In Deutschland sind Vaporizer von Startups noch nicht verboten.

Die Patienten sind außer Atem, haben Fieber, müssen sich übergeben. Und das, obwohl sie eigentlich jung und fit sind. Einige von ihnen verbringen Wochen auf der Intensivstation, manche im künstlichen Koma, ehe sie wieder zu Kräften kommen. Andere schaffen es nicht. Sechs Todesfälle gibt es in Amerika inzwischen, die Ärzte auf den Gebrauch von E-Zigaretten zurückführen. Warum genau die Raucher erkranken, wissen sie nicht. Von einer „mysteriösen Epidemie“ ist die Rede.

Rund 450 Erkrankungen in 33 Bundesstaaten wurden bisher gemeldet. Die Experten vermuteten zunächst, dass bei der Herstellung giftige Substanzen in die Flüssigkeiten gelangt sind, die in den E-Zigaretten erhitzt werden und deren Dampf der Raucher einatmet. Es gibt aber keine Häufung bei einem bestimmten Produkt, deshalb gilt diese Theorie inzwischen als unwahrscheinlich. Stattdessen glauben die Mediziner nun, dass die Erkrankten illegale Flüssigkeiten nutzten, gekauft bei Straßenhändlern. Das deutet auf eine Gefahr hin, über die bisher wenig gesprochen wird. Alle reden darüber, dass E-Zigaretten junge Menschen zum Rauchen verführen, dass sie eine neue Generation in die Nikotin-Abhängigkeit treiben. 

US-Regierung plant Verbot von E-Zigaretten mit Aromastoffen

Aber es gibt noch ein weiteres Problem: Nämlich dass die Leute die batteriebetriebenen Geräte nutzen, um noch ganz andere Drogen zu inhalieren, vor allem Cannabis, das in mehreren US-Bundesstaaten legal erworben werden kann. Wird Cannabis in einer E-Zigarette erhitzt, können chemische Prozesse dafür sorgen, dass extrem schädliche Substanzen freigesetzt werden, warnen Experten.

Nach den Todesfällen gerät die Industrie unter Druck. Die amerikanischen Behörden haben eine ungewöhnlich deutliche Warnung ausgesprochen. Sie forderten die Amerikaner auf, derzeit gänzlich auf E-Zigaretten zu verzichten. Aber das ist noch nicht alles. Gerade wurde bekannt, dass die US-Regierung ein landesweites Verbot von E-Zigaretten mit Aromastoffen plant, also zum Beispiel mit Frucht-, Menthol- oder Pfefferminzgeschmack. Die süßlichen Zusatzstoffe sind besonders bei jungen Leuten beliebt. Künftig sollen nur noch Produkte mit Tabakgeschmack erlaubt sein. 

Verheerende Nachrichten für Marken wie Juul, Altria und Vuse, die in Amerika einen rasant wachsenden Markt bedienen. Der Lebensmittelbehörde FDA zufolge nimmt die Zahl der jungen Raucher in den USA „dramatisch“ zu. Im vergangenen Jahr griffen demnach 3,6 Millionen Schüler zu E-Zigaretten. 2017 waren es noch 2,9 Millionen, 2016 rund 2,4 Millionen.

Der größte Hersteller ist Juul mit einem Marktanteil von 75 Prozent. Die Behörden nahmen kürzlich Ermittlungen gegen das Unternehmen auf. Sie wollen herausfinden, ob Juul zu Unrecht damit warb, eine gesunde Alternative zu herkömmlichen Zigaretten anzubieten.

„Es bedarf in Deutschland einer nationalen Klärung“

„Menschen sterben durch das Rauchen von E-Zigaretten“, sagte Präsident Donald Trump, als er im Oval Office das geplante Verbot von Produkten mit Aromastoffen ankündigte. Seine Frau Melania und er seien als Eltern beunruhigt über die Erkrankungswelle, die derzeit durch Amerika rolle. 

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Der FDA zufolge werden E-Zigaretten mit Aromastoffen von den Herstellern dafür genutzt, um gezielt junge Leute an das Rauchen heranzuführen. Mehr als ein Viertel der Oberschüler in den USA hat der Behörde zufolge in den vergangenen 30 Tagen E-Zigaretten konsumiert. Sie erinnern an süße Alkopops aus hochprozentigen Spirituosen und Fruchtsäften, die in den 2000er-Jahren in Deutschland viele Jugendliche erstmals an den Alkoholkonsum heranführten. Nach Kritik sorgte eine Sondersteuer dafür, dass diese wieder vom Markt verschwanden. 

Das Aus sämtlicher E-Zigaretten, außer wenn sie nach Tabak schmecken – so etwas haben Politiker oder Verbraucherverbände in Deutschland bisher nicht gefordert. Die langjährige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, die gerade als CSU-Mitglied in das Europäischen Parlament gewechselt ist, sprach nie von einem Verbot von Liquids für E-Zigaretten. Doch dies kann sich ändern. Denn die Haltung ihrer Nachfolgerin Daniela Ludwig ist nicht bekannt. Die Juristin übernimmt das Amt gerade. Sollte es hierzulande zu ähnlich dramatischen Fällen kommen wie in den USA, dürfte eine ganz andere Diskussion um die Freiheiten der E-Zigarettenbranche einsetzen. Schließlich hat das Haus der Drogenbeauftragten bereits auf Missstände in der deutschen Regulierung der E-Zigaretten hingewiesen. „Der Markt ist unübersichtlich, und es bedarf in Deutschland einer nationalen Klärung etwa bei den Inhaltsstoffen der Flüssigkeiten“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.

Dieses Thema wiederum liegt in der Verantwortung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Dort wird an einer sogenannten Produktrahmenrichtlinie gearbeitet. Wann es eine verbindliche Liste der zulässigen Stoffe in den Flüssigkeiten geben wird, ist offen.

Rasanter Aufstieg der E-Zigarette in Deutschland

Die Unternehmen selbst verweisen darauf, dass es sich bei den Fällen in den USA um illegal erworbene und nicht regulär zugängliche Flüssigkeiten handelt. Der zuständige Verband des E-Zigarettenhandels rät denn auch „dringend von Straßenkäufen, Eigenimporten und dem Erwerb von E-Liquids oder vorbefüllten Pods aus unseriösen Quellen“ ab. Zudem verweisen die Lobbyisten auf ein „hohes Sicherheitsniveau in Deutschland, da in der Europäischen Union nur regulierte Inhaltsstoffe verwendet werden dürfen“.

Doch die Diskussion dürfte auch hierzulande entbrennen. Schließlich werden in Deutschland Tabakzigaretten mit Menthol ab Mai 2020 verboten sein. Dies gilt auch für entsprechende E-Zigarettenkapseln. Generell stehen die oftmals süßlichen Zusatzstoffe in der Kritik. Die meisten der verkauften Flüssigkeiten enthalten Aromen wie Apfel, Mango oder Vanille. Dadurch wird das Raucherlebnis im Vergleich zu einer Tabakzigarette als weniger stark oder hart beschrieben. 

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Im Unterschied zu den USA schreibt die europäische Tabakrichtlinie jedoch schärfere Werte und Regeln für E-Zigaretten vor. Die in den Vereinigten Staaten weit verbreitete Zigarette Juul zum Beispiel gilt auch deshalb als problematisch, weil die Kapseln bis zu 50 Milligramm Nikotin je Milliliter Flüssigkeit enthält. In der EU ist diese Menge verboten. Die Tabakrichtlinie lässt höchstens 20 Milligramm Nikotin je Milliliter zu. Auch bei den Zusatzstoffen herrschen im amerikanischen Markt größere Freiheiten, als es die europäische Richtlinie erlaubt. Juul gehört dem Marlboro-Konzern Altria. Außerhalb der USA ist der Konzern Philip Morris der Verkäufer dieser Zigarettenmarke. Beide Unternehmen wollen fusionieren.

Ähnlich wie in den USA erlebt die E-Zigarette auch in Deutschland einen rasanten Aufstieg. Je nachdem, wie der Markt betrachtet wird, schwanken die für dieses Jahr erwarteten Umsatzzahlen zwischen 400 und 600 Millionen Euro. Das Wachstum dahinter liegt im zweistelligen Prozentbereich. Der Vergleich zur Tabakindustrie zeigt: Jede zehnte in Deutschland gerauchte Zigarette ist eine elektronische Variante. Dahinter wiederum stehen rund zwei Millionen E-Zigarettenraucher.

Und trotz des allgemeinen Trends zum Nichtrauchen steigt bei jungen Leuten in Deutschland der Konsum von E-Zigaretten an. Rund vier Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen und fast sieben Prozent der jungen Erwachsenen gaben bei einer Umfrage im Jahr 2018 an, in den vergangenen 30 Tagen E-Zigaretten geraucht zu haben, wie aus einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hervorgeht. Im Jahr 2012 betrug dieser Anteil nur knapp drei Prozent bei den Jugendlichen und vier Prozent bei den jungen Erwachsenen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Martina Paraninfi / Getty Images