Verstecken hilft im Selfie-Museum leider nicht.

Ich stehe zwischen zwei Reihen halbhoher Supermarktregale und weiß nicht, wohin mit meinen Händen. Soll ich sie lässig in die Hosentaschen stecken? Oder mich lieber an dem rosafarbenen Einkaufswagen festklammern, der leer zwischen den Regalen steht? Ich könnte auch so tun, als hätte ich gerade nach sehr langem Suchen meine Lieblings-Cornflakes gefunden und eine der pinkfarbenen Papierboxen aus einem der Regale nehmen.

Aber das helle Kunstlicht macht mich nervös, die Cornflakes-Verpackungen sind leer und das Neon-Schild, das für noch mehr Instagram-Likeability hinter mir flimmert, lässt die eh schon unecht aussehende Kulisse so unfassbar künstlich wirken, dass mir schlecht wird.

Ich werfe einen hilfesuchenden Blick zu meiner Kollegin, die vor dem Setting steht und versucht, meine missliche Situation in ein hübsches Foto zu verwandeln. Hinter uns strömen konzentriert schauende Menschen vorbei, allesamt mit Fotoapparat oder Smartphone in der Hand. Wie Wanderheuschrecken hüpfen sie von Kulisse zu Kulisse – auf der Jagd nach dem perfekten Motiv.

Selbst der Gang zur Toilette ist so fotogen, dass er als Bildmotiv dient

Wir sind auf der Eröffnungsparty der „The Wow! Gallery“ in Berlin, die sich als Instagram-Erlebniswelt verkauft. Fotoaffine Besucher sollen hier außergewöhnliche Bildmotive kreieren. Heißt: Sie dürfen sich in den bunten Fotokulissen des sogenannten Selfie-Museums nach Herzenslust selbst inszenieren. Die Sets funktionieren wie Bilderrahmen für eine digitale Welt.

Wer, anders als ich, keine mutige Kollegin hat, die sich mit in den „Social Media Playground“ begibt, kann sogar eine professionelle Fotografin buchen. Und damit sich das alles auch wirklich lohnt – immerhin kostet ein 90 Minuten gültiges Ticket stolze 29 Euro – gibt es natürlich auch eine Styling-Station, an der Haare und Make-up zwischendurch aufgefrischt werden können.

Auf das Styling verzichte ich, aber ich setze mir das Ziel, in mindestens der Hälfte der Kulissen ein Foto zu machen. Nicht, weil ich mich so gerne selbst inszeniere – im Gegenteil: Ich hasse es, für Fotos posieren zu müssen. Entweder, ich verkrampfe oder ziehe gequälte Grimassen, in den meisten Fällen drücke ich mich komplett davor. Aber vielleicht ist ein Ort, an dem es ausschließlich darum geht, wie eine Art Safe Space, denke ich mir. Wenn es alle tun, fällt man nicht mehr so auf und fühlt sich wohler.

Ich habe mich gründlich geirrt.

Wer möchte sich hier nicht direkt fotografieren lassen?

Gegenüber der pinken Supermarkt-Kulisse steht eine goldene Mond-Skulptur. Ich versuche, mich in der Sichel zu räkeln und ein bisschen nett zu lächeln. Einen halben Meter vor mir laufen die anderen Besucher vorbei. Ich komme mir vor, wie in eine Folge „Germany‘s Next Topmodel“ katapultiert. Ohne jemals die Skills oder das Aussehen eines Models an den Tag gelegt zu haben, versteht sich.

Eine entspannte Atmosphäre ist das nicht, schnell weiter, nebenan geht es in den Himmel. An weißen Luftballons festhaltend, sollen sich die Besucher hier optisch in die Lüfte zu erheben. Ich verstecke mein Gesicht hinter den Händen, als meine Kollegin auf den Auslöser drückt.

Im Untergeschoss gibt es zwei Bälle-Bäder, ja, das sind die poolartigen Becken, in denen Kinder verschwinden. Statt Kindern liegen einige Frauen zwischen den rosafarbenen Plastikkugeln und machen Selfies. Ein junger Mann reitet auf einem aufblasbaren Flamingoschwimmring durch Becken A, in Becken B lässt ein Schönling seinen entblößten Bizeps aus dem Plastikmeer ragen. Seine Begleitung braucht mehrere Anläufe, bis sie das perfekte Boomerang-Video aufgenommen hat. Alle lachen, alle sehen ein bisschen zu angespannt glücklich aus. Ich lache nicht, ich schäme mich.

Kinder lieben Bälle-Bäder – fotoaffine Besucher von Selfie-Museen scheinbar auch

Ich schäme mich vor den anderen Besuchern, die denken, ich fände es cool und lustig, auch derart gestellte Fotos von mir machen zu lassen. Ich schäme mich gleichzeitig für die Besucher, die das wirklich cool und lustig finden. Ich schäme mich, dass manchen Menschen im Jahr 2020 die eigene Selbstinszenierung auf sozialen Netzwerken so wichtig ist, dass sie anscheinend immer häufiger den Drang verspüren, sich in künstlichen Filmsets ablichten zu lassen.

Denn die „The Wow! Gallery“ ist nicht das erste Selfie-Museum, das es gibt. Angefangen hat der Erfolg der Made-for-Instagram-Ausstellungen vor einigen Jahren in den USA, in Köln befindet sich mit bisher über 60.0000 Besuchern die erfolgreichste Selfie-Ausstellung Europas, das „Supercandy Pop-Up Museum”.

Darf dieser seelenlose Ort „Museum“ heißen?

Und das Bälle-Bad, dass ich persönlich als etwas zu infantil wahrnehme, um mich darin ablichten zu lassen, ist laut einer Analyse des Reiseanbieters Travelcircus mit Abstand das beliebteste Motiv unter den Fotosets.

Ich schäme mich, dass sich seelenlose Orte wie dieser Museum nennen. Und ich schäme mich vor mir selbst, dass ich diese ganzen Kulissen zwar total doof finde, aber durch die vielen perfekt posierenden Menschen um mich herum denke, ich müsste das vielleicht auch können. Die Scham frisst sich gerade so durch meine Bauchhöhle. Und spätestens, als wir an einem Set angelangen, das ein bisschen an Drakes „Hotline Bling“-Video erinnert, bin ich mir sicher, dass ich mich noch nie in meinem ganzen Leben so fehl am Platz gefühlt habe. Wahrscheinlich ist das das Gefühl, das Menschen in diesen typischen Man-kommt-nackt-ins-Büro-Albträumen haben. 

So sieht Freude aus. Und das Gefühl, etwas ganz Großartiges zu erleben

Zum Glück kann ich aus meinem Albtraum aufwachen – beziehungsweise die Flucht ergreifen. Auf dem Heimweg fühle ich mich leer. Fotografien von sich selbst, seiner Familie und seinen Freunden waren früher doch vor allem dafür da, eine gute Zeit festzuhalten. Erinnerungen zu wahren. Ob es das kitschige Touristenfoto vor dem Eiffelturm ist, das Porträt bei der Einschulung oder der Schnappschuss aus dem Urlaub: Meist verbinden wir diese Bilder mit einer bestimmten Stimmung, einer Atmosphäre oder einem Erlebnis. Aber wenn das Foto in einer reinen Kulisse entsteht, die jemand anderes für uns gewählt hat, weil sie dem aktuellen Zeitgeist am gefälligsten ist – was sagt das über die Person aus, die auf diesem Foto zu sehen ist?

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de

Bilder: Katharina Kunath