Alles so schön friedlich hier. Angehörige der Generation Orientierungslos in ihrem natürlichen Habitat.

Orientierung wollten sie bieten. Eine Möglichkeit, sich wirklich umfassend zu informieren. Dafür sei es wichtig, alle Meinungen zu Wort kommen zu lassen, den gesamten Kontext eines aktuellen Themas zu vermitteln. Zwei Medien-Startups, die sich in der vergangenen Woche beim Kongress „Zeitung digital“ des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger vorstellten, machen sich offenbar Sorgen. Sorgen um eine junge Generation, der sie mit ihren Business-Ideen helfen wollen, sich besser zurecht zu finden. Ist das wirklich nötig? 

Felix Friedrich ist 27 Jahre alt und Mitgründer des Medien-Startups The Buzzard. Er drückt diese Sorgen so aus: „Meine Generation hat den ganzen Tag alles mögliche gelesen, fühlt sich aber trotzdem nicht richtig informiert.“ Da bleibt offenbar ein Loch, ein schwarzer Fleck im Sichtfeld. 

Ein Meer von Lebensentwürfen drängelt sich in das Sichtfeld

Wer in den 70er- oder 80er-Jahren groß geworden ist, musste sich sehr anstrengen, um vom vorgezeichneten Weg zwischen örtlichem Gymnasium, Sportverein, Berufsausbildung und Freundeskreis abzukommen. Informationsquellen waren die Lehrer, eine örtliche Lokalzeitung und vielleicht noch die HörZu auf dem Couchtisch. Heute gibt es offenbar eine Sehnsucht nach so einem klaren Weg. 

Denn heute kämpft eine gewaltige Aufmerksamkeitsindustrie um die jungen Leuten und zerrt an ihren Nerven. Kunden sollen sie sein – oder Käufer, Verbraucher, Abonnenten, Influencer, Fans, Kommentatoren, Zielgruppe, Unique User. Ein Meer von Nachrichten, Möglichkeiten und Lebensentwürfen drängelt sich 24 Stunden am Tag auf allen Kanälen in das Sichtfeld der Smartphone-Benutzer. 

Halt bietet die gemeinsame Abneigung gegen Irgendetwas

Ist das vielleicht der Grund dafür, dass sich diese Generation mit Befindlichkeiten herumschlagen muss, die bisher in dieser Massierung völlig unbekannt waren? Da wären zum Beispiel diverse Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder dauernde Rückenschmerzen bei Menschen, die noch keine 30 Jahre alt sind, Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrationsstörungen und Schwierigkeiten, sich fest an einen Partner oder Arbeitgeber zu binden.

Einen gewissen Halt bietet eigentlich nur noch die gemeinsame Abneigung gegen Irgendetwas. Gegen Heidi Klums Model-Show zum Beispiel. Oder die Bild-Zeitung, Konzerne wie Nestlé und Monsanto, Coca Cola, Wirtschaftsgipfel,  Zusatzstoffe in Lebensmitteln oder im Haar-Shampoo.

Indifferentes Nichtwissen drängt dazu, die Wirklichkeit aus dem Bauch zu beurteilen. Politik, Medien, Nahrung und die Gesellschaft – alles soll sauber, gerecht und friedlich sein. Das ist einfach und nachvollziehbar, aber unrealistisch und vollkommen weltfremd. Die Freude ist groß, wenn man Gegner dieser hypermoralischen Weltsicht identifiziert hat, auf die sich alle einigen können. Insofern stellt Donald Trump auch eine ungeheure Erleichterung dar, weil er die Welt mit seiner Anwesenheit ein Stückchen einfacher macht.

Ohne Wissen bleibt nur noch Verwirrung

Junge Mütter fühlen sich stark und sicher, wenn sie militant Zucker in der Nahrung ablehnen oder das selbst verhängte Medien-Verbot für ihre Kleinkinder rigoros durchsetzen. Das tut den Kleinen bestimmt gut, oder? Ein Stückchen Sicherheit in dieser unübersichtlichen Welt ist Gold wert. 

Die Lektüre von Nachrichten ist Arbeit. Der Leser muss das Inventar aus Kommentaren, Leitartikeln, verschiedenen Autoren und verschiedenen Artikeltypen verstehen. Was ist eine Reportage, was ist eine Meldung, was ein Meinungsbeitrag? Ohne dieses Wissen und die Routine bleibt am Ende nur Verwirrung.

Die Mühen der Erkenntnisarbeit

Ohne den Einsatz des eigenen Kopfes und den persönlichen Willen, es genauer wissen zu wollen, wird immer ein seltsames Gefühl einer falschen Sattheit bleiben. Vielleicht können Medienstartups, die Orientierung bieten, helfen, die Informationsaufnahme strukturierter anzugehen. Die Mühe und Arbeit der Erkenntnisarbeit können sie der Generation Orientierungslos nicht abnehmen. 

Eine Erkenntnis ist, dass Paul McCartney immer noch die Massen begeistern kann. In seiner Heimatstadt Liverpool und im Internet.

Foto: Bestimmte Rechte vorbehalten von SebastianJuśko