51 Prozent der Deutschen besonders Jugendliche aus dem Osten wünschen sich ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, das unabhängig von Vermögen und Einkommen an alle Bürger gezahlt wird, bewegt in Deutschland die Gemüter. Das zeigt bereits der Blick in die Bestsellerlisten der vergangenen Monate: Ende Januar wurde ein Buch, in dem Menschen über ihre Erfahrungen mit dem Grundeinkommen berichten, vom Start weg zum Verkaufsschlager.

Das Buch, in dem Personen porträtiert werden, die von einer Berliner Initiative ein Jahr lang jeden Monat 1000 Euro bekommen haben, hielt sich immerhin fünf Wochen in der Top 20 der Paperback-Sachbücher.

Tatsächlich hat die Idee einer bedingungslosen Sozialleistung hierzulande viele Befürworter. Das zeigt jetzt erstmals eine sozialwissenschaftliche Studie, für die Forscher mehrere aufwendige Befragungen ausgewertet haben. Demnach befürworten zwischen 45 und 52 Prozent der Bevölkerung die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, und dieser Anteil ist seit 2016 relativ konstant. Die unveröffentlichte Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) liegt WELT vor.

Im europäischen Vergleich sehen die Deutschen das bedingungslose Grundeinkommen jedoch eher skeptisch. In anderen Ländern ist die Begeisterung für diese Idee weit ausgeprägter. Besonders hoch ist die Zustimmung in Litauen, Russland, Ungarn und Slowenien. Dort möchten zwei Drittel der Bevölkerung lieber heute als morgen die neue Sozialleistung einführen – nur rund ein Drittel lehnt sie ab.

Jung, hoch gebildet, geringes Einkommen

In Österreich, den Niederlanden und Frankreich ist die Bevölkerung hingegen ähnlich reserviert wie hierzulande. Noch stärker abgelehnt wird das Konzept dieser Sozialleistung nur in Schweden, Norwegen und der Schweiz. Dort lehnen knapp zwei Drittel der Befragten ein bedingungsloses Grundeinkommen ab.

Die US-Ökonomin Soomi Lee untersuchte im vergangenen Jahr diese nationalen Unterschiede und fand eine mögliche Erklärung: Demnach ist die Zustimmung für die Idee in Wohlfahrtsstaaten mit starken und vergleichsweise großzügigen Sozialsystemen geringer als in Ländern, in denen das soziale Netz weitmaschiger gestrickt oder kaum vorhanden ist. Dort, wo Sozialleistungen ohnehin knapp bemessen sind, sei die Vorstellung eines bedingungslosen Grundeinkommens für die Menschen attraktiver.

Die DIW-Forscher wollten auch herausfinden, wer hierzulande die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens unterstützt. Verkürzt lautet der Befund der Forscher: Befürworter der heiß diskutierten Sozialleistung sind jung, hoch gebildet, haben eher ein geringes Einkommen und leben in Ostdeutschland.

Wollte man sich einen phänotypischen Fan des Grundeinkommens vorstellen: Es könnte – zugespitzt formuliert – ein Theaterwissenschaftler in Leipzig sein, der sich mit freiberuflicher Regieassistenz über Wasser hält. Sozialwissenschaftler beschreiben das Phänomen differenzierter: „Die Befürworterinnen und Befürworter sind eher in jüngeren Altersgruppen anzutreffen“, so die Autoren. „Sie weisen höhere Bildungsabschlüsse auf und verfügen über niedrige Haushaltseinkommen.“

Ostdeutsche befürworten Idee stärker

Tatsächlich nimmt die Zustimmung für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit zunehmendem Alter ab. Am populärsten ist es bei Personen, die jünger sind als 25 Jahre, der sogenannten Generation Z. Menschen, die älter als 65 Jahre sind, stehen dem Grundeinkommen hingegen eher ablehnend gegenüber. Zudem sind Menschen, die sich politisch links einordnen, eher Anhänger der Bewegung. Zwischen den Geschlechtern hingegen gibt es praktisch keine Unterschiede: Frauen sind der Idee gegenüber zwar ein klein wenig aufgeschlossener, aber der Unterschied ist statistisch nicht signifikant.

Die Analysen der Umfragedaten zeigen auch, dass die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in Ostdeutschland weit besser ankommt als in Westdeutschland. Unter den ostdeutschen Befragten befürworteten zuletzt 61 Prozent das Konzept, während es in Westdeutschland nur 50 Prozent waren. Die Unterschiede beruhen laut der Studie vor allem darauf, dass typische Befürworter des Grundeinkommens in Ostdeutschland häufiger anzutreffen sind.

Von einer spezifisch ost- oder westdeutschen Mentalität hängt die Akzeptanz des Grundeinkommens demnach nicht ab. „Bemerkenswert bei den Umfrageergebnissen ist, dass das Thema die wenigsten Befragten indifferent lässt“, sagt Jürgen Schupp, Vizedirektor des SOEP und Mitautor der Studie. „Das ist in anderen europäischen Ländern nicht immer der Fall, da haben teilweise deutlich größere Anteile keine Meinung zu der Frage geäußert.“

Die DIW-Forscher haben für die Untersuchung die Ergebnisse zweier großer Befragungen untersucht, für die in regelmäßigen Abständen der gleiche repräsentativ ausgewählte Personenkreis befragt wird. Zum einen ist das die European Social Survey (ESS), eine europaweite persönliche Befragung, die alle zwei Jahre durchgeführt wird. Zum anderen haben die Forscher zwei Stichproben des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) untersucht. Das SOEP ist eine der umfangreichsten und verlässlichsten sozialwissenschaftlichen Datensammlungen hierzulande.

Diskussion verändert Einstellung

Die Wissenschaftler haben für beide Befragungen jeweils die Daten aus zwei Untersuchungswellen verschiedener Jahre einbezogen, um herauszufinden, wie sich die Einstellung der Deutschen zum Grundeinkommen während der Debatte über diese Idee entwickelt hat. Spätestens seit Sommer 2016, als die Schweizer in einer Volksabstimmung ein bedingungsloses Grundeinkommen abgelehnt hatten, wurde auch hierzulande breit über das Thema diskutiert.

Diese Diskussion hat offenbar bei vielen Menschen die Einstellung verändert: Zwar blieb zwischen Befragungen von 2016 und 2018 der Anteil der Deutschen, die das Grundeinkommen befürworten, praktisch stabil. Aber ein Drittel änderte in den beiden Jahren, die zwischen den Befragungen lagen, ihre Meinung: Sie wurden von Befürwortern zu Gegnern und umgekehrt. Der Meinungswandel folgte dem bekannten Muster: Vor allem Personen über 65 Jahre, Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Personen, die nicht von Armut bedroht sind, wurden zu Gegnern der Idee. Junge und politisch eher links stehende Personen wurden hingegen zu Anhängern.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Politik? „Die Zustimmungswerte, die in den Umfragen ermittelt wurden, sind nicht gleichzusetzen mit einer Zustimmung für die Einführung einer solchen Reform,“ warnt SOEP-Mitarbeiterin Jule Adriaans. In den Befragungen sei nie Thema gewesen, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert werden könnte. Experten sind sich einig, dass dafür Steuern erhöht und andere Sozialleistungen gekürzt oder ganz gestrichen werden müssten. Inwieweit sie selbst davon betroffen gewesen wären, hätten die Teilnehmer nicht berücksichtigt.

Zudem müsse jede Reform des Sozialsystems hierzulande darauf achten, das Gerechtigkeitsgefühl der Bürger nicht zu verletzen, sagt DIW-Vorstand Stefan Liebig. „Sollte es in der Politik Bestrebungen geben, ein Grundeinkommen einzuführen, müsste dieses so ausgestaltet werden, dass es das Leistungsprinzip, das für viele in Deutschland richtungsweisend ist, nicht zu sehr verletzt.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.

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