Silicon Valley Lifestyle
Das hätte es früher nicht gegeben – einfach so abzuhängen! Dank des Silicon Valleys können wir es alle mal lockerer angehen. Aber nicht alles ist so „easy“ an diesem Valley-Lifestyle

Das Silicon Valley ist Vorbild für Startup-Szenen weltweit, auch für die in Berlin. Doch wie läuft es gerade für deutsche Gründer an der Westküste? Warum interessieren sich US-Geldgeber nun mehr für deutsche Startups? Hat das Silicon Valley möglicherweise seinen Glanz verloren? Auf Gründerszene berichten wir eine Woche lang, was in der Bay Area von San Francisco aktuell passiert.

Nach der letzten Besprechung im klimatisierten Büro geht es weiter zum BBQ. In einem der vielen unscheinbaren Hinterhöfe versammelt sich die Elite der Creative Economy, um hier noch auf weitere spannende Leute zu treffen. Man unterhält sich über seine einzigartigen Erlebnisse, Hobbys und natürlich auch seine Projekte. Zwischendurch werden die Aktien-Kurse, E-Mails und Instagram gecheckt.

Klingt eigentlich wie ein ganz normaler Tag eines erfolgreichen Jungunternehmers aus Deutschland. Das Konzept stammt jedoch ursprünglich aus dem Silicon Valley. Der Tech-Kosmos hat die Art, wie wir unsere Arbeit und Freizeit gestalten, grundlegend verändert. Zum Guten wie zum Schlechten.

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Dank Smartphones, Online-Services und soziale Plattformen soll unser Alltag vereinfacht und bereichert werden. Das Versprechen lautet: Entlastung und Effizienz. Kurioserweise scheint jedoch häufig das Gegenteil der Fall zu sein. Dadurch, dass wir überall und zu jeder Zeit erreichbar sind, sich nahezu alles online regeln lässt und wir dabei durchgehend den Überblick bewahren wollen, müssen wir im Endeffekt sehr viel mehr Zeit investieren, als noch vor der Digitalisierung. Google, Apple, Facebook, Amazon und Twitter – sie alle wollen es uns einfacher machen, aber nehmen dafür sehr viel Platz und Zeit in unserem Leben in Anspruch.

Es sind nicht nur die Devices und Apps, sondern auch der Lifestyle, den wir in vielen Facetten übernommen haben. Sei kreativ, disruptiv und verwirkliche dich selbst! Denke wie ein Designer, sei gut vernetzt und arbeite agil im Team! So lauten nur einige der unterschwellig geforderten Maßstäbe aus dem Silicon Valley, wie sie in den 2000er Jahren rund um Palo Alto und die Stanford University ihren Ursprung fanden. Etwa 20 Jahre später machen die führenden Digitalunternehmen vor, wie wir alle Arbeit verstehen sollten. Teils Jahrhunderte alte Konzerne blicken neidisch auf das Valley, das seine Dependancen in Tel Aviv, Berlin, London und vielen anderen Städten der Welt errichtet hat. Denn egal aus welchen Land ein Startup kommt – in seiner Grundstruktur hat es die Werte und Maßstäbe der neuen Arbeitskultur aus dem Silicon Valley geerbt.

Ganz gleich, ob ein Startup eine neue Plattform für eine noch nicht-digitalisierte Nische hochzieht, ein neues Gadget entwickelt oder mit KI arbeitet. Am Ende des Tages wird es auf die Hardware und Software aus dem Silicon Valley angewiesen bleiben. Das Valley stellt die Infrastruktur, etwa das iPhone und ein Betriebssystem, auf der die meisten digitalen Services nachfolgender Generationen aufbauen. Wer eine App entwickelt und es nicht in den Google Play oder in den App Store schafft, ist genauso unsichtbar wie jemand, der es bei den bekanntesten Suchmaschinen nur auf die zweite Seite schafft. Wer etwas im Netz verkaufen will und nicht mit Amazon paktiert oder auf Instagram Influencer-Werbung betreibt, wird es schwer haben, seine Sachen loszuwerden. Wer sich nicht auf Twitter, Linkedin und einschlägigen Nachrichtenseiten wie Gründerszene oder Techcrunch informiert, kann beim BBQ vielleicht nicht so gut mitreden – egal ob in Palo Alto oder in Berlin-Kreuzberg.

Die positiven Einflüsse aus dem Valley

Der Lifestyle aus dem Valley wird hierzulande allmählich zum Common Sense und breitet sich weiter aus. Er bietet die Chance, sich von hierarchischen Strukturen im Büro zu verabschieden, Aktenordner und andere ineffiziente Arbeitsverhältnisse abzuschaffen. Dank des Valleys ist der Job endlich hip und sogar erfüllend, weil man mehr Freiheiten genießt, Dinge ausprobieren kann und sich als selbstwirksam erfährt. Trial and Error, ähnlich wie auch Kinder im Spiel vorgehen. Auch das haben wir aus dem Valley geerbt. Wir nennen es: Design Thinking.

Kinder sind in der Regel zufriedener als Angestellte, denen man genau vorschreibt, was sie zu tun und lassen haben. Ein Angestellter kann sich häufig erst dann mit seiner Arbeit identifizieren, wenn diese ein angenehmeres, freundschaftlicheres und lockereres Umfeld bietet. Der Google Campus hat’s vorgemacht. Die Tischtennis-Platte im Büro ist eines der vielen Wiedererkennungsmerkmale. Sich selbst und das Unternehmen mit digitalen Hilfsmitteln besser zu strukturieren, kann ein Gewinn an Lebens- und Arbeitsqualität bedeuten. Allerdings kommt es darauf an, wie man damit umgeht.

Die negativen Folgen aus dem Valley

Den Spirit des Silicon Valleys bekommen wir nämlich auch dann zu spüren, wenn wir spät abends noch unsere E-Mails checken und morgens früh als erstes das Smartphone in die Hand nehmen. Wenn die meisten unserer Freunde auch unsere Kollegen sind, wenn wir Events als Kontaktbörsen für unser Projekte ansehen und in allem einen Grund zur Disruption und Innovation vermuten, um ein Business daraus zu machen. Dann lebt man den Silicon-Valley-Dream. Der verlangt, dass wir sowohl unser Business als auch uns selbst wie einen Jahresabschluss jährlich steigern, oder wie es im Valley heißt: skalieren. Davon profitiert das eigene Unternehmen, aber auch das Valley, das über Provisionen und Lizenzen immer mitverdient. Aber was ist mit uns? Heißt finanziell zu profitieren auch persönlich etwas davon zu haben?

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Um Teil des Silicon-Valley-Dreams zu sein, müssen wir also entsprechende Geräte und die Software anschaffen und unser Wissen über Hypes und Trends ständig auffrischen. In diesem Strudel aus Abhängigkeiten und immer schnelleren Innovationszyklen kann es passieren, dass wir uns von Motiven des Eigennutzens und Wettbewerbs mitreißen lassen. Will heißen: Das Arbeitspensum auf unser Privatleben übertragen, alles als Challenge betrachten, ins Über-Optimieren geraten und nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit, Geschäftspartnern und Freunden unterscheiden können – oder wollen.

Was man selbst und China damit zu tun hat

Doch was, wenn man das alles nicht mitmachen will? Leider ist es nicht damit getan, keine Produkte mehr aus dem Valley zu benutzen, einmal im Jahr ein Digital Detox zu machen oder mit Microdosing verbotener Rauschmittel wieder eine Verbindung zur Welt und den eigenen Sinnen herzustellen. Es kommt darauf an, das Maß zu finden. Die meiste Arbeit lässt sich auch dann erledigen, wenn man nicht durchgehend nach Feierabend erreichbar ist. Nur weil wir uns immerzu im Wettbewerb sehen und fürchten, von Kollegen oder anderen Unternehmern abgehängt zu werden, ziehen wir mit. Wir bauen uns gegenseitig diesen Druck auf.

Die Corona-Zeit hat uns jedoch gezeigt, dass Video-Telefonie und andere digitale Services von Sportangeboten bis Online-Unterricht sinnvoll genutzt werden können, um einerseits in Kontakt bleiben und Geschäfte machen zu können, andererseits es insgesamt entspannter anzugehen. Man muss nicht stundenlang in Meetings abhängen oder für einen Vortrag in die nächste Stadt fliegen. Sie hat uns auch gezeigt, dass man seine Arbeit aus dem Home Office erledigen kann und nicht von 9 to 5 an einem Ort umgeben von Ablenkung und Kickertisch-Geräuschen absolvieren muss, um produktiv zu sein. Wieder finden wir das Vorbild im Valley. Twitter hat angekündigt, dass Mitarbeiter weiter ihren Job von zu Hause machen können – auch nach Corona. Wieder Mal ist das Valley Vorbild für unsere Arbeitskultur.

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Allerdings kommt ein Umstand erschwerend hinzu: Seit einigen Jahren spielt China eine immer größere Rolle. Alibaba, Tencent und andere digitale Schwergewichte positionieren sich als Gegenspieler zum Silicon Valley. Und zwar mir einer eigenen nahezu in sich geschlossenen Infrastruktur aus Hardware und Software. Wollen wir auch auf deren Markt mitmischen, müssen wir uns wohl oder übel auch mit deren Lifestyle vertraut machen. Was uns in Deutschland auszeichnet und Vorbild für andere werden könnte, ist vor allem ein umsichtigerer Umgang mit den Technologien. Wir sind stark darin, auf die Privatsphäre Rücksicht zu nehmen, Mensch und Natur möglichst zu schonen. Vielleicht können wir Vorbild darin werden, dass es nicht immer nur um Wettbewerb, Eigennutz und Skalierung gehen muss – und jeder Mensch trotzdem erfolgreich sein kann.

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Bild: Getty Images /Hinterhaus Productions