„We Can Do It!“: Rosie the Riveter ist die Ikone der Anpack-Mentalität.

Ein Auszug aus dem Buch „David gegen Goliath“ von Günter Faltin:

Versuchen wir, den Weg zu skizzieren, wie wir uns dem gesellschaftspo­litischen Ziel nähern können, mehr Entrepreneure hervorzubringen. Wir müssen uns nicht mit dem Status quo abfinden, sondern wollen darüber hinaus das Potenzial ausloten, also die Differenz zwischen dem Vorfind­baren und dem Möglichen aufspüren.

Für die Teilhabe an Ökonomie trifft diese Überlegung ganz besonders zu. Glaubt man der konventionellen Auffassung, kommt heraus, dass die Höhe der Kapitalausstattung und die Qualität des Managements ausschlagge­bend für den Erfolg sind. Das ist – bestenfalls – der Status quo. Wir könnten es bei dieser Feststellung belassen. Dann bliebe den meisten Menschen der Zugang verschlossen. Oder wir versuchen, neue Wege zu finden, wie wir das Potenzial für Engagement in der Ökonomie erweitern können.

Wenn wir Entrepreneurship für viel mehr Menschen zugänglich machen wollen, müssen wir den Weg begehbarer machen, müssen bei den Grün­dern ansetzen, also von den Menschen ausgehen – von ihren Neigungen, ihren Talenten und Fähigkeiten. Und dürfen diesen Ansatz nicht auf jene Teilgruppen von Personen beschränken, die heute bereits ein Unterneh­men gründen, sondern müssen jene Menschen anvisieren, die gerne „et­was unternehmen“ – von der kleinen Party über die Fahrradtour bis hin zu einem größeren Projekt. Während das „große U“, sprich: ein Unterneh­men, für die meisten unerreichbar scheint, ist das „kleine u“, sprich: et­was unternehmen, nicht nur allgemein als positiv akzeptiert und für die meisten Menschen wünschenswert, sondern auch alltäglich.

Man muss als Gründer nicht gleich BWL beherrschen

Was ist so außergewöhnlich am Unternehmerischen? Wo liegt der Unter­schied, ein Fest zu organisieren, sich auf einen Marathon vorzubereiten oder ein kleines Unternehmen zu gründen? Es ist an der Zeit, das Thema unbefangener anzugehen. Wir sprechen nicht über die Steuerung eines Großunternehmens – wofür die Betriebswirtschaftslehre geschaffen wurde. Man muss als Gründer nicht gleich BWL beherrschen. Eine alleinerzie­hende Mutter mit zwei Kindern entwickelt oft mehr Organisationstalent als so mancher Master of Business Administration (MBA). Sie muss kein Großunternehmen managen können. Aber eine einfache, kleine Unter­nehmung zu überschauen ist eine ganz andere Sache.

Aber, werden Sie sagen, ein Unternehmen hat doch einen völlig anderen Charakter, rechtlich, organisatorisch, in seiner Schriftlichkeit, in seinem Verwaltungsaufwand. Diese Grenzziehung steckt tief in unserem Bewusst­sein. Real ist sie sehr viel geringer. Arbeitsteilung und Digitalisierung vereinfachen die Abläufe, lassen sie leichter beherrschen. Das gilt ganz besonders für die Phase der Gründung. Solange ich mich im informellen Bereich des eigenen Freundeskreises oder der Nachbarschaftshilfe be­wege, kann vieles auch ganz entfallen.

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Wenn es uns gelänge, den Schritt vom kleinen u zum großen U zu er­leichtern und dabei deutlich zu machen, dass dieser keineswegs so groß ist wie traditionell angenommen, würde Entrepreneurship eine emanzi­patorische Perspektive eröffnen, die den ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung erfassen könnte.

Etwas Vergleichbares ist im Bereich der Bildung bereits gelungen. Bildung war in der Geschichte zunächst ein Privileg weniger Auserwählter. Die Durchsetzung allgemeiner Bildung war eine politische Forderung, ein Ruf nach Emanzipation aus Unwissenheit und Unmündigkeit. Es ging nicht nur um den Erwerb von Kenntnissen zur Bewältigung von Arbeit und All­tag, sondern auch und vor allem um die Einlösung der Forderung nach Chancengleichheit und Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaft­lichen Fortschritt. Neben Nützlichkeitserwägungen war immer auch die emanzipatorische Funktion präsent. Bildung ermöglichte Durchlässig­keit durch vormals feste Barrieren in Bereiche, die ohne sie verschlossen waren.

Ohne wirtschaftliche Emanzipation keine persönliche Emanzipation

Analog lässt sich für Entrepreneurship argumentieren. Es ist mehr als nur Business, es hat auch eine emanzipatorische Dimension. Entrepreneurs­hip kann ein Instrument für mehr Chancengleichheit werden und den Zugang zu einem Bereich öffnen, der bisher nur einer Elite vorbehalten war. Die Idee des Rechts auf Bildung kann man durchaus auch übertra­gen auf das Feld der Wirtschaft: aktive Teilhabe an der Ökonomie als Bür­gerrecht. Eine rein betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise übersieht diese emanzipatorischen Potenziale von Entrepreneurship.

Orientieren wir uns an den Gedanken der Aufklärung. An ihrem Glauben an Rationalität und Bildung und ihrer Hoffnung, dass daraus eine huma­nere Welt entstehen könne – mit Chancen für alle, ungeachtet von Geburt und Vermögen, Rasse und Geschlecht. Entrepreneurship könnte der Weg sein, um dieses Versprechen der Aufklärung zur wirtschaftlichen Selbst­verwirklichung zu erfüllen. „Ein leerer Sack kann nicht aufrecht stehen“, so Benjamin Franklin – ohne wirtschaftliche Emanzipation erreichen wir keine persönliche Emanzipation.

Wie können wir eine Welt des Entrepreneurship schaffen, in der indivi­duelle Fantasie und Leistung anerkannt und belohnt werden, aber die Früchte solcher Bemühungen auch der Gemeinschaft zugutekommen? Muhammad Yunus sieht in Mikro­-Entrepreneurship den entscheidenden Hebel, benachteiligte Bevölkerungsgruppen aus wirtschaftlicher Abhängig­keit und Unterdrückung zu lösen. Yunus argumentiert, dass Bildung allein dafür nicht ausreicht. Mit seinem Programm der Mikrokredite konnte er zeigen, wie es gelingen kann, ökonomisch benachteiligte Menschen, insbe­sondere Frauen, erfolgreich in den wirtschaftlichen Prozess einzubezie­hen – nicht nur, um ihre ökonomische Situation zu verbessern, sondern auch ihre Stellung in der Gesellschaft zu stärken.

Entrepreneurial Society statt Ökonomisierung der Ge­sellschaft

Hernando de Soto konnte zeigen, dass die Armen und Hilfsbedürftigen nicht notwendigerweise Almosenempfänger sein müssen. Der „informelle Sektor“, so sein Begriff, sei im Kern Mikro-­Entrepreneurship, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Das Defizit liege nicht etwa in fehlenden unternehmerischen Qualifikationen der Armen, sondern im mangelnden Zugang zum offiziellen, legalen Sektor der Ökonomie. Aber auch in den entwickelten Ländern sind wir von einer relevanten Teilhabe am unternehmerischen Sektor, von Alternativen zu abhängiger Beschäftigung, von ökonomischer Mündigkeit und der Partizipation an einem entscheidenden Bereich der Gesellschaft noch weit entfernt.

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Erst wenn das Wirtschaftsgeschehen für die meisten Menschen verständ­lich und zugänglich geworden ist und viel mehr Menschen als heute diese Möglichkeit auch aktiv wahrnehmen, haben wir das Ziel der Aufklärung erreicht: Menschen auch im Feld der Ökonomie mündig zu ma­chen und sie in die Lage zu versetzen, offen, selbstbewusst und mutig in einer Gesellschaft mitzuwirken, in der die entscheidende Frage nach wirtschaftlicher Gestaltung nicht länger durch die wirtschaftliche Macht von wenigen bestimmt wird.

Es mag in vielen Ohren noch wie eine Utopie klingen. Aktive Mitwirkung auf dem Feld der Ökonomie, prinzipiell offen für alle Mitglieder der Ge­sellschaft. Aber es hat Aussicht, zur Selbstverständlichkeit zu werden, so wie es mit der politischen Partizipation geschah. Das Ziel wäre eine Entrepreneurial Society – aber nicht im Sinne der Ökonomisierung der Ge­sellschaft, wie sie momentan stattfindet. Auch nicht in der Art eines Un­ternehmertums, das über Gewinnmaximierung und Rücksichtslosigkeit gegenüber Mensch und Natur die Grundlagen und den Kitt einer Gesell­schaft zerstört.

„David gegen Goliath: Wir können Ökonomie besser“ von Günter Faltin ist am 26. März 2019 bei Murmann / Haufe erschienen (264 Seiten; Hardcover; 16,95 Euro). Das Buch ist die überarbeitete und erweiterte Neuausgabe des Bestsellers „Wir sind das Kapital“ aus dem Jahr 2015.

Bild: Getty Images / Donaldson Collection