Führende deutsche Startups aus der Reisebranche beklagen sich über das Verhalten von Google in der Corona-Krise. Der Internetriese aus Kalifornien besteht auf der fristgerechten Bezahlung von Rechnungen in Millionenhöhe – obwohl die Startups derzeit keinen Umsatz machen.

In einem offenen Brief an Google-Vorstand Philipp Schindler fordern die Chefs von acht Unternehmen und der Präsident des Startup-Verbands, Christian Miele, den Konzern dazu auf, die Last der Pandemie mit ihnen gemeinsam zu tragen.

Die Unterzeichner warnen davor, dass staatliches Hilfsgeld aus Deutschland in der Kasse des US-Konzerns landen könnte. Während sich fast alle anderen Unternehmen, darunter auch Microsoft und Facebook, in der Krise kulant verhielten, gebe es von Google kein Entgegenkommen.

„Für uns war das Verhalten von Google ein Schlag ins Gesicht“, sagt Johannes Reck, Gründer des Tourenvermittlers GetYourGuide. Neben ihm haben den Brief unter anderem die Chefs des Fernbusanbieters Flixbus, der Reisesuchseite Trivago und des Kreuzfahrtvermittlers Dreamlines unterschrieben.

Angesichts der Corona-Beschränkungen machen die Reiseanbieter derzeit praktisch keinen Umsatz. Außerdem mussten sie ihren Kunden alle Anzahlungen für ausgefallene Leistungen zurückerstatten. Die Mitarbeiter sind zum größten Teil in Kurzarbeit, Unternehmen wie Trivago planen außerdem bereits, Stellen abzubauen.

Fast alle sind zu Zugeständnissen bereit – außer Google

Um ihre Kosten weiter zu senken, verhandeln die Gründer mit ihren Geschäftspartnern über Stornierungen von Bestellungen, Kürzungen oder den Aufschub von Rechnungen. Fast alle seien dabei zu Zugeständnissen bereit, heißt es. So berichtet Reck beispielsweise vom großen Entgegenkommen seines Vermieters, der monatelang auf Zahlungen verzichte.

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Ganz anders Google. Allein die acht Startups aus der Reisebranche hatten im ersten Quartal für umgerechnet 75 Millionen Euro Anzeigen in der Suchmaschine gebucht. Rund die Hälfte dieses Betrags müssen die Unternehmen noch bezahlen, die Rechnungen sind bereits fällig. Und sie werden wohl indirekt aus Steuermitteln beglichen – denn die Gründer haben Hilfskredite bei der Staatsbank KfW beantragt. „Wenn wir die KfW-Kredite bekommen, dann müssen wir einen Teil des Geldes direkt an Google weiterüberweisen“, sagt Reck. „Wollen wir wirklich, dass Steuergelder an ein Unternehmen fließen, das Rekordgewinne macht?“

Tatsächlich hat die Google-Konzernmutter Alphabet gerade beeindruckende Quartalszahlen vorgelegt. 41,1 Milliarden Dollar hat der Konzern im ersten Quartal 2020 eingenommen, knapp fünf Milliarden mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Gewinn lag mit knapp acht Milliarden Dollar nur unwesentlich unter der Prognose der Analysten. Googles Werbegeschäft brachte mehr als 33 Milliarden Dollar Umsatz. Angesichts dessen erscheint der Umgang des Konzerns mit seinen deutschen Kunden ungewöhnlich hart.

Die Reiseanbieter bitten den Konzern dringend um Kulanz. Denn einerseits haben sie die Umsätze, die sie im Internet aufgrund der Google-Anzeigen gemacht haben, zum Großteil wieder an ihre Kunden zurückbezahlt. Und andererseits führte spätestens im März ein Großteil der Anzeigen ins Leere – weil niemand mehr Reisen oder damit verbundene Dienste buchte.

Eine Stundung kommt für Google nicht infrage

Zumindest für die noch ausstehenden Rechnungen solle Google auf eine Vollstreckung verzichten und Unternehmen, die Staatshilfen erhalten haben, „einen konsistenten und flexiblen Weg“ anbieten, um die Zahlungen aufzuschieben.

Auf WELT-Anfrage sagte ein Google-Sprecher, man stehe „im ständigen Austausch mit unseren Geschäftspartnern, einschließlich der Reisebranche“, um den Werbekunden zu helfen. Google kündigte an, kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die im vergangenen Jahr Anzeigen gebucht hatten, Werbeguthaben im Umfang von insgesamt 340 Millionen Dollar kostenlos zur Verfügung zu stellen.

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Doch eine Stundung der Zahlungen für bereits geleistete Onlinewerbung will der Konzern nicht gewähren, egal ob die Reise-Startups ihrerseits die Buchungen abschreiben müssen, die dank der Werbung zustande gekommen waren.

Warum Google derart hart vorgeht, erklärt vielleicht ein Blick auf das aktuelle Krisenquartal. Denn auch wenn der Umsatz des Mutterkonzerns insgesamt gesteigert werden konnte, warnte Alphabet-Finanzchefin Ruth Porat: „Im März erlebten wir eine signifikante Verringerung der Werbeumsätze.“

Der Einbruch sei abrupt ausgefallen, bislang sehe man wenig Besserung. Google-Chef Sundar Pichai betonte im Analysten-Gespräch, dass insbesondere die großen Kunden aus der Reisebranche hart von der Krise betroffen seien.

Google-Kampagnen sind extrem kurzfristig stornierbar 

In den USA stammen Googles größte Einzelkunden aus der Reisebranche, sie haben die Werbebudgets fast komplett zusammengestrichen. Googles System erlaubt extrem kurzfristige Reaktionen, Firmen können gebuchte Kampagnen von einem auf den anderen Tag streichen.

So etwa das US-Onlinereisebüro Expedia mit Werbeausgaben von pro Jahr normalerweise fünf Milliarden Dollar. Dessen Chef Barry Diller kündigte an, sein Onlinewerbebudget auf deutlich unter eine Milliarde zu senken. Booking Holdings, mit einem Werbebudget von mehr als sechs Milliarden Dollar einer der größten, wenn nicht der größte Werbekunde Googles, soll sein Budget auf fast null gesetzt haben, solange keine Reisen gebucht werden.

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Wer via Google etwa nach „Flug San Francisco“ oder „Hotel London“ sucht, bekommt normalerweise an erster, zweiter und dritter Stelle der Liste einen bezahlten Treffer von Expedia oder Booking.com, über den der Nutzer direkt auf die Seiten der Reiseportale umgelenkt wird.

„Die großen Portale leben direkt davon, in der Trefferliste weit oben zu stehen – das sind die absoluten VIP-Kunden von Google“, kommentiert der Silicon-Valley-Experte Andreas Weigend. Doch aktuell werden entsprechende Suchergebnisse werbefrei angezeigt – ein sicheres Zeichen für den Einbruch bei Google.

Google härter von Corona getroffen als Amazon & Co.

Damit ist der Konzern deutlich härter von der Krise betroffen als die anderen US-Tech-Riesen, kommentiert der Startup-Experte Nihal Mehta. Wer wie Netflix oder Amazon direkt für Endkunden arbeite oder wie Microsoft regelmäßig Abonnementeinnahmen generiere, sei resistenter aufgestellt. „Werbung ist in der Krise das Erste, das eingespart wird“, sagt Mehta. Sie kehre aber im späteren Boom auch als Erste zurück.

Das dürfte auch für die deutschen Startups in der Reisebranche gelten. Bisher machten für sie die Anzeigen auf Google einen erheblichen Kostenblock aus: Sie investieren zwischen 30 und 55 Prozent ihres Umsatzes in die kleinen Textanzeigen, die ganz oben auf der Ergebnisseite der Suchmaschine auftauchen. Zusammengenommen wären die acht Startups auch ein relativ großer Google-Kunde: Insgesamt haben sie eigenen Angaben zufolge im vergangenen Jahr rund eine halbe Milliarde Euro an den US-Konzern überwiesen.

Dieser Text erschien zuerst auf Welt.de.

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