Tut nur so als ob: der Burger des US-Startups Beyond Meat

Über Sinn und Unsinn von Produkten lässt sich gerade in der Lebensmittelbranche vorzüglich streiten. Beispiel Nahrungsergänzungsmittel: Ihre Wirkung ist zwar wissenschaftlich umstritten, trotzdem verdienen sowohl Startups wie Veluvia oder Primal State als auch angestammte Unternehmen viel Geld damit. Hier wird Essen auch zur Religion, denn rund um die Kapseln und Pillen, etwa aus pulverisiertem Obst und Gemüse, entstehen ganze Communities. Der Chef einer Supplement-Firma aus Nordrhein-Westfalen wird im kommenden Jahr sogar als TV-Investor in „Die Höhle der Löwen“ sitzen.

Ebenfalls ein beliebtes Streitthema war zuletzt die Teemaschine (kein Wasserkocher!) des Wuppertaler Haushaltsgeräte-Konzerns Vorwerk. Ein 600 Euro teures Gerät, das Tee auch App-gesteuert aufbrühen soll? Von Anfang an hielten viele das für unnötig. Doch „Temial“ wurde im Spätsommer erstmals ausgeliefert. Auch wenn es seitdem zu Softwareproblemen und einem Lieferstopp kam, wirbt Vorwerk weiter kräftig für sein Produkt.

Öffentlich diskutiert oder nicht – Food-Trends und solche, die den Titel für sich deklarieren, mögen manchmal seltsam anmuten. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Prognosen für das kommende Jahr für alle, die mitreden wollen. Wir haben deshalb bei Experten nachgefragt: Was werden wir 2019 essen – und wie? Alexandra Laubrinus und Michael Hetzinger vom Festival Berlin Food Week haben uns ihre Einschätzungen gegeben.

1. Alternative Alternativen

Ihr seid mit Sojamilch im Müsli schon gut bedient? Die Food-Week-Macher glauben, dass das noch nicht alles ist. 2019 werden sich Verbraucher nach ihrer Einschätzung noch mehr Gedanken darüber machen, was sie essen. „Die Leute werden zunehmend hinterfragen, wo ihre Ersatzprodukte herkommen“, kündigt Laubrinus an. So sei etwa Soja in der Landwirtschaft ein hoch industrialisiertes Produkt. Die Pflanzen werden zum Teil in riesigen Monokulturen auf ehemaligen Waldflächen angebaut. Milchersatz aus Hafer oder Cashews gibt es schon im Tetra Pak zu kaufen. Laubrinus glaubt, dass die Nachfrage danach steigt – und nennt als weiteres Beispiel Tofu, der aus Kichererbsen statt aus Sojabohnen besteht.

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2. Burger und fleischfreie Patties

Was für Pflanzendrinks und Tofu gilt, lässt sich nach Meinung der Berlin-Food-Week-Macher auch auf Fleischersatz übertragen. Als Anlass nennen sie den Deutschlandstart von Beyond Meat, dessen „Fleisch“-Patties hauptsächlich auf Erbsenprotein basieren, aber täuschend echt aussehen und schmecken. Metro hatte die Marke vor wenigen Wochen in seine deutschen Märkte gebracht. „Es geht bei diesen authentischen Fleisch-Kopien nicht darum, dass das Produkt vegan ist. Das ist nettes Beiwerk. Vor allem geht es um Genuss“, sagt Hetzinger. „Fleischfrei zu leben, nicht unbedingt immer, aber immer wieder, wird damit selbstverständlicher“, ergänzt er. Das US-Tech-Magazin Fast Company geht davon aus, dass 2019 das Jahr ist, in dem alternative Fleischprodukte Mainstream werden.

3. Hochwertiges Fast Food

Anzeichen dafür, dass veganes Junk Food wie tierfreie Burger inzwischen zu einem Mainstream-Phänomen geworden ist, sehen andere schon für das auslaufende Jahr 2018 – zumindest in den USA. Nur weil etwas ohne Fleisch, Milch und Ei auskommt, heißt das aber nicht, dass es auch gesund ist. Im Gegenteil, die vegetarischen und veganen Alternativen sind teils hochverarbeitet, fettig und salzig. Wer auf Dauer gesund bleiben will, für den sollte der tägliche Verzehr also die Ausnahme bleiben. Im Lebensmittelhandel ist die meist direkt verzehrfertige, sogenannte Convenience-Ware schon länger ein Thema. Dass sie 2019 den Rückzug antritt, glaubt Hetzinger von der Food Week nicht. Aber: „Sie wird hochwertiger und durchdachter. Ich denke da zum Beispiel an Frittenlove.“ Die Pommes des Oppenweiler Startups enthalten Zutaten wie Kürbiskerne oder Rosmarin, sind dafür aber deutlich teurer als handelsübliche Markenware.

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4. Mehl ohne Getreide

In Bioläden und Reformhäusern fristeten die Alternativen zu Weizen- oder Roggenmehl aus Mais, Linsen, Reis oder Kastanien lange ein wenig beachtetes Dasein. Inzwischen sind sie sogar in Discountern zu haben. Laubrinus denkt, dass die Nachfrage nach den Produkten in 2019 weiter anziehen wird. Grundloser, übermäßiger Glutenverzicht kann allerdings auch ungesund sein und zum Beispiel eine erhöhte Aufnahme von Schwermetallen bedingen.

5. Schwarze Sapote

Fitness-Magazine feiern die Kaki-ähnliche Frucht gerade. Warum? Ihr Fleisch ist löffelbar, es wird als cremig bis sahnig beschrieben und mit süßem Schokoladenpudding verglichen. Sie enthält dabei deutlich weniger Energie als Nutella und Co, rund 65 Kalorien pro 100 Gramm. Angebaut wird sie etwa in Guatemala oder den Philippinen. Bislang ist sie hierzulande erst in wenigen Läden zu haben. Ob es die kalorienarme Pudding-Frucht im kommenden Jahr wirklich in die Supermärkte schaffen wird?

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6. Spezialisierte Händler

„Craft Food wird zusehends aus der Nische herauskommen und eine breitere Masse ansprechen“, meint Laubrinus. Sie und ihr Kollege sprechen von einer „Rückbesinnung auf kleine, unabhängige Spezialproduzenten“, die Fleisch, Alkohol, Käse und Süßes herstellen. „In Berlin ist das schon zu spüren. Die Leute merken, dass sie die wirklich guten Sachen nicht aus einer Hand bekommen“, so die Food-Week-Geschäftsführerin. Stattdessen seien die Knochenbrühe von Bone Brox, das Brot von Bread Station und der Käse von Blomeyer angesagt. Das könne auch eine Chance für Onlinehändler sein, die die Produkte verschiedener Spezialanbieter im Sortiment haben. Schließlich habe gerade das zahlungskräftigere, ernährungsbewusste Craft-Klientel nicht die Zeit, für den Wocheneinkauf fünf Geschäfte hintereinander abzuklappern.

7. Bedachtere Verpackungen

Nudeln in Recycling-Papier? Käse-Aufschnitt in der Pfand-Dose? Am 1. Januar 2019 tritt das Verpackungsgesetz (VerpackG) in Kraft. Es soll den Müll in Deutschland eindämmen und stellt zahlreiche Anforderungen an Hersteller und Händler, die eine mit Ware befüllte Verpackung in den Verkehr bringen. Dazu gehört auch der Onlineversand. Die Lizenzentgelte, die die Händler zur Finanzierung des Recyclingsystems zahlen, sinken, wenn sie besser recycelbare Verpackungen einsetzen. Die Lebensmittelindustrie und Food-Startups werden also nicht mehr nur über die Inhalte ihrer Waren, sondern auch über deren Hüllen nachdenken müssen.

Food-Week-Sprecher Hetzinger dazu: „Einige Supermärkte bieten Mehrweg-Einkaufsnetze für Obst und Gemüse an. Dann gibt es den Versuch, Bio-Gemüse nicht mehr zu verpacken. Ich bin gespannt, wie das in der Masse umgesetzt wird.“ Für ihn steht fest: Verpackungen sind für die Händler auch eine kommunikative Spielfläche. Mit der Entscheidung für oder gegen ein Verpackungsmaterial können sie Verbrauchern zeigen, wie sie ticken. Das VerpackG wird hier womöglich zum Umdenken anstoßen.

Hier äußert sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im ZDF Morgenmagazin zum VerpackG und der „Wegwerfmentalität“:

8. Ware mit Statement

Nicht nur bei Verpackungen, auch in anderer Hinsicht – sozial und politisch – könnten Lebensmittelhersteller und Händler 2019 Stellung beziehen, glauben die Food-Week-Macher. „Das trauen sich gerade größere Marken manchmal nicht. Kleinere Anbieter haben hier die Chance zu punkten“, sagt Hetzinger.

So geht zum Beispiel das Berliner Startup Share Foods vor. Für jedes verkaufte Share-Produkt spendet es ein vergleichbares Produkt an einen bedürftigen Menschen. Hetzinger: „Es wird immer schwieriger, das nächste große Ding an den Start zu bringen. Mit so einer Haltung kannst du dich besser differenzieren.“

9. Essen als Erlebnis

„Ich glaube, dass man sich als Gast immer bewusster fürs Essengehen entscheidet. Als eine Art kulturelles Highlight der Woche“, gibt Laubrinus an. Dazu tragen ihr zufolge auch Portale wie Tock bei. Dort können Nutzer „Tickets“ für Restaurants buchen. Angezahlt oder bezahlt wird vorab. Dabei handelt es sich sozusagen um die nächste Evolutionsstufe von Plattformen wie Quandoo oder Opentable, über die sich nur Tische reservieren lassen. Tock ist auch für einige Restaurants in Berlin verfügbar. Dabei werden pro Person und Abend schon mal mehr als Hundert Euro fällig. Ein Trend für die breite Masse dürfte der Dienst vorerst also eher nicht werden.

Auch abseits der Sterne-Restaurants wird es 2019 wohl spannend. Nach der Konsolidierung im Liefergeschäft kurz vor Weihnachten (die niederländische Lieferando-Mutter Takeaway übernahm das Deutschlandgeschäft von Delivery Hero) müssen wir uns künftig an orangefarbene Fahrradkuriere auf den Straßen gewöhnen. Zumindest farblich heißt das für die Trend-Vorhersage: Pink hat hierzulande ausgedient.

Bild: Beyond Meat