Sabine Kroh hatte schon jahrzehntelange Arbeitserfahrung als Hebamme, bevor sie Call a Midwife gründete.
Sabine Kroh hatte schon jahrzehntelange Arbeitserfahrung als Hebamme, bevor sie Call a Midwife gründete.

Hebammen-Hilfe per Telefon, und das zu jeder Tageszeit – die Idee klingt einleuchtend. Trotzdem musste das Startup Call a Midwife, das genau das anbietet, Mitte 2019 Insolvenz anmelden. Was ist passiert?

Wir haben mit Gründerin Sabine Kroh über die Gründe für ihr Scheitern gesprochen. Die Berliner Hebamme startete Call a Midwife 2016, zu Hochzeiten hatte sie sechs Angestellte und 24 freiberufliche Hebammen im Team. Sie sagt: Deutschland und E-Health, das passt nicht unbedingt zusammen. Und nennt als weitere Hürde für ihr Geschäftsmodell die harsche Kritik aus den eigenen Reihen. 

Sabine, über Call a Midwife konnten Frauen aus aller Welt mit Hebammen telefonieren. Wie bist du auf die Idee gekommen?

Berlin hat mich auf die Idee gebracht: Die Stadt ist in den vergangenen Jahren wahnsinnig international geworden, ich habe als Hebamme Frauen aus Pakistan, Indien oder Kasachstan betreut. In diesen Ländern gibt es teils nicht so ausgereifte Hebammen-Systeme wie in Deutschland. Eines Tages sagte eine Mutter zu mir, ihre Schwester in Pakistan habe Probleme beim Stillen. Sie fragte mich, ob ich nicht mal mit ihr telefonieren könnte. Das hatte ich noch nie gemacht, war aber bereit, es auszuprobieren. So habe ich gemerkt, dass es einen Bedarf für telefonische Hebammenberatung gibt. Also habe ich ein bisschen Geld in die Hand genommen, und dann ging es los.

Wie lief der Start?

Eigentlich fing es gut an. Wir waren fast ein wenig überrascht, weil wir kaum Geld für Marketing ausgegeben haben. Die Mehrsprachigkeit war wohl ein deutliches Alleinstellungsmerkmal. Unsere Website gab es auf Deutsch und auf Englisch und die Hebammen, mit denen wir arbeiteten, waren alle mehrsprachig.

Und wann fing es an, schwierig zu werden?

Ein Problem war, dass ich sehr persönlich von Hebammen und vom Verband angegriffen wurde.

Was war denn die Kritik?

Es hieß, ich würde die Hebammen dem Arbeitsmarkt wegnehmen. Dabei waren sie gar nicht bei uns angestellt, sondern alle hauptberuflich in Kliniken oder als selbstständige Hebammen tätig. Lediglich ihre freien Zeiten haben sie genutzt, um über uns die telefonische Beratung anzubieten. Es ging es mir nie darum, Hebammen zu ersetzen, sondern darum, eine digitale Ergänzung zu bieten – vor allem in Gegenden, wo es kein so gutes Hebammen-System gibt wie bei uns.

„Ich hatte keine Ahnung, noch nicht mal einen Business Plan.“

War die Kritik dein einziges Problem?

Ich war 47 Jahre alt und habe eine Website online gestellt. Und plötzlich war ich in diesem Gründer-Kosmos drin. Ich wusste nicht mal, dass ich „Gründerin“ bin, ich selbst habe mich als Hebamme gesehen. Ich hatte keinen MBA und keine Business-Erfahrung und musste mir in kurzer Zeit viel Wissen aneignen: wie man ein Unternehmen gründet, wie man es führt, was Business-Modelle und Conversion Rates sind. Ich hatte keine Ahnung, noch nicht mal einen Business Plan. Für mich waren das die größten Hürden.

Wie hast du dir das alles angeeignet?

Ich habe zwei Mentoren, mit denen ich eng zusammenarbeite. Außerdem habe ich mir Rat im Freundeskreis gesucht, Lehrgänge besucht und wahnsinnig viel gelesen. Die Lernkurve war extrem hoch.

Und dann hast du gemerkt: Das Geschäftsmodell geht so nicht auf.

An den Punkt kam ich Anfang 2019. Mein Team und ich standen damals vor der Entscheidung, ob wir eine Finanzierungsrunde abschließen und Investoren aufnehmen sollten. Plötzlich fragte ich mich: Geht es mir um Geld oder um Social Impact? Will ich von externen Investoren dazu getrieben werden, auf Teufel komm raus Millionen zu verdienen? Davon wollte ich mich ganz klar distanzieren. Irgendwer muss die Zeche bezahlen, und das wären im Zweifel die Hebammen gewesen.

Das musst du erklären.

Um schnell zu wachsen, hätten wir mit Krankenkassen zusammenarbeiten müssen. Das Problem ist: Wir hätten dann zwar mehr Anrufe bekommen, aber die Hebammen wären immer noch schlecht bezahlt worden. Dadurch, dass die Kundinnen bei uns privat zahlten, konnten wir die Hebammen besser bezahlen als die Krankenkassen es tun. Ich habe oft in Startups mitbekommen, dass es Investoren nicht um Sustainability geht. Da geht es dann um Skalierung, und es werden Produkte verkauft, die niemand wirklich braucht. Das ist in Ordnung, aber es passte nicht zu meinem Modell.

Wann bist du den Schritt gegangen, Insolvenz anzumelden?

Mitte des Jahres habe ich gemeinsam mit meinem Team und meinen Beratern entschlossen, dass ich einen Neustart hinlegen möchte. Ich muss mir darüber klar werden, wie ich mein Geschäftsmodell in Zukunft ändern soll und was meine Vision ist. Darauf will ich mich in Ruhe und ohne Altlasten vorbereiten. Insofern war die Insolvenz für mich die folgerichtige Entscheidung.

Und deine sechs Mitarbeiter?

Die habe ich in diesem Zuge entlassen müssen. Aber wie gesagt, sie kannten die Gründe für diese Entscheidung. Sie haben alle neue Jobs gefunden und wir sind noch eng miteinander verbunden. Call a Midwife war unser gemeinsames Herzensprojekt.

Wie hat dein Umfeld auf die Insolvenz reagiert?

Meine Freunde fanden es positiv, dass ich mich neu aufstelle. Aus dem unternehmerischen Umfeld habe ich eher das Gefühl vermittelt bekommen, Insolvenz sei mit Versagen gleichzusetzen. Das Thema hat hier immer einen negativen Beigeschmack. Ich sehe das anders: Scheitern ist eigentlich das beste, was mir passieren konnte. Ich muss einen Schritt zurücktreten und darüber nachdenken, wohin ich will. Diese Lerneffekte hatte ich nur, weil ich gescheitert bin. Das empfinde ich als Bereicherung. Auch wenn es natürlich wehtut, seine Firma aufzulösen.

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Wie geht es jetzt mit Call a Midwife weiter?

Die Gesellschaft wird gelöscht. Danach werde ich erst mal meinen Job als Hebamme weitermachen und schreibe nebenbei eine Kolumne für die Berliner Zeitung und ein Buch. Im Laufe des Jahres würde ich gern wieder gründen, aber ich verspüre überhaupt keinen Druck, irgendetwas übereilen zu müssen.

Was willst du beim zweiten Mal anders machen?

Auf jeden Fall weiß ich, dass Deutschland nicht mein Kernmarkt wird. Ich will mich deutlich stärker auf das Ausland fokussieren. Ich bin häufiger in Tansania, um dort als Hebamme zu arbeiten und telemedizinische Projekte zu unterstützen. Afrika hat das Festnetz-Zeitalter übersprungen und ist im E-Health Bereich schon viel weiter als wir, auch in den Regulierungen. In ganz Afrika werden pro Jahr circa 35 Millionen Kinder geboren. Der Markt ist also viel größer und der Zugang zur Gesundheitsversorgung unterentwickelt. Da macht eine telemedizinische Versorgung Sinn.

Hast du denn das Gefühl, dass der E-Health-Markt in Deutschland weiter ist als vor drei Jahren, wo du angefangen hast?

Es wird mehr darüber gesprochen. Aber in Deutschland ist die Gesundheitsversorgung so exzellent, dass E-Health keinen Platz hat. Wenn die Leute krank sind, gehen sie zum Arzt. Und der sitzt zwei Querstraßen weiter. Oder sie fahren in die Klinik, die fünf Minuten entfernt ist. Warum sollten die Menschen E-Health nutzen? In der breiten Bevölkerung sind die Vorteile noch nicht angekommen.

Wie könnte sich das ändern?

Die Krankenkassen müssten E-Health viel schmackhafter machen, zum Beispiel durch Belohnungssysteme: Wer nicht zum Arzt geht, sondern erst einmal eine telemedizinische Sprechstunde wahrnimmt, bekommt einen Bonus. Es wäre doch großartig, wenn jede Klinik in Deutschland eine Hotline hätte, wo die Menschen anrufen könnten, anstatt mit Rückenschmerzen gleich hinzufahren. Da würden in der Klinik immense Ressourcen geschont. Das ist E-Health.

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Bild: Sabine Kroh