Nach meinen Lebens- und Arbeitserfahrungen in Deutschland lebe ich mittlerweile seit mehr als sechs Jahren in Spanien. Hier habe ich in erster Linie deutschen Startups geholfen, auf dem Markt Fuß zu fassen, bis ich zu dem Schluss gekommen bin, dass der spanische Markt vor allem den Vorteil hat, Zeit zu verlieren. Das ist kein Scherz und wahrscheinlich wird die Kritik an dieser Aussage nicht ausbleiben. In Spanien Geschäfte zu machen ist schwierig, sehr schwierig. Was uns zu der Frage führt: Macht es Sinn, den Arbeits- und Kostenaufwand in einen relativ kleinen Markt zu investieren? Und wenn ja, wie macht man es am besten?

Startup, Expansion, spanische Märkte

Schwierigkeiten für Unternehmer in Spanien

Die Mehrzahl der deutschen Unternehmer betrachtet Spanien als marginalen Markt.  Man expandiert zumeist nach dem Motto „wird schon klappen und wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm.“ In einigen Fällen expandieren die Unternehmen mit Hilfe eines Praktikanten und schlechten Übersetzungen. Ich möchte zehn Gründe aufzählen, warum Geschäfte machen in Spanien nicht ganz so einfach ist, wie es vielleicht erscheinen mag:

  1. Es gibt keine Win-win-Mentalität. Bernardo Hernández, einer der erfolgreichsten Internetunternehmer Spaniens und Führungskraft bei Google, wird nicht müde dies zu betonen. Er sagt, er habe es satt in Spanien zu verhandeln, wo sich jeder nur darum Sorgen macht, ob der andere mehr verdiene als er. „Man muss die Win-win-Kultur annehmen und sich freuen, wenn beide Seiten gewinnen. Statt darauf zu warten, dass es dem anderen schlechter geht, um einen Verhandlungsvorteil zu haben.“
  2. Neid ist hier Nationalsport. Dabei gilt das Motto: „Wenn es dir gut geht, tust du bestimmt irgendetwas, worüber du nicht sprechen möchtest.“
  3. Es ist praktisch unmöglich, Geschäfte per Telefon oder E-Mail zu machen. Wenn du nicht durch Dritte vorgestellt wirst, ist es schwierig, überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Der Ausdruck „das Gesicht zeigen“ ist hier Programm. Auch wenn man sich schon zum Essen getroffen hat, reicht das nur für erste Sympathiebekundungen. Die Geschäfte werden weder während der ersten beiden Gänge noch nach dem Kaffee besprochen.
  4. Wie allgemein bekannt, kommen Verspätungen in Spanien häufig vor. Entschuldigungen dafür hört man allerdings meistens nicht,  selbst wenn die andere Seite einem etwas verkaufen möchte!
  5. Wenn Du ein Meeting vereinbart hast, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es bis zu fünf Minuten vor Beginn noch verschoben oder abgesagt wird. Also vergiss nicht, dein Handy einzuschalten damit man dich noch kurzfristig erreichen kann.
  6. Es gibt bis zu 14 Feiertage. Die meisten werden zu verlängerten Wochenenden ausgebaut. Ist der Feiertag ein Dienstag, wird Montag nicht gearbeitet und wenn du Mittwoch anrufst, hat sich so viel Arbeit angestaut, dass das Telefonat auf die nächste Woche verschoben wird. Zusammengefasst sind das fünf verlorene Tage pro Feiertag.
  7. Es gibt keine Verbindlichkeiten. Fristen werden ungern eingehalten. Es kann auch schon mal vorkommen, dass Forderungen gestellt werden, ohne das Verträge dafür vorliegen. Wenn Du dann einen Vertrag fordern solltest, wird dir mit Zahlungsverweigerung gedroht.
  8. Fehlende Präzision. Es ist bekannt, dass die Japaner kein Wort für „nein“ haben, da sie sich für ein Nein schämen würden. Ihr Wort ist „chotto“. In Spanien existiert nicht einmal ein „chotto“. Man muss schon sehr nachhaken, um zu erfahren, dass einem keine Aufmerksamkeit zuteil werden wird.
  9. Gezahlt wird nach 90 Tagen. Auch wenn es ein neues Gesetz gibt, das zu einer Zahlung nach 85 Tagen verpflichtet, ist ein Zahlungserhalt 60 bis 90 Tage nach Rechnungsstellung die Regel und nicht die Ausnahme. Nicht ungewöhnlich ist es ebenso, dass die andere Seite bei Erhalt der gestellten Rechnung einen Steuernachweis fordert, nur um die Zahlung noch weiter zu verzögern.
  10. Wenn jemand in seinem Lebenslauf sehr gute Englisch-Sprachkenntnisse angibt, kann man fast sicher davon ausgehen, dass dies stark übertrieben ist.

Warum sich eine Expansion nach Spanien doch lohnt

An diesem Punkt hat bestimmt jeder Leser Spanien aus der Liste seiner Ziele gestrichen. Aber man sollte nicht aufgeben. Spanien hat auch gute Seiten und ist nach wie vor ein Markt mit großem Potential. Wenn  selbst Amazon nach 16 Jahren beschlossen hat, in Spanien an Land zu gehen. Warum nicht auch du?

Besonders vielversprechend ist der Smartphone-Markt. Hierbei ist das Wachstum in Spanien größer als in Deutschland (14% versus 11% nach FlurryAnalytics). Laut der Marktkomission für Telekommunikation hat der E-Commerce in Spanien 2010 mehr als 7,8 Milliarden Euro bewegt, 52% davon waren Operationen zwischen spanischen und ausländischen Unternehmen. Zudem ist allgemein bekannt, dass Spanien als Testmarkt und  Tor nach Lateinamerika fungiert. Daher lohnt es sich, den dortigen Markt der circa 98 Millionen Internetnutzer von Spanien aus zu erfassen. Man sollte Lateinamerika jedoch nicht mit Spanien gleichsetzen. Die lateinamerikanische Kultur unterscheidet sich stark von der Spaniens, besonders  in Hinblick auf Brasilien.

Die Frage ist also nicht, ob man überhaupt nach Spanien expandieren sollte, sondern, wie man es anstellt. Wenn man  wenig Geduld hat, sollte man am besten mit einem Partner vor Ort arbeiten.

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