Heutzutage erwarten die Menschen von Dienstleistungen unmittelbares und anhaltendes Fulfillment.

Ein Auszug aus „Das Abo-Zeitalter“ von Tien Tzuo

Die Tage des seelenlosen, allmächtigen Großkonzerns gehören der Vergangenheit an. Die Verbraucher heutzutage sind um ein Vielfaches besser informiert, meistens haben sie vor dem ersten Hallo bereits ausführlich recherchiert, abgewogen und kategorisiert. Und den meisten von ihnen, speziell jüngeren Leuten, geht es nicht mehr so sehr um das Besitzen. Ein Produktkauf ist für viele zusehends zu unnötigem Ballast geworden. Sie wollen Medien auf Abruf haben und nicht physische Produkte verwalten müssen. Deshalb sind die meisten großen Einzelhändler, mit denen ich aufgewachsen bin, mittlerweile verschwunden, Firmen wie Circuit City, Tower Records, Blockbuster, Borders oder Virgin Megastore. Auch viele Malls gibt es heute nicht mehr. Heutzutage erwarten die Menschen von Dienstleistungen unmittelbares und anhaltendes Fulfillment, seien es Mitfahrzentralen, Streaming-Dienste oder Abo-Boxen. Sie wünschen sich regelmäßig positive Überraschungen. Und wenn Sie diese Erwartungen nicht erfüllen, sind Sie ruckzuck weg vom Fenster (ganz abgesehen davon, dass Sie in den Social Media noch eine Abreibung mit auf den Weg bekommen). So einfach ist das.

Die Marktforscher von Forrester Research vertreten die These, dass wir am Anfang eines neuen 20-Jahres-Zyklus stehen, dem „Zeitalter des Verbrauchers“. Sie machen eine breit gefasste, systemische Verlagerung bei den Kapitalmodellen aus, eine Hinwendung zu einer neuerdings einflussreichen Konsumentengeneration, die über die Fähigkeit verfügt, jederzeit und überall Preise zu bestimmen, Kritik zu äußern und einzukaufen. Wie diese neue Kundenklasse denkt, beschreibt Forrester so: „Es herrscht die Erwartung, dass jede gewünschte Information oder Dienstleistung auf jedem passenden Gerät, in jedem Kontext auf Abruf zur Verfügung steht.“ Kunden kommen mit neuen Erwartungen (und ja, es stimmt, diese Erwartungen wurden zweifelsohne von den Millennials geschürt, aber mittlerweile teilt sie nahezu jeder). Sie wollen die Fahrt, nicht das Auto. Die Milch, nicht die Kuh. Die neue Musik von Kanye West, nicht die neue CD von Kanye West.

Anfangs reagierten die Unternehmen größtenteils so, wie sie immer reagiert hatten – mit noch mehr Systemen. Sie legten CRM-Datenbanken für die Kundenpflege an, führten Treuepunkte ein, boten Belohnungen und Anreize für Mitgliedschaften und überschütteten die Menschen mit Umfragen zur Kundenzufriedenheit. Es galt als unumstößlicher Fakt, dass es schwieriger ist, neue Kunden zu gewinnen, als die alten zu halten, und dass negative Kundenerfahrungen viel größere Kreise ziehen als positive. Und es wurde viel von Customer Journeys gesprochen und von Net Promoter Scores. „Der Kunde hat immer recht.“ Niemand weiß, woher dieser Satz stammt, aber bereits Ende des 19. Jahrhunderts verwendeten ihn Kaufhaus-Pioniere wie Harry Gordon Selfridge und Marshall Field. Es war damals ein völlig neuartiges Konzept (und verdrängte die allgemein im Einzelhandel vorherrschende Haltung des „Caveat emptor“, wonach der Käufer selbst bei einem Geschäft darauf zu achten hat, dass es nichts zu beanstanden gibt). Faszinierend ist jedoch, dass all diese großen „Fortune 500“-Unternehmen es dennoch nicht richtig hinbekamen. Sie entwickelten jede Menge bindende Strategien zum Thema Kundenorientierung, doch was fehlte, war ein anschau-liches Verständnis von der Denkweise ebendieser Kundschaft. Nach wie vor wurden die Konzerne in den Social Media von links und rechts mit Kritik überschüttet und die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber großen Unternehmen hatte sich nicht grundlegend gewandelt. Es reichte schlichtweg nicht.

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Dann geschah etwas Komisches: Diese digitalen Disruptoren, die ich bereits erwähnt habe, Firmen also wie Salesforce und Amazon, führten das Konzept „Der Kunde kommt an erster Stelle“ auf ein ganz neues Level, indem sie tatsächlich eine echte, direkte und anhaltende Beziehung zu ihren Kunden aufbauten. Es gab keine Kundensegmente mehr – sie besaßen individuelle Abonnenten. Und jeder einzelne dieser Abonnenten verfügte über eine eigene, individuelle Homepage, eine eigene Historie seiner Aktivitäten, seine eigenen No-Gos, seine eigenen, von Algorithmen errechneten Empfehlungen, seine eigenen einzigartigen Erfahrungen. Und dank der Abonnenten-IDs verschwand auch die Notwendigkeit, sich mit all diesen langweiligen Verkaufsprozessen herumzuplagen. Vor zehn Jahren gab es kein Spotify und Netflix war ein DVD-Vertrieb. Heute sind beide Unternehmen für einen beträchtlichen Anteil am Umsatz ihrer jeweiligen Branche verantwortlich! Heute stellen sich Firmen ganz andere Fragen: Was braucht es, um langfristige Beziehungen aufzubauen? Was benötigen wir, um uns auf Ergebnisse und nicht auf Besitz zu konzentrieren? Um neue Geschäftsmodelle zu erfinden? Um unsere wiederkehrenden Umsätze zu steigern und anhaltend Wert zu liefern?

Um zurück zum Anfang zu springen: Wie sieht „digitaler Wandel“ aus? Für mich sieht er sehr nach einem Kreis aus. Warum, das möchte ich Ihnen jetzt darlegen.

Auch wenn Sie ansonsten den kompletten Inhalt dieses Buches wieder vergessen, behalten Sie bitte dieses Diagramm in Erinnerung. Es fasst zusammen, welchen Wandel wir derzeit durchlaufen. Auf der linken Seite sehen Sie das alte Modell. Die Unternehmen konzentrierten sich darauf, „ein Produkt auf den Markt zu bringen“ und von diesem Produkt so viele Einheiten wie möglich zu verkaufen, egal ob es sich um Autos, Kugelschreiber, Rasierer oder Laptop-Rechner handelte. Um dieses Ziel zu erreichen, schoben sie ihre Produkte in so viele Verkaufs- und Vertriebskanäle, wie es nur ging. Natürlich muss am anderen Ende auch ein Konsument sein, der all das Zeug kauft, aber oftmals war es dem Unternehmen völlig egal, wer diese Menschen waren. Hauptsache, das Lager leerte sich im gewünschten Tempo.Das moderne Unternehmen denkt nicht so. Firmen, die heutzutage erfolgreich sind, beginnen mit dem Verbraucher. Sie sind sich darüber im Klaren, dass Verbraucher ihre Zeit auf viele unterschiedliche Kanäle aufteilen – und wo auch immer diese Verbraucher sind, wichtig ist, deren Bedürfnisse zu erfüllen. Je mehr Informationen Sie über den Kunden zusammentragen können, desto besser können Sie seine Bedürfnisse befriedigen und desto wertvoller wird die Beziehung. Das ist digitaler Wandel – weg von linearen Transaktionskanälen hin zu einer kreisförmigen, dynamischen Beziehung zu Ihrem Abonnenten.

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Große Veränderungen stehen uns bevor. Wenn Sie innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre nicht herausfinden, wer Ihre Kunden sind, sind Sie zum Scheitern verurteilt. Kleinere Startups erledigen gewaltige Großkonzerne einfach nur aus dem Grund, dass sie wissen, an wen sie verkaufen. In der gesamten 80.000 Milliarden Dollar schweren Weltwirtschaft werden die Karten neu gemischt. Es überleben diejenigen Unternehmen, die ihren Kunden über einen langen Zeitraum hinweg folgen. Sie erwarten von ihren Kunden nicht, dass diese ihnen folgen. Weiß ein Unternehmen, was die Kunden wollen und wie sie es wollen, wird es sich gegen eine Firma durchsetzen, die viel Geld und Mühe auf ein Produkt aufwendet, das es für eine gute Idee hält, und dann noch einmal genauso viel Zeit und Mühe darauf, die Menschen vom Kauf zu überzeugen.

Dieser Wandel weg von einer Denkweise, bei der das Produkt im Mittelpunkt steht, hin zu einer, die sich um den Kunden dreht, ist eines der Hauptmerkmale der Subskriptions-Wirtschaft. Heutzutage läuft die ganze Welt „as a Service“ – das Transportwesen, das Bildungswesen, die Medien, der Gesundheitssektor, Connected Devices, Einzelhandel, Industrie. Natürlich sind Abonnements an sich nichts Neues. Als Geschäftsmodell haben sie Journalisten, Autoren, Illustratoren, Historiker und Kartografen über Hunderte von Jahren hinweg in Lohn und Brot gehalten. Abonnements halfen in den 1980er-Jahren auch, jede Menge schlechter CDs zu verkaufen.

Warum kommt es gerade jetzt zu diesem Wandel? Das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie diese Abonnements zugestellt werden – nämlich digital –, und mit den enormen Datenmengen, die diese digitalen Abos erzeugen. Wenn man bedenkt, dass der Handel noch immer von Buchhaltungsstandards dominiert wird, die aus dem 15. Jahrhundert stammen, ist das kommerzielle Internet im Vergleich dazu verhältnismäßig jung, gerade mal um die 20 Jahre alt. Ich bin komplett ohne Online-Handel aufgewachsen und so alt bin ich nun auch noch nicht. Das iPhone ist knapp über zehn Jahre alt und nun überlegen Sie einmal, wie sehr dieses Gerät beeinflusst hat, wie wir Dienstleistungen nutzen. Die Cloud hat die Ansichten der Firmen über IT-Infrastruktur, über professionelle Dienstleistungen und über Capex (Investitionsausgaben) gegen Opex (Betriebskosten) grundlegend verändert. Diese ganze neue Welt der Connected Devices fühlt sich ohne Frage brandneu an. Wie Mary Meeker in ihren jüngsten Berichten zu Internettrends schrieb: Dass die Zahl digitaler Abonnements im Verbraucherbereich explodiert, hängt mit den massiven neuen Verbesserungen der digitalen Nutzererfahrung zusammen, insbesondere im Bereich der Mobil-telefone.

Es fühlt sich an, als stünden wir am Anfang von etwas ganz Großem.

„Das Abo-Zeitalter“ ist im Plassen Verlag erschienen. 304 Seiten; broschiert: 19,99 Euro; E-Book: 17,99 Euro.

Bild: Getty Images / F.J. Jiménez