Verblüffende Einsichten und Erkenntnisse brauchen ihre Zeit. Ed Motta zeigt, dass Jazzrock auch gute Seiten hat.

Ein komischer Zettel lag in meinem Briefkasten. DIN A4, schwarzweiß und eher ungestaltet. Den Absender erkenne ich nicht auf den ersten Blick. Sieht so aus, als ob jemand im Haus über eine bevorstehende Party informieren möchte. Ich nehme den Wisch mit in die Wohnung. Ein Stapel mit Werbung landet dagegen gleich in der Papiertonne.

Erst jetzt wird klar, dass es sich bei dem Zettel auch um Werbung handelt. Das Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de schreibt, dass sich schon fast 600 Menschen im Bayerischen Viertel dort angemeldet haben. Abgedruckt ist ein Zugangscode, mit dem ich mich auf der Plattform ausweisen kann.

Echte Menschen statt falscher Profile

Mit der Anmeldung nehmen es die Macher von nebenan.de etwas genauer als die Konkurrenz. Am einfachsten klappt sie mit einem Bild des Personalausweises, das man hochlädt. Auf diese Art und Weise soll wohl verhindert werden, dass ungebetene Gäste sich im Netzwerk breit machen. Hier wollen echte Menschen auf echte Nachbarn treffen – und nicht auf anonyme Profile. 

Der Anspruch bei nebenan ist deutlicher anders gelagert als bei Facebook. Man will nicht die ganze Welt vernetzen, sondern die direkte Nachbarschaft zusammenbringen. In den großen Städten wie Berlin, ist die Gefahr der Vereinsamung groß. Obwohl so viele Menschen dort leben. Das sagen Soziologen. Denn persönliche Kontakte zu knüpfen, ist gar nicht so einfach. Oft kennt man nicht einmal die Menschen im eigenen Haus.

Raus aus der Anonymität

Durch die Verknüpfung über nebenan.de sollen Nachbarn sich gegenseitig helfen. Mit Kleinigkeiten. Vielleicht mal den Hund von gegenüber ausführen, die Einkäufe die Treppe hochtragen oder die Blumen gießen oder eine Bohrmaschine leihen. Oder man sucht sich einen Partner für die Joggingrunde am Abend. So soll aus einem anonymen Gebiet in der Stadt wieder eine echte Gemeinschaft werden.

Seit Menschen in meiner Umgebung auf der Plattform registriert sind, werde ich jeden Tag mit Infos über mein Viertel versorgt. Da gibt es zum Beispiel einen ziemlich angriffslustigen Kater, der in der Kaninchen-Population Angst und Schrecken verbreitet. Gesehen habe ich den Tiger noch nicht. Er ist aber gerade Gesprächsthema Nummer 1.

Es fühlt sich an wie auf dem Dorf. Plötzlich weiß man, was der alte Herr gegenüber so macht, außer jeden Tag seinen Hund auszuführen.

Auf Wiedersehen, Facebook!

Viele Startups investieren sehr viel Geld in Marketing. Zum Beispiel in Mailings. Mein geübtes Auge kann in wenigen Minuten die Spreu vom Weizen trennen. Von 250 Mails, die ich täglich bekomme, landen 200 ungelesen sofort im Papierkorb, weil ich weiß, dass es sich um irrelevante Werbung handelt.

Ein einfacher Zettel im Briefkasten zeigt, wie es auch gehen kann. Die Art der Werbung muss zum Produkt passen. Im Fall von nebenan.de ist das gelungen. Ich fühle mich als Nachbar angesprochen und bin seit Freitag Mitglied auf der Plattform.

Ach ja. Falls jetzt jemand versuchen sollte, mich auf Facebook zu finden – ich habe am selben Tag meinen Account gelöscht. 

Die gesparte Zeit verbringe ich gerne mit Musik von Ed Motta: