In Großstädten, wie hier in Marseille, werden sie unachtsam ins Wasser geworfen: E-Tretroller

In Frankfurt am Main habe ich sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal in Aktion erlebt. Innerhalb von zehn Minuten überholten mich mehrere E-Tretroller auf dem Fahrradstreifen. Einige Exemplare waren auf dem Gehweg abgestellt. Kapiert habe ich den Hype bis heute nicht. Wem sollen sie in der Großstadt nützen? Anderswo würde ich sie viel lieber sehen: auf dem Land.  

Wenn ich mich in Frankfurt oder Berlin fortbewegen möchte, steige ich in eine U-Bahn oder in die Tram. Alternativ laufe ich die letzten Meter zwischen Bushaltestelle und Airbnb. Ja, sogar in Berlin gibt es Flecken, die mit dem ÖPNV schlecht zu erreichen sind, aber Fahrräder stehen per App zum Ausleihen bereit. 

Wer wie ich oft in Dörfern unterwegs ist (und in Wiesbaden wohnt, wo Tier Mobility erst seit zwei Tagen E-Tretroller vermietet), auf den wirken die endlosen Roller-Diskussionen absurd: Fußgänger fürchten um ihren Bürgersteig, Städte ärgern sich über Wildparker und in Amsterdam oder Paris müssen die Fahrzeuge aus Flüssen gefischt werden.

Währenddessen sind 16 Millionen Menschen, die hierzulande im ländlichen Raum leben, kaum aus ihren Autos zu kriegen. Weil sie mit dem Nahverkehr unzufrieden sind, ist der Pkw in vielen Fällen die naheliegendste Option, wie eine Umfrage des ADAC Ende vergangenen Jahres zeigte. Flexible Lösungen zur Mikromobilität könnten also gerade dort einen Unterschied machen.

Rollend vom Bahnhof nach Hause

Beispiel gefällig? Wie praktisch wäre so ein Tretroller, wenn es darum geht, Pendler von einem Bahnhof oder einer Bushaltestelle umweltfreundlich (im Vergleich zum privaten Pkw) in umliegende Dörfer zu befördern? Oder nachts von einem Dorffest nach Hause? Ich würde mir ein flächendeckendes Elektro-Sharing-Angebot in Deutschland wünschen, das tatsächlich vorhandene Mobilitätslücken schließt und nicht wie in der Stadt ein Scheinproblem löst. Im urbanen Raum können E-Tretroller die Verkehrswende offenbar sowieso kaum vorantreiben. Eine Analyse des Umfrage-Startups Civey legt das nahe. Demnach werden die Scooter insbesondere abends und am Wochenende genutzt – in der Freizeit.

Die berüchtigte erste und letzte Meile (engl. First beziehungsweise Last Mile) – also die ersten und letzten Meter vor der eigenen Haustür – stellen in der Provinz ohnehin ein viel dringlicheres Problem dar. Am Ende sind es nämlich auch Dorfbewohner, die lieber mit dem SUV bis in die Tiefgarage nach Frankfurt fahren als am nächstgelegenen Bahnhof mit S-Bahnanschluss um Parkplätze zu konkurrieren.

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Ich gehe davon aus, dass die Landbevölkerung mit Sharing-E-Tretrollern oder Sharing-Lastenrädern achtsamer umgehen würde als dies unter dem Schutz der Anonymität in der Großstadt passiert. Dort herrscht eine derartige Fahrzeug-Inflation, dass mit den Tretrollern sorglos umgesprungen wird – vergammelte Döner in der Fahrrad-Gepäcktasche oder E-Scooter, die in Bäumen hängen, sind nur zwei Beispiele dafür. 

Ob sich eine Präsenz auf dem Land für die Sharing-Anbieter rechnen würde, ist natürlich fraglich. Auch logistisch gäbe es Hürden zu bewältigen. Aber breitere Mobilitätsangebote und bessere Anschlüsse an Orte, in denen es Arbeitsplätze gibt, könnten Autofahrten reduzieren und Anreize für Städter sein, wieder aufs Land zu ziehen. Das könnte die Wohnsituation in Städten entspannen.

Erster Schritt: der Stadtrand und die Nicht-Millionenstädte

In einem ersten Schritt sollten Anbieter ihre Fahrzeuge auch am Stadtrand positionieren. So macht es etwa Voi in Hamburg. In den Stadtteilen Berne und Poppenbüttel sollen die E-Tretroller der schwedischen Marke Anwohnern dabei helfen, die Strecke zwischen Haus und Haltestelle zu bewältigen. „Wir planen, uns Stück für Stück in die Außenbezirke vorzuarbeiten“, sagt Christopher Kaindl, der bei Voi die Marktentwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortet. Man wolle für Pendler attraktiver werden. Dazu arbeite man mit Verkehrsbetrieben wie der Hamburger Hochbahn zusammen. Klar ist: Die Anbieter werden auch ihre Preismodelle anpassen müssen, noch lohnt sich der Umstieg auf den Roller für Pendler nicht. 

Indes rechnet das Startup Circ damit, in den nächsten Monaten in 80 weiteren Städten und Kommunen in Deutschland aktiv zu werden. Ein weiterer Hoffnungsschimmer für Landmenschen mit Fortbewegungsdrang.

Laut dem Bundesverband für Kleinstfahrzeuge ist der Verleih von E-Tretrollern derzeit in circa 60 Städten in Deutschland möglich oder konkret angekündigt. Darunter sind Städte wie Lübeck, Hannover, Offenburg und Trier. Warum nicht auch Orte wie Nastätten, Aalen oder Leipheim?

Ohne Frage: Wenn man den ländlichen Raum verkehrstechnisch besser anschließen will, muss der Staat aushelfen. Vielleicht, indem er das Autofahren und das Parken in Großstädten deutlich teurer und damit unattraktiver macht und das Geld in eine bessere Anbindung der ländlichen Gegenden investiert. Solange es in Städten günstige Parkplätze gibt und der Pkw die Vorherrschaft hat, wird kein Autofahrer auf die Idee kommen, auf einen E-Tretroller umzusteigen. Ebenso lange werden Abgase, Stau und Lärm ein Problem sein und E-Tretroller ein Randphänomen bleiben.

In Wiesbaden wird es mit dem ÖPNV nach Mitternacht schon schwierig, überall hinzukommen. Wer weiß, vielleicht ändert sich durch die E-Tretroller hier schon bald etwas. Wir sollten aber noch weiter denken – und bei der Verkehrswende die Kleinstädte und Dörfer nicht vergessen.

Bild: Getty Images / GERARD JULIEN / Kontributor; Hinweis: Den Jobtitel von Christopher Kaindl (Voi) haben wir nachträglich korrigiert.