Der Streit um einen Betriebsrat bei N26 wirft Fragen auf, die weit über das Fintech hinausgehen.

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Der Streit um einen Betriebsrat bei Deutschlands wertvollstem Fintech N26 hat auch ein politisches Echo ausgelöst. Vertreter nahezu aller großen Parteien verurteilten gegenüber Gründerszene und Business Insider das Verhalten des Managements. Die N26-Spitze um Gründer Valentin Stalf hatte vergangene Woche einstweilige Verfügungen gegen die Initiatoren einer Betriebsratswahl erwirkt. Für Kritik hatte insbesondere die Aussage der Gründer gesorgt, ein Betriebsrat widerspreche „fast allen Werten“ des Unternehmens und sei nicht „zeitgemäß“.

Der Fall N26 ist inzwischen zum Paradebeispiel für die tiefe Abneigung der Startup-Welt gegen einen formalen Betriebsrat avanciert. Stalf hat mit seinen kontroversen Bemerkungen aber auch eine neue Diskussion zu Tage gefördert: Die Frage, inwiefern das 100 Jahre alte Konzept des Betriebsrats einem Update für das 21. Jahrhundert bedarf.Im politischen Berlin gibt es dazu ganz unterschiedliche Antworten.

Grüne fordern Online-Betriebsratswahlen

Die Startup-Beauftragten von FDP und Grünen sprachen sich gegenüber Gründerszene und Business Insider für eine Reform aus. Bettina Stark-Watzinger, Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion, sagt dazu: „Dass einige Regelungen in einer zunehmend digitalisierten Welt insbesondere bei jungen, innovativen Unternehmen für Unstimmigkeiten sorgen, ist nachvollziehbar. Die Bundesregierung ist gefordert, hier Abhilfe zu schaffen.“ Die FDP wolle die Möglichkeit schaffen, Betriebsratsarbeit digital zu gestalten. Betriebsräte sollten dauerhaft und rechtssicher mittels Videokonferenz arbeiten können, sofern sie das wollen. Die jetzige Situation sei allerdings kein Grund, Betriebsratswahlen zu vereiteln, sagt Stark-Watzinger mit Blick auf N26. Auch der Verweis auf die Unternehmenswerte erschließe sich ihr nicht. „Klar ist, dass die Kommunikation nicht zweckdienlich war“, so die FDP-Frau.

Danyal Bayaz, der die Startup-Politik der Grünen im Bundestag verantwortet, sieht den Fall N26 ebenfalls als Anlass, über Veränderungen nachzudenken. „Die Frage, wie wir Mitbestimmung in einer digitalen Wirtschaft schaffen und weiterentwickeln, ist sehr berechtigt. Die Politik hat die Aufgabe, dafür den rechtlichen Rahmen zu schaffen“, sagt er. Die Grünen sprechen sich etwa für die Möglichkeit von Online-Betriebsratswahlen und Mitspracherecht bei Homeoffice und Erreichbarkeit aus. Was die praktische Umsetzung angeht, sieht Bayaz allerdings die Unternehmen und ihre Beschäftigten in der Pflicht. Für N26 sei die Krise nun auch eine Chance, voranzugehen und zu zeigen, wie Mitbestimmung im Startup funktionieren kann. Generell dürfte es aber auch für Startups keine Ausnahmen bei den Sozialstandards geben. „Gerade von einem erfolgreichen Unicorn wie N26 kann man erwarten, dass es sich an die Regeln hält“, so Bayaz.

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SPD: Fall N26 kein Grund für Gesetzesänderungen

Die Regierungsparteien reagieren unterdessen eher verhalten auf die Forderung nach einem Update für das Betriebsverfassungsgesetz, das die Mitbestimmung und die Betriebsratsarbeit in Unternehmen regelt. Zuletzt wurde das Gesetz im Jahr 1972 grundlegend novelliert. Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hält es auch heute noch für zeitgemäß. „Natürlich sind nicht alle Regelungen ein zu eins auf Startups übertragbar. Ich sehe die Situation bei N26 aber nicht als Ausgangspunkt für Veränderungen am Betriebsverfassungsgesetz. Startups werden bei der SPD auf Granit beißen, wenn sie unter dem Deckmantel der Modernisierung versuchen, ArbeitnehmerInnenrechte zu beschneiden“, sagt Zimmermann. Die Sozialpartnerschaft sei eine Stärke der deutschen Wirtschaft. „Dementsprechend stehen wir als SPD ganz eng an der Seite der Beschäftigten von N26. Die Art und Weise, wie das Management dort mit der Diskussion umgeht, ist ja der beste Beweis dafür, dass es einen Betriebsrat braucht.“ Wie der Koalitionspartner Union über die Debatte denkt, ist offen. Der Startup-Beauftragte der Bundesregierung Thomas Jarzombek (CDU) meldete sich auf unsere schriftliche Anfrage nicht zurück.

Bemerkenswert ist an der Causa N26, dass die Startup-Szene offenbar keine eigenen Konzepte hat, wie eine moderne betriebliche Mitbestimmung aussehen kann. Gründer Valentin Stalf legte erst dann einen Alternativvorschlag zum Betriebsrat vor, als die ersten Wahlen für einen Wahlvorstand liefen. Selbst der Bundesverband Deutsche Startups, der eigentlich die Interessen von Startups und ihren Beschäftigten auf Bundesebene vertreten soll, hat dazu offenbar noch keine Ideen entwickelt. Auf unsere schriftliche Anfrage teilte der Verband mit, man sei „dazu zur Zeit im Meinungsbildungsprozess“.

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Die Debatte um betriebliche Mitbestimmung in Startups und Tech-Konzernen ist jedoch nicht neu. In der Vergangenheit gab es zahlreiche Beispiele, die ähnliche Fragen aufwarfen. Im Jahr 2006 setzten Mitarbeiter des Softwareunternehmens SAP einen Betriebsrat gegen erheblichen Widerstand durch – auch in der Belegschaft. 2018 hatte die Plattform Booking.com für Schlagzeilen gesorgt, weil das Management angeblich die Arbeit des Betriebsrats behindert habe. Auch bei dem Essenslieferdienst Lieferando wurden in jüngster Zeit immer wieder ähnliche Vorwürfe laut.

 

Bild: N26