Facebook-CEO Mark Zuckerberg

Was man im Internet auch liest, Werbung verfolgt einen immer. Anzeigen einer Fluggesellschaft in einem Onlinemagazin, Werbung für Hi-Fi-Geräte in einem Blog, Haushaltsgeräte in einem Forum für Eltern. Der Grund sind digitale Werbealgorithmen.

Die wissen, dass man erst ein paar Tage zuvor Flüge in die USA gebucht, sich über einen Lautsprecher informiert hat oder eine neue Spülmaschine sucht.

„Third Party cookies“ heißen die Programmschnipsel, mit denen Werber die Menschen durchs Netz verfolgen, um ihnen bestimmte Werbung anzuzeigen. Und zwar auf jeder Internetseite, die sie besuchen. Diese Technik steht vor dem Aus, ein Milliardenmarkt verändert sich. Allerdings anders als von der Politik geplant.

Die EU hat in Artikel 4 ihrer Datenschutzregeln aus dem Jahr 2016, der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verfügt, dass Nutzer der Verarbeitung ihrer Daten zustimmen müssen. Seither klicken die immer öfter auf „Nein“, sie lehnen ab.

Die EU-Datenschutzregeln machen weltweit Schule. Der US-Bundesstaat Kalifornien etwa hat seinen California Privacy Act nach ihrem Vorbild gebaut. Hinzu kommt, dass auch die Hersteller von Internetbrowsern – etwa Apple, Mozilla und Google – seit einigen Monaten gegen die Werbetechnik vorgehen. Sie sperren ihre Browser gegen das Tracking.

Die Nutzer haben nur bedingt etwas davon. Wer von den neuen Datenschutzregeln profitiert, sind Google und Facebook, die Internet-Riesen. Jene Firmen also, deren Marktmacht und Datensammelwut die EU einhegen wollte.

Die Großen sammeln Daten mit ihren Apps

Denn sie teilen inzwischen mehr als die Hälfte aller OnlineMarketingumsätze unter sich auf. Und sie behalten umfassenden Zugang zu den wichtigsten Daten. Sie brauchen die Cookie-Technik nämlich nicht.

Sie haben ihre Apps, Browser und Webdienste, mit denen sie Daten für personalisierte Werbung sammeln. Werbeexperten wie der Berliner Marketingberater Andre Alpar haben einen Namen für die geschlossenen Werbenetzwerke der beiden großen Internetkonzerne: walled gardens – gesicherte Gärten.

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Was das bedeutet, erklärt Alpar so: „Google kann den Weg seiner Nutzer durch das Netz problemlos ohne Cookies nachvollziehen.“ Mithilfe von Suchanfragen, der Login-Funktion auf vielen Seiten, der Anmeldung mit dem Google-Konto im Chrome-Browser. Google kann mit seinem Mobilbetriebssystems Android sogar Nutzer über verschiedene Geräte hinweg verfolgen. Im Ergebnis erscheint auch auf dem Handy Werbung zu Themen, zu denen man auf dem PC oder Laptop das Internet durchsucht hat.

Zudem kennt Google wichtige Daten wie die Position der Nutzer, Alter und Wohnort. Gesammelt haben sie der Browser Chrome und das Betriebssystem Android. Android hat derzeit weltweit einen Marktanteil von knapp 90 Prozent, Chrome 70 Prozent.

Der US-Wahlkampf zeigt nun die Macht

Ähnlich gut informiert ist nur Facebook. Dessen Datensammelmaschinen, vor allem auf dem Handy, sind Apps wie Instagram und WhatsApp.

Im Moment zeigt der Wahlkampf in den USA, wie Google und Facebook ihre Datenmacht zu Geld machen. Sie bekommen bisher mehr als drei Viertel der umgerechnet 1,25 Milliarden Euro, mit denen alle Parteien im Internet um Wähler buhlen.

Für Betreiber von Websites ist die personalisierte Werbung eine wichtige Einnahmequelle – fällt sie weg, sinken Erträge aus Werbeflächen im Netz um etwa die Hälfte.

„Google und Facebook fällt es unter den neuen Regeln leichter als anderen Marktteilnehmern, ihr Ökosystem für gezielte Werbung zu nutzen“, sagt Alexander Gösswein, Geschäftsführer der französischen Onlinemarketingfirma Criteo in Deutschland. „Die europäischen Regierungen hatten sich von der DSGVO erhofft, die Marktmacht der großen amerikanischen Internetunternehmen einzudämmen.“ Geschehen sei das Gegenteil.

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Für Firmen wie Criteo ist das ein Problem. Bislang ist es ihr Geschäft, den Weg der Nutzer durchs Netz zu verfolgen. Criteo speichert ein „Cookie“ im Browser-Speicher. Später lesen Werbebanner, etwa auf Nachrichtenportalen, diese Cookies aus.

So wissen sie, wo ein Nutzer unterwegs war, welche Werbeinhalte zu seinen Interessen passen könnten. Diese Funktion aber torpedieren die Hersteller in den neuen Versionen ihrer Browser. Sie sperren die Technik, werden zu einer Regulierungsinstanz im Internet.

Apple hat damit begonnen, die Verteidigung der Privatsphäre als Verkaufsargument einzusetzen. Der Konzern bekämpft die Werbebranche mit großer Härte. Seinen Safari-Browser rüstet er seit einiger Zeit mit automatischen Löschfunktionen gegen Cookies aus und blockt weitere Tricks der Werber, etwa das Wiedererkennen der Nutzer über Merkmale wie Geräte-Hardware oder installierte Apps.

Die Programmierer von Mozillas Firefox legten im Herbst nach. Auch ihr Browser blockt Werbetechnik. Mitte Januar kündigte Googles Chromium-Programmierer an, ab 2022 Werbe-Cookies zu blockieren.

Ein Fall für die EU-Kartellwächter?

„Dabei geht es nicht nur um Cookies“, sagt Kai Geertsema, Director der Marketinganalysefirma Analytic Partners in Deutschland. „Die Browser-Hersteller gehen mit künstlicher Intelligenz auch gegen andere Formen der Nutzeranalyse vor. Sie blockieren sogar Treuhandsysteme oder Weiterleitungs-Webseiten, die die Branche gerade datenschutzkonform etabliert.“

Das bedeutet, dass es für alle Firmen außer Google und Facebook schwierig wird, Nutzern personalisierte Werbeangebote zu machen. Damit geht der Onlinewerbebranche ihr wichtigstes Werkzeug verloren. Criteo hat seit Inkrafttreten der DSGVO gut drei Viertel des Börsenwertes verloren.

Ein Forscherteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) kommt zu dem Schluss, dass sich der Markt gerade in ein Hoheitsgebiet der Techriesen verwandelt. Die Zahl der verwertbaren Nutzerdaten sinke, der Preis für personalisierte Anzeigen im Netz steige.

„Insgesamt ist davon auszugehen, dass vor allem die großen walled gardens von der DSGVO profitieren“, sagt Studienautor Tobias Salz. Also: YouTube, Facebook, Googles Webdienste, bei denen die Zustimmung zum Tracking Bedingung für die Nutzung ist. Kleinere Firmen dagegen verlieren ihr Geschäftsmodell. „Damit werden die Nutzer dieser walled gardens noch hartnäckiger verfolgt, da ihr Werbewert steigt.“

Nur die Kartellbehörden könnten die Großen noch gefährden, sagt Salz. Besonders Google riskiere das. Wenn der wichtigste Browserhersteller das Unternehmen mit den höchsten Anteilen im Werbemarkt ist und diese Firma der Konkurrenz den Zugang zu Daten über den Browser abschneidet, sei das wettbewerbsrechtlich relevant.

Google hat nun die Branche aufgefordert, gemeinsam ein Modell für die Verwaltung von Nutzerdaten für die Werbung zu entwickeln. Eine sogenannte „Privacy Sandbox“ im Browser, bei der festgelegt wird, welche Daten Werber wie lange nutzen können. „Damit kommt Google eine absolute Schlüsselrolle als Treuhänder der Nutzerdaten zu“, sagt Google-Konkurrent Gösswein. Kaum vorstellbar, dass das das Ziel der EU war, als sie den Datenschutz runderneuerte.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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