Sebastian Thrun
Sebastian Thrun

Er ist ein Superstar im Silicon Valley: Schon 2003 lehrte Sebastian Thrun an der Westküsten-Eliteuniversität Stanford, baute dort das Artificial Intelligence Lab auf. Kurz darauf schrieb er beim autonomen Fahren Geschichte, als sein Team 2005 die Grand Challenge der US-Militärforschungsbehörde DARPA gewann. Es war das erste Mal, dass eines der vollständig computergesteuerten Fahrzeuge die Strecke erfolgreich absolvierte. Zwei Jahre später beauftragte Larry Page Thrun damit, die geheime Forschungsabteilung Google X aufzubauen.

Parallel stellte Thrun seine Vorlesung „Einführung in die Künstliche Intelligenz“ ins Netz. Mit bemerkenswertem Erfolg: 60.000 Studenten meldeten sich an, von denen 23.000 an einem Online-Abschlussexamen teilnahmen – mehr als an der Universität Stanford insgesamt eingeschrieben sind. Für Thrun bedeutete dies der Schritt ins Gründerleben: Er gab darauf seine Professur auf und gründete zusammen mit weiteren Professoren die Online-Akademie Udacity.

Im November 2017 hatten wir mit Sebastian Thrun über die ersten wirklich greifbaren Veränderungen gesprochen, die von Künstlicher Intelligenz ausgehen – und darüber, ob Algorithmen sexistisch sind.

Hier geht’s zum Gründerszene-Themenschwerpunkt Künstliche Intelligenz…

Sebastian, Du siehst sehr optimistisch in die intelligente Tech-Zukunft. In welchen Bereichen werden zuerst Veränderungen zu spüren sein? Was verändert sich am stärksten in den nächsten fünf oder zehn Jahren?

In der Medizin wird es auf der Basis großer Datenmengen zuerst Fortschritte geben. Auch bei allem, was sich automatisieren lässt, weil es einen großen repetitiven Anteil hat – die Arbeit von Buchhaltern, Doktoren, Piloten. Künstliche Intelligenz wird in der Lage sein, diese Sachen zu lernen und für uns zu machen.

Gegenüber dem US-Netzwerk PBS hast Du einmal gesagt, wir werden mit KI einen IQ von 10.000 haben, alles verstehen und jedes Problem lösen. Glaubst Du das wirklich?

Ja. Vielleicht nicht alle Probleme. Aber heute kann ich mit einem Taschenrechner die zehnte Wurzel einer zwanzigstelligen Zahl in weniger als einer Sekunde berechnen.

Was der Gesellschaft im Alltag aber nicht direkt weiterhilft.

Durch die Technologien, die wir erfunden haben, haben wir die Menschen immer besser gemacht. Wir können über Kontinente hinweg miteinander sprechen, den Ozean in wenigen Stunden überqueren, Google gibt uns Zugang zu einer wahnsinnigen Menge an Informationen. All das steht nicht nur den Eliten, sondern auch den Massen zur Verfügung. Dass heute Online-Universitäten wie Udacity möglich sind, hilft auch der Gesellschaft: Wir haben zusammen mit Codedoor 1.000 Stipendien an Flüchtlinge in Deutschland vergeben, damit sie das Programmieren für iOS und Android lernen können. Traditionelle Präsenzuniversitäten hätten das nicht mal eben so machen können.

Aber auch das behebt die Ursache nicht.

Plattformen für die Kommunikation oder den Handel über Ländergrenzen hinweg führen letztlich zu mehr Frieden, weil sie Verflechtungen und Abhängigkeiten dort schafft, wo es vorher vielleicht nicht mal Kontakte gab. Europa ist das beste Beispiel dafür. Dass es hier keine Kriegsgedanken mehr gibt, ist auch der Technologie zu verdanken. Sogar, dass immer mehr Ehen zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern geschlossen werden, wurde erst durch Technologie möglich.

Nicht überall steht Technologie in gleichem Maße zur Verfügung. Schafft das nicht auch Unzufriedenheit und Begehrlichkeiten?

Gefälle wird es immer geben, keine Frage. Die unter dem Namen Kommunismus eliminieren zu wollen, hat ganz eigene Schwierigkeiten mit sich gebracht.

Algorithmen – auch die selbstlernenden – basieren auf den Konventionen und Erfahrungen derer, die sie entwickeln. Man nennt das „algorithmic bias“. Google hatte vor zwei Jahren ein Riesenproblem, nachdem die Gesichtserkennung in der Fotos-App ein dunkelhäutiges Pärchen als Gorillas identifiziert hatte. Wie passt das in Dein Bild?

Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Entwicklung der Welt. Viele Algorithmen, die heute benutzt werden, sind 30 Jahre alt. Neue Technologien können viel besser mit großen Datenmengen umgehen: Alpha Go hat gelernt, besser als jeder Mensch das komplexeste Spiel der Welt zu spielen. Ich habe im Februar in Stanford eine Studie zu Thema Hautkrebserkennung gemacht. Mit einem aktuellen System von Google konnten wir Erkrankungen genauso gut oder besser als Dermatologen identifizieren. Im juristischen Bereich können sich Computer bei Offenlegungsverfahren viel besser durch große Datenmengen wühlen als Menschen.

Lässt sich eingrenzen, wann die Maschine helfen kann und wann nicht?

Es geht um sich wiederholende Prozesse, nicht kreative. Ich finde repetitive Arbeit demütigend, auch wenn sie hochbezahlt ist wie bei Dermatologen. In Zukunft werden wir uns viel stärker mit kreativen Tätigkeiten auseinandersetzen können. Vor 150 Jahren haben wir alle noch als Bauern gearbeitet. Eine Person in Europa war in der Lage, für vier Personen Essen zu erzeugen, heute sind es 155. Damals haben wir repetitive Arbeit im Feld gemacht. Nach meiner Auffassung sind die Dinge besser geworden.

Künstliche Intelligenzen basieren immer auf Bekanntem. Gerade hat eine linguistische Studie herausgefunden, dass Algorithmen sexistisch „denken“, weil sie ihre Informationen aus bestehenden Textwerken ziehen.

Die Algorithmen sind ja nicht sexistisch, sondern unsere Texte. Solche Verzerrungen spielen natürlich eine wichtige Rolle. Die Maschine schaut sich das Verhalten des Menschen ab und lernt daraus. Wenn der also einen Bias hat, bekommt ihn die Maschine auch. Deswegen müssen wir uns fragen, ob wir diesen Bias haben wollen. In vielen Fällen kann man das korrigieren, indem man die Ausgangsdaten verändert. Schwer wird es, wenn man sich der Einfärbung nicht bewusst ist. Die Menschheit muss da also sehr ehrlich zu sich selbst sein.

Du hast von der Aussicht gesprochen, mit Technologie alles verstehen zu können. Bedeutet KI dann das Ende für die Wissenschaft – weil es irgendwann kein Wissen mehr zu schaffen gibt?

So will ich das eigentlich nicht verstanden wissen. Vielleicht ist der Begriff „alles“ falsch. Je mehr wir verstehen, desto mehr Fragen gibt es auch. Wir haben heute kein besonders gutes Verständnis von den Grundkräften in der Welt. Wenn ich alles sage, dann meine ich die Fragen, die sich uns heute stellen. Dinge, die heute schwer sind, werden in Zukunft leichter sein. Das sind oftmals auch kleine Sachen wie Buchstabieren zum Beispiel. Ich kann heute eine korrekte Email schreiben, das war früher nicht der Fall (lacht). Irgendwann muss ich mir keine Gesichter mehr merken, weil mir die Technologie sagt, wer vor mir steht.

Werden wir damit nicht faul im Kopf und verlassen uns zu sehr auf die Maschinen?

Das geht sicher Hand in Hand. Wenn ich heute mein Telefon nicht habe, dann fehlt mir was – ohne Smartphone kann ich meinen Job nicht machen. Ich habe da ehrlich gesagt keine große Wertauffassung. Mir ist wichtig, dass ich Dinge machen kann, die vorher nicht möglich waren. Mit Strom kann ich nachts sehen – darüber denken wir heute gar nicht mehr nach. Wem alte Fähigkeiten wichtig sind, der kann sie sich ja behalten oder sie neu lernen.

Bild: Mike Windle / Gettyimages