Europas Venture Capital, Europas Startups, Europas Gründer – sie liegen weit hinter den USA zurück – soweit das Klischee. Eine neue Studie von Earlybird (www.earlybird.com) sagt nun das Gegenteil: Die europäische Venture-Capital-Industrie soll in den vergangenen zwei Jahren weit erfolgreicher gewesen sein, als die der USA. Im Verhältnis zum eingesetzen Kapital überflügt Europa laut der Studie die USA bei den Erlösen. Gründerszene sprach mit den Earlybird-Partnern Jason Whitmire und Hendrik Brandis und stellt die wichtigsten Ergebnisse der Studie vor.

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Gründer und Investoren in Europa werden mutiger

Die Studie “Turning Venture Capital Data into Wisdom: Why returns in Europe are now outpacing the U.S.“ der Earlybird-Partner Hendrik Brandis und Jason Whitmire schaut auf die Zahlen der Venture-Capital-Industrie in Europa und den USA und kommt zu dem Schluss: Während die europäische VC-Industrie deutlich kleiner ist (etwa ein Viertel der Größe des US-Markts), überboten die Europäer beim Verhältnis der Erlöse zum eingesetzten Kapital die US-Amerikaner in den vergangenen zwei Jahren.

Earlybird hatte auf Basis von Daten der European Venture Capital Association (EVCA) (www.evca.eu), Dow Jones Venture Source (www.venturesource.com) sowie seiner eigenen Fonds einen internationalen Vergleich gewagt. Die noch jüngere europäische VC-Branche scheint nun nach Jahren des Hinterherhinkens an einem historischen Wendepunkt angekommen zu sein. „Bei den Zahlen wundert es kaum, dass sich Berlin zum neuen Valley – oder wie bereits in den Medien erwähnt zur Silicon Allee – entwickelt“, sagt Co-Autor und Earlybird Managing Partner Hendrik Brandis. „Nach Jahren der Zurückhaltung werden Gründer und Investoren hierzulande wieder mutiger. Was die VC-Branche betrifft, holt Europa auf.“

Deutschland ist europäischer Spitzenreiter bei VC-finanzierten Exits

Die Studie sorgte in der vergangenen Woche bereits in den USA für Schlagzeilen. Mit über 50.000 Besuchern war sie die auf Facebook, Twitter und LinkedIn die meist zitierte Slideshare-Präsentation.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

    • Beim Verhältnis der Erlöse zum eingesetzten Kapital übertreffen europäische Venture Capital Fonds die US-amerikanischen in den vergangenen zwei Jahren;
    • Die europäische VC-Industrie kann auf Unternehmensverkäufe und Börsengänge im Wert von insgesamt etwa 15 Milliarden US-Dollar in den vergangenen zwei Jahren verweisen. Dies entspricht etwa der Hälfte des amerikanischen Volumens allerdings mit nur einem Fünftel des Eigenkapitaleinsatzes;
    • Mit einem Gesamtunternehmenswert von 4,4 Milliarden US-Dollar VC-finanzierter Exits in den vergangenen zwei Jahren, ist Deutschland sowohl im Wert als auch in Anzahl der Exits der europäische Spitzenreiter;
    • Auch in absoluten Zahlen ist die Unternehmensbewertung VC-finanzierter europäischer Unternehmen schon häufig auf dem Niveau besonders erfolgreicher Portfoliounternehmen amerikanischer Investoren – mit Startups wie Skype (www.skype.com), MySQL (www.mysql.de) oder Interhyp (www.interhyp.de) haben es seit 2005 sogar insgesamt 14 VC-Investments über die eine Milliarde US-Dollar Schwelle geschafft;
    • Anders als in den USA, wo es historisch bedingt viele VC-Investoren gibt, ist Europa bislang noch ein Käufermarkt, in dem eine verhältnismäßig geringe Anzahl von VC-Investoren einer wachsenden Anzahl von jungen Unternehmen gegenübersteht.

Die Earlybird-Partner Jason Whitmire und Hendrik Brandis im Interview: „Wirklich überrascht waren die Kollegen in den USA“

Die europäische VC-Industrie ist laut Eurer Studie erfolgreicher bei den Erlösen als die amerikanische. Hättet Ihr damit gerechnet?

„Da wir in Europa sehr aktiv sind, den US-Markt aber auch gut kennen, haben wir schon häufiger die Erfahrungen gemacht, dass Europa besser abschneidet. Wirklich überrascht waren vor allem die Kollegen in den USA, die den kleineren europäischen Markt unterschätzt haben.“

Die Ergebnisse bezeichnen einen historischen Wendepunkt, sagt doch das alte Klischee europäische Gründer und VCs seien langweiliger, risikoängstlicher und weniger erfolgreich. Wie geht es mit der europäischen Startup-Branche weiter?

„Wir glauben, dass sowohl europäische Gründer als auch Investoren wieder mehr Vertrauen in das Venture-Capital-Model setzen und wir tatsächlich an einem historischen Wendepunkt stehen. Erfolgreiche Unternehmensgründungen sorgen für eine Aufbruchstimmung und machen Mut. Wir haben hier tatsächlich ein Niveau erreicht, dass kein zurück mehr erlaubt. Wer einmal ein Unternehmen erfolgreich oder auch weniger erfolgreich aufgebaut hat oder investiert hat, wird es wieder und wieder tun. Wir denken, dass abgesehen von den USA, Europa nun einer der reifsten Venture Märkte überhaupt ist.“

Deutschland ist europäischer Spitzenreiter bei den VC-unterstützten Exits. Was zeichnet Deutschland als Tech-Standort aus?

„Es gibt zwei zentrale Punkte, die Deutschland als Tech-Standort auszeichnen: Anders als das sehr zentralisierte Silicon Valley in den USA, gibt es in Deutschland verschiedene, stark vernetzte Zentren, wo wirklich tolle Ideen reifen können. Berlin steht beispielsweise für Consumer und Internet, Hamburg für Social- und Online-Gaming, München für Software-Services. Zudem hat sich die Einstellung der Uniabsolventen verändert. Während man früher mit einem Top-Uniabschluss selbstverständlich zu den großen Firmen wie Siemens oder Goldman ging und nur derjenige, der kein Angebot von einem großen Namen in der Tasche hatte, über einen Unternehmensgründung nachdachte, ist es heute fast umgekehrt! Die Guten denken: Danke für das Angebot, aber ich kann das selbst!“

Wird Europa die USA eines Tages überholen?

„Wir sind uns sicher, dass immer mehr international erfolgreichen Unternehmensgründungen aus Europa kommen werden. Europa wird immer ernster genommen. Wirklich vergleichen kann man die Regionen aber nicht. In den USA gibt es mit dem Silicon Valley ein wirklich sehr reifes und dichtes Gründernetz, das in der Form einzigartig ist und sicher so noch lange bleiben wird. Europa hingegen reift anders. Es entsteht ein breiterer Boden für verschiedene, stark vernetzte Zentren mit enormen Potential.“

Bleibt die Frage an die Gründerszene-Leser: Überflügeln die Europäer die US-Amerikaner tatsächlich, oder ist das reines Wunschdenken?