Unsinnig. Mehr muss einem im Affekt zum jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs gar nicht einfallen: Demnach sollen Arbeitgeber in Europa gezwungen werden, die Arbeitszeit eines jeden Mitarbeiters peinlich genau aufzuzeichnen. Nur so lasse sich überprüfen, sagt das Gericht, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden. Und nur das wiederum garantiere dann auch die von der Staatengemeinschaft zugesicherten Arbeitnehmerrechte.

Arbeitnehmerrechte, ja, das klingt super! Sind wir unbedingt dafür. Wenn man sich dann aber aus der Gedankenwelt eines Zalando-Versandzentrums verabschiedet, merkt man schnell, wie sehr eine allgegenwärtige Zeiterfassung unsere Arbeit unnütz belasten würde. Und noch viel wichtiger: wie sehr sie gegen die Erwartungen von Arbeitnehmern in vielen Bereichen geht.

Für unseren Gründerszene Report „New Work“, der in den nächsten Tagen erscheint, haben wir uns ausgiebig mit dem Thema moderne Arbeitsgestaltung auseinandergesetzt. Also damit, was junge Talente vom Arbeitsmarkt erwarten. An erster Stelle steht dabei ganz groß: Flexibilität. Die Arbeit soll ja vielleicht sogar Spaß machen! Stechuhren allerdings vermitteln nun nicht unbedingt ein wohliges Gefühl, von Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kann dann nicht mehr die Rede sein. Zumindest nicht denen, die für ihren Job brennen. Also diejenigen, die das Unternehmen und damit ihr Land und Europa als Ganzes wirtschaftlich weiterbringen.

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Man muss sich also fragen, ob der Europäische Gerichtshof wirklich den Gedanken zu Ende gedacht hat, wenn es von den Rechten „der Arbeitnehmer“ spricht. Es gibt auch eine Menge Arbeitnehmer, die sich von der Stechuhr eher belastet fühlen.

Man muss das alles bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist es richtig, die Rechte der Arbeitnehmer zu stärken. Arbeitszeit darf nicht ins Uferlose laufen, das bestehende Arbeitszeitgesetz ist eine wichtige Stütze für Fairness in der Arbeitswelt. Und sie ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. So richtig produktiv ist man nach mehr als acht beziehungsweise zehn Stunden am Tag nicht mehr, zumindest nicht jeden Tag und wenn die Arbeit auch nur ein Mindestmaß an Kreativität braucht.

Wie soll Arbeitszeit überhaupt belastbar gemessen werden? Nur dann würde eine Protokollierung ja etwas bringen. Was ist mit der Kippenpause? Wie viel Zeit darf für eine Whatsapp-Nachricht draufgehen, bevor man zur Stechuhr muss? Die Slack-Nachrichten und Mails morgens auf dem Weg zur Arbeit, was ist mit denen? Obendrein: Wann wurde die Arbeitszeit produktiv genutzt, wann „abgesessen“ und spielt das überhaupt eine Rolle? Diese Differenzierung wäre ja der konsequente nächste Schritt. Dass die Arbeitsschutzbehörde die Zeitprotokollierung nachprüfen kann, daran glaubt sowieso niemand, Rechtsstreite sind also vorprogrammiert. Das Urteil schafft am Ende mehr Willkür als die bisherige Regelung.

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Wer den Gedanken weiter verfolgt, merkt, wie absurd das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist, wenn man die gesamte Bandbreite an Berufen im Blick hat. Am Ende bleiben mehr Fragen als zuvor existierten. Und: Für die korrekte Zeitmessung alleine wird viel Zeit drauf gehen. Produktiv ist die dann allerdings nicht.

Wie sich die Arbeit in Startups und anderen Unternehmen in Zukunft besser organisieren lässt, lest ihr in Kürze in unserem Gründerszene Report „New Work: Was Mitarbeiter heute motiviert“. Unsere bisherigen Reports findet ihr hier.

Bild: Todd Davidson PTY LTD. / Gettyimages