Sophie Trelles-Tvede hat spanisch-dänische Wurzeln, ist in der Schweiz aufgewachsen, hat in England studiert und in München gegründet.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „100 Millionen Haargummis und ein Wodka Tonic“ von Sophie Trelles-Tvede. Es ist im Redline Verlag erschienen.

Was ich gelernt habe:

  • Ein Produkt mit einem ganz neuen Namen steht bei Google an erster Stelle (anfangs zumindest).
  • Als Studenten hatten wir mit der Gründung eines Unternehmens nichts zu verlieren.
  • Wer sich viel Kapital beschafft, macht immer besonderen Eindruck. Es geht aber auch ohne.

2012 waren Haargummis noch einfache textilbezogene Gummiringe, die in der 30-Stück-Packung für etwa einen Euro zu haben waren – eine alltägliche Notwendigkeit, die Frauen verwendeten, um ihr Haar zum Pferdeschwanz zu binden oder die Zöpfe ihrer Kinder zu fixieren. Sie waren billige No-Name-Produkte – und definitiv nicht haarfreundlich. Mir verursachten sie nicht nur Kopfschmerzen. Die Gummienden waren meist mit einem kleinem Stückchen Metall zusammengeschweißt, in dem sich meine Haare verfingen. Manchmal bildeten sich deshalb kleine Knoten auf meinem Kopf, und ich zog dann an meinem Pferdeschwanz, um sie zu glätten. Dadurch entstanden jedoch gewöhnlich noch mehr Unebenheiten. Mit dem Telefonkabel war mir das ganz anders vorgekommen. Meine Haare wurden ganz glatt zusammengehalten.

Als ich mit dem Kabel herumprobierte, fiel mir noch etwas auf: Wenn ich es herauszog, gab es keine Abdrücke. Ich habe langes, feines, blondes Haar, und herkömmliche Haargummis hinterließen darin immer einen hässlichen Knick. Wie ich wusste, hatten andere – bei ganz unterschiedlicher Haarstruktur – das gleiche Problem. Über die Weihnachtsferien und Anfang 2012 entwickelten Felix (Mitgründer Felix Haffa, Anm. d. Red.) und ich uns zu wahren Experten für Telefonkabel. Wir stellten fest, dass sie unterschiedlich dick waren, manche ganz rund, manche aber auch auf der Innenseite abgeflacht. Instinktiv dachte ich, die runde Variante würde besser aussehen und haarschonender sein.

Wir brauchten jemanden, der das Kabel für uns fabrizieren konnte, und zwar ohne die Stromdrähte. Einen Hersteller, der in der Lage war, die Enden des Kabels zu verschweißen. Von Anfang an wollten wir ein Produkt kreieren, das sich von handelsüblichen Haargummis grundlegend unterschied. Es musste aus einem elastischen Kunststoff mit glatter Oberfläche bestehen. Es sollte formbeständig sein und sich im Haar gut anfühlen.

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Man kann aber nicht einfach „Telefonkabel ohne Draht“ googeln und dann eine Menge brauchbarer Treffer erwarten. Und es ist auch nicht dasselbe, als würde man eine neuartige Büroklammer erfinden. Es gab noch andere spiralige Produkte – Spiralblöcke, Slinkys (das sind diese spiralförmigen Spielzeuge, die eine Treppe „hinuntertanzen“ können), Duschschläuche –, doch alle hatten Metallkomponenten, die wir nicht brauchen konnten. Wir suchten bei Alibaba, einer riesigen chinesischen Version von Amazon, wo man praktisch alles kaufen kann, vom lebenden Hummer bis zum ferngesteuerten Vibrator.

Dort fanden wir rund 15 potenzielle Hersteller und mailten sie mit folgender Betreffzeile an: „Haargummi für Mädchen aus Telefonschnur.“ Wir dachten damals, das mache am besten klar, worum es uns ging: ein spiraliges Haargummi, das aussah wie ein Telefonkabel. Schließlich stießen wir auf einen Typen namens Liang, der Telefonschnüre und die dünnen Kabel herstellte, die von Bodyguards verwendet wurden. Wir konnten ihn überreden, unsere ersten Prototypen herzustellen. Dazu war ein bisschen Verhandlungsgeschick erforderlich, da Produzenten offenbar oft Mindestbestellmengen haben. Ich schrieb ihm eine E-Mail und griff dabei ein paar Zahlen aus der Luft.

Hallo Liang,

teilen Sie mir doch bitte mit, wie viele Tage die Lieferung der Muster in Anspruch nimmt und wann Sie sie versenden können. Dann überweise ich das Geld innerhalb der nächsten 24 Stunden via Paypal. Sagen mir die Produkte zu, erteile ich einen Probeauftrag über 15 000 Stück. Stellt mich diese Lieferung zufrieden, bestelle ich 200 000 Stück.

Vielen Dank.

Sophie Trelles-Tvede

Ein paar Wochen später trafen die Musterhaargummis für Mädchen aus Telefonschnur in meinem Wohnheim in Warwick ein. Es waren runde Haargummis aus einem telefonkabelähnlichen Material, das an den Enden verschweißt war. Sie hatten unterschiedliche Stärken und Größen, manche waren aus abgeflachtem Kabel gefertigt, andere aus rundem.

Und alle sahen furchtbar aus.

Ich hatte mir kleine, bunte, spiralige Haargummis vorgestellt, die sich glatt anfühlten und niedlich waren. Diese waren in kränklichem Gelb und gräulichem Grün gehalten. Sie waren superelastisch, hatten eine raue Oberfläche und rochen nach Chemie. Doch etwas anderes hatte ich nicht. Also musste ich sie zumindest ausprobieren. Vor dem Spiegel band ich mir die Haare damit hoch und wackelte mit dem Kopf.

„100 Millionen Haargummis und ein Wodka Tonic“ von Sophie Trelles-Tvede

Das Haargummi hielt.

Ich legte den Kopf zur Seite und schüttelte ihn kräftig, als hätte ich Wasser in den Ohren.

Das Gummi hielt.

Ich wirbelte kraftvoll im Kreis herum wie eine Kugelstoßerin bei den Olympischen Spielen.

Das Gummi saß.

Dann machte ich ein paar Headbanging-Bewegungen. Dabei schlug mir zwar schmerzhaft der Pferdeschwanz ins Auge, doch das Haargummi saß bequem und rutschte nicht. Vielleicht war der Prototyp noch ein bisschen schwer, doch mit ein paar kleinen Änderungen konnte daraus ein richtig gutes Produkt werden. Ich ließ das Testgummi eine Stunde lang im Haar, und als ich es herauszog, bildeten sich keine unschönen Wellen. Vor allem aber bekam ich keine Kopfschmerzen.

Ich rief Felix an. (Er hatte kurze Haare und musste mir vertrauen.) „Die Telefonschnurgummis funktionieren, hörst du“, sagte ich. „Cool. Packen wir’s an. Ganz oder gar nicht.“ Von Anfang an hatte sich Felix dafür stark gemacht, auf KEINEN FALL irgendwo einen kleinen Laden aufzumachen, der doch nur eine Lachnummer sein würde. Wir hatten kein kleines Geschäft im Sinn, das man zum Spaß betrieb, sondern ein Unternehmen, von dem wir leben konnten. Wir wollten es versuchen, und zwar zusammen.

Ich glaube, aus 99 Prozent aller Ideen wird nichts. Ich hatte immer gedacht, wenn man sein eigenes Unternehmen gründen will, müsse man Folgendes tun:

  • Einen Bachelor-Abschluss machen. Zu sich selbst finden. Herausfinden, wo die eigenen Interessen liegen (Dauer: drei Jahre).
  • Anschließend einen Master-Abschluss machen. Sich eingehender mit beruflichen Vorstellungen auseinandersetzen (Dauer: ein Jahr).
  • Sich daraufhin einen tollen Job suchen. Geld verdienen. Für finanzielle Sicherheit sorgen (Dauer: 25 Jahre).
  • Und schließlich: Das Unternehmen gründen, von dem man vor langer Zeit als Studentin geträumt hatte (und was inzwischen vermutlich schon ein anderer getan hatte, sodass die Aussichten eher schlecht sind).

Das war meine Einstellung, und ich glaube, viele Menschen denken ähnlich. Meiner Erfahrung nach geht es jedoch auch anders.

Bild: Invisibobble

Sophie Trelles-Tvede hat spanisch-dänische Wurzeln, ist in der Schweiz aufgewachsen, hat in England studiert und in München gegründet.

Wir waren 18, als ich auf die Idee mit den Haargummis kam. Im Januar 2012, als wir das Unternehmen gründeten, wurde ich 19. Hätte ich erst 25 Jahre lang Karriere gemacht, wäre das Haaraccessoire-Unternehmen sicher nie gegründet worden. Je älter man ist, desto größer sind die wirtschaftlichen und persönlichen Risiken. Hätten wir abgewartet, hätte vermutlich entweder jemand anderer das Spiralhaargummi erfunden oder ich wäre zu dem Schluss gekommen, dass die Idee zu albern war, um meine berufliche Laufbahn dafür aufs Spiel zu setzen.

Unser Haargummi-für-Mädchen-aus-Telefonschnur-Produkt war ja auch irgendwie albern, doch ich glaubte daran. Bevor wir es allerdings auf dem Markt groß rausbringen konnten, brauchten wir noch einen Namen. Mir schwebte ein ganz neues Wort vor, das feminin klang, nett, lustig, und dabei auch noch verriet, wofür das Produkt gut war.

Es musste auch ein Name sein, bei dem noch keine Suchergebnisse aufschienen, wenn man ihn googelte. Hatten wir den Markennamen erfunden und die Leute würden das erste Mal davon hören, sollte er ganz oben auf der Seite erscheinen. Felix nahm mich beim Wort. Eines Abends saß ich im Schneidersitz in meinem Zimmer und textete mit ihm auf meinem Blackberry (einem Smartphone-Typ, den es inzwischen nicht mehr gibt). Das lief ungefähr folgendermaßen ab:

Felix: Ich hab den perfekten Namen!

Ich: !

Felix: No Trace.

Ich: So soll er heißen, meinst du???! Das sind aber ZWEI Wörter, nicht eins.

Felix: Ja! Er hinterlässt keine Spuren, deshalb NoTrace. Kapiert?

Ich: Nein. Ich will ein neues Wort erfinden, nicht zwei bekannte kombinieren!

Felix: TraceFree?

Ich: Das ist doch im Grunde dasselbe! Trace und Free gibt es auch schon.

Felix: Dann ElastiTrace!

Ich: Smiley

Ich schrieb unsere Vorschläge auf. Die Liste war nicht besonders inspirierend.

No-TrAce

TraceFREE

ElastitrACE

HairKindly

SpiralhAIR

Da fiel mir ein, dass meine englische Freundin Hope „Hair Bobbles“ sagte, wenn sie Haargummis meinte. Das hatte ich schon immer lustig gefunden. Ich dachte: Dieses Produkt hinterlässt keine sichtbaren Spuren. Dazu kam mir an einem Februarabend das Wort „invisible“ in den Sinn: unsichtbar. Schnitt man die Endung „le“ ab und fügte es mit „Bobble“ zusammen, wurde „invisibobble“ daraus – das Haargummi, das keine Abdrücke hinterlässt. Ich saß noch immer auf meinem Bett und googelte „invisibobble“. „Meintest du: invisible bubble?“, fragte Google zurück – „unsichtbare Blase?“ Ich klickte auf den ersten Treffer dafür und gelangte auf eine Website, auf der stand: „Jeder Mensch hat eine unsichtbare Blase um seinen Körper. Diese Blase bestimmt, wie nah jemand kommen darf, bevor man sich unwohl fühlt, und begrenzt auch den eigenen Abstand zu anderen.“

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So sehr sich das auch nach einer Superkraft anhörte, wie ich sie gerne hätte – mit einem spiraligen Haargummi hatte es absolut gar nichts zu tun. Für „invisibobble“ gab es keine Treffer. Null Ergebnisse! Vielleicht würde mir das Wort „invisibobble“ ja erhalten bleiben, dachte ich. Vielleicht auch nicht. Aber wenn doch, dann sollte ich mich an diesen Moment erinnern, fand ich.

Für Felix war „invisibobble“ akzeptabel – allerdings nur als zweite Wahl nach all den genialen Vorschlägen, die er gemacht hatte. Doch wir überlegten uns trotzdem schnell, wie unser Logo aussehen könnte. Um „invisibobble“ leichter lesbar zu machen, verwendeten wir verschiedene Grüntöne für „Invisi“ und „Bobble“ und gestalteten den Schriftzug mit einer billigen Studentenversion von Photoshop. Darunter schrieben wir noch „The traceless hair ring“ – das Haargummi, das keine Abdrücke hinterlässt –, was bis heute auf unserer Verpackung steht.

Die Palette von Waren, die man käuflich erwerben kann, reicht von so komplexen wie Atomreaktoren bis zu ganz primitiven wie Faustkeilen, und das invisibobble-Spiralhaargummi ist definitiv näher am Faustkeil. Trotzdem ist es eine gute Erfindung. Das erkannten viele meiner Freunde aber nicht gleich. Anfangs machten sie sich sogar über mich lustig. Nach ihrer Meinung gefragt, wussten sie nicht so richtig, was sie davon halten sollten.

„Sieht ein bisschen wie eine missglückte Sprungfeder aus.“

„Verheddert sich das nicht in deinen Haaren?“

„Hat dir jemand auf den Kopf gekotzt?“

Es sei hässlich, meinten die Leute, weil sie die Farben der Prototypen nicht mochten. Auch wirke es nicht besonders modisch, fanden sie. Es war eben einfach eine seltsame Idee, sich etwas ins Haar zu binden, das aussah wie eine Telefonschnur. So etwas hatte noch keiner gemacht. An der Uni hatten ein paar Leute 28 000 Euro Beihilfe bekommen, um ein mit dem Internet verbundenes Leuchtmittel zu entwickeln, das sich über ein Smartphone dimmen ließ. Eine tolle Idee, und der Zuschuss erregte natürlich einiges Aufsehen. Für mein Produkt gab es kein Geld, und mein Umfeld reagierte bestenfalls skeptisch. Haargummis sind ein funktionelles Produkt, das keine großen Gefühle auslöst – so ähnlich wie Klopapier. Mit Klopapier sind die Leute im Großen und Ganzen zufrieden, wenn der Hintern damit einigermaßen sauber wird. Man braucht es, doch es macht keine besondere Freude, es zu kaufen.

Wir hatten die Chance, aus einem Haargummi – einem Accessoire mit ähnlichem Sexappeal wie Klopapier – etwas Magisches zu machen. Etwas, was den Menschen gefiel und mit Lust gekauft wurde – auch wenn es etwas teurer war.

Bild: Invisibobble