Der winterliche Hafen von Finnlands Hauptstadt Helsinki

Bloß kein gemeinsames Foto! Das schien die Strategie der finnischen Sozialministerin Pirkko Mattila zu sein, als sie am Freitagmorgen den dünnen Band entgegennahm. Schnell griff die Politikerin nach dem Bericht mit den ersten Ergebnissen des Grundeinkommensexperiments, gab Untersuchungsleiter Olli Kangas kurz die Hand – und drehte sich sofort weg. Kein minutenlanges Händeschütteln für die Kameras, kein gemeinsames Posieren mit dem Berichtband – Freude sieht anders aus.

Das finnische Experiment mit einem Grundeinkommen hat zwar Menschen weltweit elektrisiert; in Finnland hat es allerdings vor allem für politische Diskussionen gesorgt. Tatsächlich wurde das Projekt von Anfang an begleitet von Strategiewechseln, Rückschlägen und Enttäuschungen – nicht zuletzt, weil zwischen der Ausarbeitung der ursprünglichen Pläne und dem Start des Projekts die Regierung wechselte.

Tatsächlich hat die finnische Regierung das ursprüngliche Projekt erheblich gestutzt. Ein Institut mit dem politischen Auftrag, Sozialexperimente zu entwickeln, hatte ursprünglich vorgeschlagen, in Finnland ein bedingungsloses Grundeinkommen zu testen. Schließlich fasziniert die Idee auch in dem nordischen Land viele Menschen: Wie entwickelt sich eine Gesellschaft, in der jeder vom Staat bedingungslos Geld bekomme, keiner mehr zum Arbeiten gezwungen wäre und alle sich jenseits materieller Zwänge verwirklichen könnten? Diese Fragen wollten die Wissenschaftler mit einem großen Sozialexperiment testen.

2000 Arbeitslose bekamen zwei Jahre lang Geld

Einzig: Nach dem Regierungswechsel veränderte die liberal-konservativ-rechtsnationale Koalition die Zielsetzung des Projekts. Zwar redete sie weiter vom Grundeinkommen, aber sie wollte keine gesellschaftliche Utopie testen. Stattdessen strebte die Regierung jetzt das Gegenteil an: Sie wollte mit Hilfe der Forscher herausfinden, wie Arbeitslose dazu gebracht werden können, auch schlecht bezahlte Jobs und Teilzeitstellen anzunehmen, um ihre Sozialleistungen aufzustocken und sich auf diese Weise aus der Erwerbslosigkeit zu arbeiten.

Die Teilnehmer des Experiments wurden denn auch nur aus einer eng definierten Gruppe ausgelost: Treffen konnte das Los alle Personen, die im Dezember 2016 in Finnland seit Längerem arbeitslos waren und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, also einen Job suchten oder gerade in einer Weiterbildung waren. Wie ein gesamtgesellschaftliches bedingungsloses Grundeinkommen wirken würde, das ließ sich in solch einer Konstellation natürlich nicht feststellen.

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Gleichwohl war das Projekt revolutionär und in jeder Hinsicht eine Ausnahmestudie: 2000 Arbeitslosen wurden dabei zwei Jahre lang 560 Euro pro Monat gezahlt; das entspricht ungefähr dem Sozialhilfesatz. Der Unterschied zu regulären Sozialhilfeempfängern: Zusätzliches Einkommen aus einem Job oder einer selbstständigen Tätigkeit konnten die Teilnehmer komplett behalten.

Nicht nur der Teilnehmerkreis und die Ziele des Experiments wurden unter der neuen Regierung dramatisch verändert. Bereits nach dem ersten Jahr erklärte die Sozialverwaltung Kela überraschend das Aus des Experiments. Das Anfang 2017 gestartete Projekt werde nur noch bis Ende 2018 laufen und dann evaluiert.

All diese Enttäuschungen dürften denn auch mitverantwortlich sein für die emotionale Ansprache von Chef-Forscher Kangas bei der Übergabe der ersten Ergebnisse: „Wären wir in der Lage gewesen, das Projekt wie geplant durchzuführen, könnten wir jetzt das beste Experiment der Welt auswerten“, sagte der Wissenschaftler. „Was wir jetzt auswerten, ist viel kleiner als der ursprüngliche Plan und aus vielen Gründen verwässert worden.“

Wenig Erkenntnisse für Hartz IV

Auch die ersten Ergebnisse, die Kangas und seine Kollegen am Freitag vorgelegt haben, dürften für Ernüchterung bei vielen Beobachtern sorgen. Das liegt zunächst am Umfang: Das Experiment ist erst seit gut einem Monat zu Ende; in der kurzen Zeit konnten die Forscher nur begrenzt Daten auswerten.

Die Annahme, dass das „Perustulo“ – so heißt das finnische Grundeinkommen – es für die Betroffenen lukrativer mache, Arbeit anzunehmen, scheint sich nicht zu bewahrheiten, zumindest nicht im ersten Jahr. Die Empfänger waren im Schnitt auf das ganze Jahr 2017 gerechnet einen halben Tag länger in Arbeit als andere Langzeitarbeitslose – ein praktisch nicht relevanter Unterschied, sagt Ohto Kanninen, einer der beteiligten Wissenschaftler.

„Wir können sagen, dass die Empfänger des Grundeinkommens im ersten Jahr genauso gut oder genauso schlecht einen neuen Job gefunden haben wie die Vergleichsgruppe“, sagt Kanninen. Die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit waren für die Teilnehmer sogar leicht niedriger als für andere Langzeitarbeitslose in der Kontrollgruppe.

Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings doch: Die erwerbsfähigen Bezieher der finnischen Sozialhilfe müssen wie im deutschen System Bedingungen erfüllen, um die Zahlungen zu erhalten – beispielsweise Bewerbungen schreiben oder an Weiterbildungen teilnehmen. Wenn also Teilnehmer, die bedingungslos Geld bekommen, genauso schnell wieder einen Job finden wie jene, die diesen Zwängen unterliegen, wäre das durchaus eine bemerkenswerte Erkenntnis. Und es würde all jene bestätigen, die hierzulande fordern, auf die Hartz-Sanktionen zu verzichten.

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Wenn da nicht ein kleines Problem wäre: Dreiviertel der „Perustulo“-Teilnehmer beantragten doch zusätzliche Unterstützung von der Sozialverwaltung Kela – entweder, weil ihnen eine Arbeitslosenunterstützung zustand, die den schmal bemessenen Betrag des Grundeinkommens überstieg, oder weil sie Anrecht auf Kinderzuschläge hatten.

Die Forscher hat das überrascht: „Das bedeutet, dass die Mehrheit der Teilnehmer nicht von den Bürokratieerleichterungen profitiert haben, die im Experiment eigentlich vorgesehen waren“, schreiben die Verfasser des Ergebnisbandes. „Weil sie die reguläre Arbeitslosenunterstützung beantragt haben, profitieren sie auch nicht davon, dass die Arbeitsmarktmaßnahmen nicht mehr verpflichtend sein sollten.“

„Perustulo“-Bezieher hatten mehr Vertrauen

Dass die Wissenschaftler dermaßen kompliziert formulieren, ist nachvollziehbar. Schließlich ist fraglich, ob das Experiment unter diesen Voraussetzungen überhaupt zu relevanten Ergebnissen kommen kann. Dass die Mehrzahl der Beteiligten – bei der Präsentation der Ergebnisse war von 75 Prozent die Rede – zwar ein formal bedingungsloses Grundeinkommen bezog, tatsächlich aber doch den üblichen Druck hatte, eine Arbeit anzunehmen, dürfte die Ergebnisse erheblich verwässern.

Allerdings ging es den Teilnehmern des Experiments trotzdem besser als der Kontrollgruppe der anderen Arbeitslosen: Sie fühlten sich gesünder und weniger gestresst. Während 55 Prozent der Teilnehmer sagten, sie fühlten sich gesund oder sehr gesund, galt das nur für 46 Prozent der Arbeitslosen, die nicht an dem Ergebnis teilnahmen. Das ist eines der Ergebnisse einer telefonischen Umfrage vom Ende vergangenen Jahres.

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Dabei ging es auch um Stress. Während 25 Prozent der Arbeitslosen angaben, in den zurückliegenden zwei Jahren hochgradig oder sogar sehr hochgradig gestresst gewesen zu sein, galt das nur für 17 Prozent der Grundeinkommensbezieher. Außerdem waren die Grundeinkommensbezieher selbstbewusster und zuversichtlicher, in naher Zukunft eine neue Arbeitsstelle zu finden. Auch deutsche Politiker dürften bei einem weiteren Befund aufhorchen: Demnach hatten die „Perustulo“-Bezieher höheres Vertrauen in die Politik, ihre Mitmenschen und die gesamte Gesellschaft.

Das Grundeinkommensexperiment hat auch an anderer Stelle Einschätzungen verändert: „Dieses Projekt stieß weltweit auf enormes Interesse und hatte einen sehr positiven Einfluss auf das Image Finnlands im Ausland“, sagte Sozialministerin Mattila vor der Übergabe. „Wir werden jetzt wahrgenommen als ein Land, das Dinge innovativ angeht.“ Weiterführen oder ausdehnen werde man das „Perustulo“ allerdings nicht, das stehe bereits fest.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / Lingxiao Xie