Hendrik Brandis ist Mitgründer und einer von 14 Partnern der Berliner Wagniskapitalfirma Earlybird.

„Wenn das so weitergeht mit den circa 15 Prozent, drehe ich bald durch“, schrieb Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer kürzlich auf Linkedin. Und Investorin Sarah Nöckel sagte im Gründerszene-Interview: „VCs investieren in ihr Netzwerk – also bekommen meistens Männer das Geld.“ Zwei Sätze, die die aktuelle Debatte um Geschlechtergerechtigkeit perfekt umreißen: Wir haben in Deutschland zu wenige Startup-Gründerinnen (besagte 15,7 Prozent), und das hat auch damit zu tun, dass in den Wagniskapitalfirmen vor allem Männer entscheiden, wer das Geld bekommt. So der Tenor, den auch Recherchen von Gründerszene stützen.

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Mitten in diese Diskussion hinein platzte nun der Berliner VC Earlybird mit der Nachricht, dass er einen neuen Partner hat. Tim Rehder wurde in den obersten Führungskreis des 1997 gegründeten Wagniskapitalgebers berufen – als 14. Mann, Frauenquote im Gremium: null. Wie passt das in diese Zeit und was hat es mit der Philosophie von Earlybird zu tun? Das wollten wir von Partner und Mitgründer Hendrik Brandis wissen.

Hendrik, warum hat Earlybird im 23. Jahr seiner Firmengeschichte zwar 14 Partner, aber keine Partnerin?

Das würden wir uns anders wünschen, zumal wir schon Partnerinnen hatten, Vera Kallmeyer und Sabine Bendiek, die heute Microsoft-Deutschlandchefin ist. Beide sind uns leider nicht erhalten geblieben. Aber Fakt ist, dass wir über die Jahre auch immer sehr viel mehr männliche Bewerber hatten. Deshalb haben wir uns schwergetan, junge weibliche Investment Professionals an Bord zu holen, die wir zu Partnerinnen hätten entwickeln können. Das ist in letzter Zeit ein bisschen besser geworden. Sicherlich auch, weil Female Entrepreneurship viel mehr in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Unsere Frauenquote im Investment-Team liegt bei knapp 20 Prozent, aber damit sind wir noch lange nicht am Ziel.

Im Partnerkreis liegt sie bei null Prozent. Wie du sagst, ist die Debatte größer geworden. Wäre es da bei eurer jüngsten Partner-Ernennung vor einigen Wochen – der ersten seit vier Jahren – nicht mal an der Zeit gewesen für eine Frau?

Unsere generelle Philosophie – da unterscheiden wir uns sicher von Mitbewerbern – ist, dass wir seit Langem keine Senior-Positionen von außen besetzen. Wir würden also keinen Partner und keine Partnerin abwerben. Wir haben in der Vergangenheit mitunter einfach zu schlechte Erfahrungen mit Senior Professionals gemacht, die zu uns gekommen sind. Wir haben uns deswegen vor vielen Jahren entschieden, das Team lieber von innen heraus zu entwickeln. Das führt eben dazu, dass man vor allem junge Analystinnen oder Associates einstellt und es Zeit braucht, bis man sie zur Partnerin machen kann.

Jemand von außen anzuheuern, was viel schneller ginge und ja auch ein Zeichen setzen würde, kommt für euch also nicht infrage?

Das wäre zwar ohne Frage schneller. Aber für uns ist die Konsistenz und Integrität des Investment-Teams entscheidend, das hat nichts mit Frau oder Mann zu tun. Und da muss man einfach akzeptieren, dass es eine Zeit lang dauert, bis sich auch in den Senior-Positionen eine Geschlechterbalance einstellt. Da jetzt unbedacht und hektisch zu reagieren oder auch aktivistisch, wäre vielleicht populär, es ist nach unserer Erfahrung aber eben nicht sonderlich nachhaltig.

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Euer neuester Partner Tim Rehder, kam erst vor zwei Jahren zu Earlybird. Ganz so lange dauert es also offenbar nicht, bis man bei euch die Karriereleiter erklommen hat, zumindest als Mann.

Das hängt natürlich davon ab, auf welchem Level man bei uns einsteigt. Fakt ist: Der Anteil der Bewerberinnen ist auf allen Ebenen weitaus kleiner. Da schlägt dann irgendwann die Statistik zu: Wenn ich 90 Prozent männliche Bewerber habe, ist die Wahrscheinlichkeit, unter denen einen qualifizierten Kandidaten zu finden, schlicht höher als unter den verbleibenden zehn Prozent. Der überwiegende Anteil der Bewerbungen kommt auch heute noch von Männern, obwohl wir uns dezidiert um Frauen bemühen. Ich würde mich soweit aus dem Fenster lehnen, zu sagen: Wenn wir heute zwei gleich qualifizierte Menschen vor uns haben, entscheiden wir uns eher für die Frau.

Du sagst, ihr bemüht euch dezidiert um Frauen. Was bedeutet das konkret? Sprecht ihr gezielt Kandidatinnen an, die ihr gern im Team hättet?

Wir haben keinen aktiven Outreach im Sinne von: Diese eine Person würden wir gern unbedingt an Bord holen. Wir schreiben auch nie Stellen aus, weil wir sonst erschlagen würden von Bewerbungen. Stattdessen streuen wir in unseren Netzwerken, zum Beispiel am CDTM in München (Center for Digital Technology and Management, das Gründerzentrum der staatlichen Universitäten in der bayrischen Landeshauptstadt, Anm. d. Red.), dass es bei Earlybird immer wieder Praktikumsplätze gibt. Ohne ein dreimonatiges Internship wird bei uns niemand eingestellt. Und da freuen wir uns besonders über weibliche Bewerber, das sage ich an jeder Stelle, an der ich kann.

Wenn das euer Weg ist, Frauen in Junior-Positionen zu holen: Wie viele Jahre dauert es dann noch, bis sich das auch ganz oben, im Partnerkreis, abbildet?

Bis eine Associate sich zur Partnerwahl stellen kann, vergehen im Schnitt vier bis fünf Jahre. Früher wird sich also an unserer Partnerinnenquote nichts ändern. Das ist nichts, was wir begrüßen, sondern sehr bedauern.

Warum wehrt ihr euch dann so dagegen, Partnerinnen von außen anzuheuern?

Es geht hier überhaupt nicht um Partnerinnen oder Partner. Nach unserer – offen gestanden mitunter auch leidvollen – Erfahrung mit externen Senior-Hires, ist uns der Preis zu hoch, den man dafür möglicherweise zahlt. Wenn uns ein Partner wieder verlässt, ist das für unsere Reputation extrem schwierig. Investoren, die in Venture Manager wie uns investieren, wollen immer wissen: „Welche Partner haben euch verlassen, wann und warum?“ Die haben vor nichts mehr Angst, als dass sich Teams zerstreiten und aus ihrem investierten Geld nichts wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir Stabilität garantieren können, wenn wir Leute zu Partnern machen, die wir selber über viele Jahre in unserem Team sozialisiert haben, ist einfach sehr viel höher. Es dauert zwar noch ein bisschen, aber ich bin davon überzeugt, dass sich die Situation in den kommenden Jahren auswächst.

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Gilt das auch für euer Portfolio? Nicht einmal acht Prozent der Startups, in die ihr investiert habt, wurden von Frauen gegründet oder mitgegründet.

Das ist eine Reflexion des Marktes. Wir können nur die finanzieren, die auch bei uns vorstellig werden und um Kapital bitten. Es ist die Aufgabe von uns allen, Frauen zu ermutigen, den Unternehmerweg zu gehen. Es gibt genauso viele kompetente, unternehmerisch begabte Frauen wie Männer. Das ist großes, schlummerndes Potenzial, das wir beklagenswerterweise nicht ausreichend erschließen und nutzen. Das ist blöd für die Volkswirtschaft, für uns als Investoren – und natürlich für die Gründerinnen.

Siehst du gar keinen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass ihr keine Frauen im Partnerkreis habt, und der, das so wenige Gründerinnen von euch finanziert werden? Wir hören immer wieder, dass Investorinnen eher auf die richtigen Events gehen oder auch Produkte von Gründerinnen besser verstehen.

Ich sehe da persönlich keinen Zusammenhang, aber ihr fragt zurecht: Wie objektiv ist er da als Mann? Als solcher werde ich nur selten auf Gründerinnen-Kongresse eingeladen. Hätten wir Partnerinnen, würden die dort vielleicht auf den Panels sitzen, als Frauen für Earlybird sprechen und Gründerinnen mehr Mut geben, bei uns vorstellig zu werden. Ich kann schlecht beurteilen, wie viele Deals deswegen nicht zu uns kommen. Aber man kann nicht sagen, dass wir weniger affin für Produkte wären, die sich eher an ein weibliches Publikum richten. Wir haben zum Beispiel die Second-Hand-Modeplattform Videdressing finanziert.

Sensibilisiert ihr eure Leute für das Thema „Unconscious Bias“, also dafür, dass sie nicht immer nur ins eigene Netzwerk schauen sollen, sondern bewusst auch darüber hinaus?

Unsere Mitarbeiter sind extrem dafür sensibilisiert, wir kennen das Problem. Deshalb würde ich bei Earlybird vielleicht sogar eher von einem Positiv-Bias für Frauen sprechen. Wir wollen Gründerinnen fördern und Frauen dazu ermutigen zu gründen. Deshalb lassen wir tolle Gründerinnen auch dann in die nächste Runde kommen, wenn ihr Thema noch nicht ganz rund ist.

Bild: Earlybird