In kaum einem Internet-Segment wird anscheinend mit so harten Bandagen gekämpft, wie bei den Lieferdienst-Vermittlern: Nachdem Pizza.de und Lieferheld bereits mehrfach juristische Auseinandersetzungen führten, geraten sich nun auch Lieferando und Lieferheld ins Gehege. Nachdem Lieferando in der Vergangenheit durch eine Server-Attacke zeitweise vom Netz genommen wurde, kam es aufgrund entsprechender Verdächtigungen zu einer Razzia bei Lieferheld.

Lieferheld Razzia

Computersabotage durch Lieferheld?

Computerattacken (DDOS-Attacken) auf die Dienste von Wettbewern gehören (leider) teilweise zum Standard innerhalb der Internetbranche, lässt sich doch mit der Überforderung von Servern häufig leicht eine Überlastung von Diensten erwirken. So wohl auch mehrfach geschehen beim Berliner Lieferdienstvermittler Lieferando (www.lieferando.de): “Uns ist mit diesen Attacken auf unsere Webseite erheblicher Schaden entstanden und wir mussten enorme Anstrengungen unternehmen, um diesen zu bereinigen. Es ist erschreckend, dass es von einem Mitbewerber anscheinend für nötig empfunden wird, zu solch unlauteren Mitteln zu greifen und somit zusätzlich auch dem Ruf der gesamten Branche zu schaden”, resümiert Jörg Gerbig, Mitbegründer und Geschäftsführer von Lieferando in einer Pressemitteilung.

Laut dem Spiegel soll die Berliner Staatsanwaltschaft gegen die vier Geschäftsführer von Lieferheld (www.lieferheld.de) wegen des Verdachts auf Computersabotage ermitteln. Am vergangenen Mittwoch sollen Beamte des Landeskriminalamts Berlin die Geschäftsräume des vor zwei Jahren gegründeten Unternehmens durchsucht haben. Bis dato sei so insgesamt ein Schaden von „mindestens 75.000 Euro“ entstanden und nach einer besonders umfangreichen Attacke im Dezember des letzten Jahres habe Lieferando durch ein Traffic-Tracking analysiert, dass ein von Lieferheld angemieter Server auf Lieferando zugegriffen habe.

„Völlig absurd“ meint der ebenfalls beschuldigte Lieferheld-CEO Fabian Siegel und verweist darauf, dass Lieferheld seinen Wettbewerber lediglich mit einem Crawler automatisch überprüfe, um sicherzustellen, ob die von Lieferando angegebene Restaurantzahl auch mit der wirklichen Zahl übereinstimme. Bei der Anzahl der angebundenen Restaurants gab es zwischen allen drei deutschen Platzhirschen immer wieder Streitigkeiten, Abmahnungen und Unterlassungserklärungen. „Ich bin doch nicht so dumm, mich für einen möglichen Nachteil eines wesentlich kleineren Mitbewerbers strafbar zu machen“, meint Siegel weiter und verweist darauf, dass entsprechende Crawler durchaus branchenüblich seien und Lieferando womöglich vielmehr seine Technik nicht im Griff habe.

Bisher verdienen vor allem Anwälte an Lieferdienst-Vermittlern

Erst kürzlich führte Gründerszene ein Interview mit Lieferheld bzw. dessen neuer Dachgesellschaft Delivery Hero, in dem Geschäftsführer Fabian Siegel sich auch zu den juristischen Scharmützeln mit seinen Wettbewern äußerte. Wenngleich seine Ausführungen sehr allgemein gehalten sind, gibt es doch immer wieder juristische Streitigkeiten zwischen den drei deutschen Anbietern Lieferheld, Pizza.de und Lieferando. Einzelne Anbieter sollen sogar schon Volljuristen eingestellt haben, um der Klagewut des Segments gerecht werden zu können.

Spricht man mit den Beteiligten, zeichnet sich so schnell das Bild eines aggressiven Wettbewerbs, bei dem schnell zur Abmahnung oder Klage gegriffen wird, egal ob es darum geht, wer die meisten Restaurants hat, der größte Anbieter ist oder für wie groß der Markt gehalten wird. Besonders Lieferhelds juristische Grabenkämpfe wurden hierbei immer wieder in die Öffentlichkeit gezerrt. So warf Pizza.de (www.pizza.de) seinem Berliner Konkurrenten etwa vor, Speisekarten kopiert zu haben und torpedierte dessen Onlinezahlungen aufgrund einer fehlenden BaFin-Lizenz. Auch Lieferando will nun laut dem Spiegel angeblich zivilrechtlich gegen Lieferheld vorgehen und „im niedrigen siebenstelligen Bereich“ Schadensersatz fordern.

Was sich gegenüber Lieferheld im Falle des Cyberattacken-Vorwurfs nachweisen lässt, wird sich noch zeigen müssen. Fakt ist, dass Lieferhelds Image unter den zahlreichen Vorwürfen leidet und insgesamt der Eindruck entsteht, dass unter den Lieferdienst-Vermittlern bald mehr Geld für Anwälte als für die eigenen Mitarbeiter ausgegeben wird – Anbieter mit angestellten Anwälten natürlich ausgenommen. Vor allem werden Abmahnungen und Klagen gerne auch dazu genutzt, den eigenen Wettbewerber mit Kosten zu belasten und ein entsprechendes PR-wirksames Bild zu zeichnen. Nachdem Lieferheld (bzw. Delivery Hero) mit seiner HungryHouse-Übernahme in Großbritannien und einer 25-Millionen-Finanzierung zuletzt starke Marken im Wettbewerb setzte, werfen diese öffentlichkeitswirksamen Vorwürfe das Unternehmen sicher zurück und schaden dem eigenen Image.

Lieferheld äußert sich offiziell

Mittlerweile hat Lieferheld auch ein Statement in seinem Blog veröffentlicht, das den Sachverhalt ausführlich kommentiert:

In der heutigen Ausgabe (23.4.2012) stellt das Nachrichtenmagazin der Spiegel auf Seite 43 die Frage: „Zwischen Bestellplattformen tobt ein harter Wettbewerb. Auch mittels unlauterer Methoden?“ Wir möchten versuchen die Frage des Spiegels zu beantworten.

Lieferheld hat keine ‚Hackerangriffe‘ auf Lieferando oder andere Websites durchgeführt. Lieferheld setzt einen so genannten „Webcrawler“ ein, um Werbeaussagen von Lieferando zur Anzahl der Partner zu überprüfen. Um diesen branchenüblichen Webcrawler-Einsatz handelt auch das beschriebene Ermittlungsverfahren. Lieferando selbst, aber auch Unternehmen wie zum Beispiel Google setzen solche Webcrawler täglich ein.

Mit dem Einsatz solcher grundsätzlich legalen Webcrawler hat Lieferheld in der Vergangenheit beweisen können, dass Lieferando wiederholt falsche Angaben zur Anzahl der Partnerrestaurants gemacht hat. Das Ergebnis dieses Webcrawlers wurde unter anderem vom Landgericht Berlin am 11.08.2011 in seiner Einstweiligen Verfügung gegen Lieferando verwendet. Lieferando wurde in dieser Verfügung untersagt, falsche Angaben über die Anzahl der auf Lieferando verfügbaren Restaurants zu machen. Bei dem Besuch der Berliner Polizei handelte es sich ferner nicht um eine Razzia. Es wurde auch nichts beschlagnahmt. Es wird daher erwartet, dass das Emittlungsverfahren eingestellt wird.

Die 350 Lieferheld-Mitarbeiter haben in den letzten 18 Monaten ein weltweit agierendes Unternehmen mit weltweit über 19,000 Restaurants in 10 Märkten aufgebaut; davon mehr als 5.600 Lieferservices und Restaurants allein in Deutschland. Wir sind stolz auf diese Leistung unserer Mitarbeiter. Unverständlich und auch ungeeignet ist, dass Mitbewerber versuchen diesen Erfolg mittels Strafanzeigen zu begegnen.

Update, 23. April 2012: Bei der öffentlichen Aufarbeitung der angeblichen Cyberattacke handelte es sich wahrscheinlich um eine Kampagne seitens Lieferando – Gründerszene arbeitet Lieferandos vermeintliche PR-Kampagne in einem entsprechenden Artikel auf.

Update, 27. Juli 2012: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat alle weiteren Ermittlungen gegenüber Lieferheld bezüglich des Hacking-Versuchs bei Lieferando eingestellt.

Bildmaterial: Taliesin