Im Homeoffice können schnell mehrere Stressfaktoren zusammenkommen.

Die Arbeit in den eigenen vier Wänden stellt für einige von uns eine große Herausforderung und zum Teil auch eine gehörige Belastung dar. Im für viele ungewohnten Arbeitsumfeld Homeoffice können schnell mehrere Stressfaktoren zusammenkommen: viel Arbeit, mehr Abstimmungsbedarf und Organisation, weniger persönliche Kommunikation, das Gefühl, immer noch mehr leisten zu müssen und vielfach, Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Immer schwebt das Gefühl mit, dass nichts so richtig rund läuft, man niemandem gerecht wird.

Mit dem Thema Überlastung kennt sich Melanie Frowein aus. Sie ist Senior Business Coach in Berlin und hat vor 20 Jahren selbst unter einer Erschöpfungskrise gelitten. Aus den eigenen Erfahrungen bei der Überwindung habe sie Kompetenzen entwickelt, sagt sie.

Baut ihre Tipps auf eigenen Erfahrungen auf: Business-Coach Melanie Frowein
Baut ihre Tipps auf eigenen Erfahrungen auf: Business-Coach Melanie Frowein

Denjenigen, die jetzt verstärkt im Homeoffice arbeiten müssen, empfiehlt Frowein, die Situation anzunehmen und als Chance zu nutzen. Homeoffice könne wie ein Katalysator wirken, der bestehende Schwachstellen der Arbeitsorganisation beschleunigt. So unschön die gegenwärtige Situation für die meisten auch sein mag, sie biete auch die Gelegenheit, sich mit den eigenen Bedürfnissen oder der Abgrenzung von Privatem um Beruf zu beschäftigen.

Eine gute Struktur und Abgrenzung sind wichtig

„Ich halte es für ganz wesentlich“, sagt die Berliner Beraterin, „sich eine gute Struktur aufzubauen“. Wann fängt man mit der Arbeit an, wann hört man auf, und wann macht man eine Pause? Auch eine räumliche Abgrenzung des Arbeitsplatzes – wenn möglich – helfe sehr. Es gehe darum, nicht morgens im Bett die geschäftlichen E-Mails zu beantworten oder mit dem Handy an der Wickelkommode zu stehen. Eine klare Abgrenzung und bewusste Entscheidung, ob man sich im beruflichen oder privaten Kontext bewegt, helfe, nicht in eine Überforderung zu kommen.

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Wichtig bei all dem sei, die festgelegten Zeiten und Strukturen auch einzuhalten. Und das erfordere Organisation und Disziplin. Wenn Kinder im Haushalt sind, seien gute Unterstützungssysteme wichtig – der Partner oder, wenn möglich, jemand anderes, der die Kinder betreut. Worauf man ebenfalls achten sollte: Erst frühstücken und sich dann angezogen an die Arbeit machen. „Das hat nichts mit Rigidität oder Zwanghaftigkeit zu tun“, sagt Melanie Frowein: „Man ist dann in einer geeigneten inneren Haltung.“ Und: Pausen sollten auch wirklich Pausen bleiben: „Spazieren gehen statt Waschmaschine ausräumen!“

Erwartungs- und Konfliktmanagement

Weil im Homeoffice schnell das Gefühl entstehen kann, dass die getane Arbeit nicht sichtbar wird, hält die Beraterin auch gut definierte Arbeitsaufträge und klare Priorisierung für wichtig. „Man muss für sich selbst und auch dem Arbeitgeber gegenüber klären, was einen erfolgreichen Arbeitstag oder ein erfolgreiches Projekt konkret ausmacht.“ Wenn das klar definiert sei, werde Präsenz vernachlässigbar.

Gutes Erwartungsmanagement sei ein wichtiger Erfolgsfaktor, sagt Frowein, und eine gute Einschätzung, was leistbar ist und was nicht. Oft traue man sich nicht, „Nein“ zu sagen, sich abzugrenzen und den Konflikt zu wagen. „Die Kosten eines ,Neins’ werden dabei überschätzt, die Kosten eins ,Nicht-Neins’ eher unterschätzt“. Überlastung, innere Krisen und ungenügendes Konfliktmanagement könnten irgendwann zum Burnout führen, betont die Beraterin.

Die eigenen inneren Bedürfnisse im Blick haben

Im Homeoffice werde darüber hinaus oft sehr deutlich, wenn die inhaltliche Arbeit keine Freude macht. „Es ist ja nicht nur die eigentliche Arbeit, die uns antreibt. Nicht selten helfen der Austausch mit den Teammitgliedern und den Kunden über die fehlende Verbindung mit der eigenen Arbeit hinweg.“ Weil dieser informelle Kontakt im Homeoffice generell – und in der gegenwärtigen Situation vielleicht noch stärker – fehlt, könne dies ebenfalls Erschöpfung verursachen.

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Ob digitale Kommunikation den sozialen Kontakt ersetzen kann? Das hänge sehr vom Einzelnen ab, glaubt die Beraterin. Nicht jeder könne mit vielen Verbindungen gleichzeitig umgehen, das gelte ohnehin schon im Großraumbüro und umso mehr im Homeoffice.

„Viele Menschen wissen auch Ruhe und Rückzug sehr zu schätzen“, betont Frowein. Jeder könne nun für sich Wege finden, wie er Verbindung in der physischen Abschottung halten möchte – ein Verabredung zum längeren Telefonat zum Beispiel. Wirklich präsent zu sein, zum Beispiel beim Spielen mit den Kindern. „Oder die Gelegenheit zu nutzen, um in Verbindung mit den eigenen Bedürfnissen und sich selbst zu kommen. Das wäre doch etwas Wunderbares.“

Bild: Mark Douet / Gettyimages; Porträt: Melanie Frowein