatal, wenn das so funktionieren würde.“

Zu den Plänen der EU-Kommission, das ACTA-Abkommen dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, erklärt Markus Beckedahl, Vorsitzender des Digitale Gesellschaft e.V.:

„Die Kommission spielt offensichtlich auf Zeit: sie hofft, dass die Proteste gegen das Abkommen nach einem langen EuGH-Verfahren vergessen sind und die Nutzer nicht mehr auf die Straße gehen. Dass es ihr um das Inhaltliche geht, glaubt ihr niemand mehr – sie hätte das Verfahren sonst schon längst anstregen können. Doch bereits im Laufe dieses Jahres kommt ACTAs kleiner Bruder auf den Tisch: Die Überarbeitung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum (IPRED). Wie aus der Kommission zu hören ist, wird die Überarbeitung weitere Verschärfungen bei der Rechtsverfolgung von Urheberrechtsverstößen mit sich bringen. Wer glaubt, dass mit dem ACTA-Prüfverfahren vor dem EuGH die Nutzer schon befriedigt wären, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Nicht nur die Durchsetzung, sondern auch das Urheberrecht selbst gehört auf den Prüfstand. Es ist mit der heutigen Realität so nicht mehr vereinbar und muss endlich zu einem Kreativnutzerrecht werden, einem Recht, das Kreative und Nutzer gleichermaßen schützt. Auch mit IPRED soll eine Kooperation zwischen Rechteinhabern und Internet-Service-Providern gefördert werden, wie sie ACTA ebenfalls vorsieht. Diese Privatisierung der Rechtsdurchsetzung kann zu Netzsperren, Internetzugangs-Sperrungen und einer Echtzeitüberwachung des Datenverkehrs führen, wie man in anderen EU-Staaten bereits sehen kann. Die Internetdienstleister haben weder für Datenverkehrsüberwachung noch in der Rechtsverfolgung eine aktive Rolle einzunehmen.“

Auch für das kommende Wochenende haben Aktivisten in ganz Europa wieder zu Protesten gegen ACTA aufgerufen. Eine Liste aller Demonstrationen ist hier einsehbar.

Bild: Flickr / Dara Robinson