Ausgezeichnet: Die Computer-Pionierin Stephanie Shirley ist heute eine der reichsten Frauen Großbritanniens.

TED-Talks sind bekannt dafür, dass Menschen auf der Bühne stehen, die etwas erreicht haben und ihre Geschichte gut vortragen können. Doch manche dieser Reden berühren mehr als andere. Der Auftritt der britischen Unternehmerin Stephanie Shirley gehört zur ersten dieser Kategorien. Sie schafft es mit deutlichen Worten und sprödem britischen Humor, dass die Zuhörer in der einen Minute losprusten, um in der nächsten tiefbewegt zu verstummen. Und sie braucht nur dreizehneinhalb Minuten dafür, dass man sich ihren Namen unbedingt merken will.

Geboren wurde Shirley 1933, im Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten, in Dortmund. Mit einem Kindertransport, der jüdische Minderjährige vor dem Terrorregime der Nazis retten sollte, kam sie als Fünfjährige nach England – getrennt von ihren Eltern. Dort lebte sie in einer Pflegefamilie.

Als junge Frau interessierte sich Shirley sehr für Mathematik und Wissenschaft, sie begann früh zu programmieren. Da sie als Programmiererin bei der britischen Post von ihren Vorgesetzten nicht genug gefördert wurde, machte sie sich Anfang der 60er Jahre selbstständig.

In den ersten Jahren nur Frauen eingestellt

Sie gründete eines der ersten Software-Unternehmen in Großbritannien, eine Firma namens FI Group. Und sie wählte eine gerade für diese Zeit außergewöhnliche Personalpolitik: Shirley stellte in den ersten Jahren nur Frauen ein, darunter auch lesbische Frauen und und Transgender. Um ihnen den Beruf neben der Familie zu ermöglichen, arbeitete ein großer Teil von ihnen in Teilzeit und im Homeoffice.

Die Frauen schrieben zuhause mit Stift und Papier Code und schickten ihn per Post zu einem Datenzentrum. Dort wurde er auf Karten gelocht – und nochmals gelocht, um ihn zu überprüfen. Damals sah Programmieren tatsächlich so aus. Einziges Arbeitsmittel für die Frauen, um mit den Kolleginnen zu kommunizieren, war das Festnetz-Telefon, das es in manchen Haushalten bereits gab. 

Und, als sei das alles nicht schon ungewöhnlich genug, entschied sich Shirley auch noch dafür, ihren Mitarbeiterinnen Firmenanteile zu überschreiben. Geschäftsbriefe unterschrieb sie auch gern mal mit dem männlichen Vornamen Steve – weil es in der Kommunikation nach außen vieles einfacher gemacht habe, wie sie sagt.

Das Ergebnis: Die Firma wuchs von einem kleinen, am Wohnzimmertisch mit umgerechnet 100 US-Dollar gestarteten Projekt zu einem Unternehmen, das auf drei Milliarden Dollar geschätzt wurde. Shirleys Startup machte nach ihren Angaben 70 Personen aus der Belegschaft zu Millionären. In ihrem TED-Talk fragt die mittlerweile 85-jährige Gründerin: „Wer hätte gedacht, dass das Programmieren des Flugschreibers der Concorde von ein paar Frauen erledigt wurde, die von zuhause aus arbeiteten?“ 

Doch nicht jeder hat diesen Aufstieg wohlwollend gesehen – zumindest nicht aufseiten der Männer. Einige Männer hätten ihr am Anfang gesagt, dass die Firma nur funktioniere, weil sie so klein sei, sagt Shirley. Als das Unternehmen größer wurde, habe sie sich dann sagen lassen müssen: Ja, jetzt habe es zwar eine gewisse Größe, aber keine strategische Relevanz. Und als die Firma dann auf mehrere Milliarden geschätzt wurde? „Da sagten sie so etwas wie, gut gemacht, Steve!“, erzählt Shirley – und das Publikum lacht.

Heute eine der reichsten Frauen Großbritanniens 

Heute gilt sie als eine der reichsten Frauen Großbritanniens und ist bekannt dafür, einen großen Teil ihres Vermögens zu spenden, oft an Einrichtungen für Menschen mit Autismus. Dieser wurde auch bei Shirleys mittlerweile verstorbenem Sohn diagnostiziert. Auf der Bühne spricht sie darüber, wie schwer dieser Schicksalsschlag für sie war und immer noch ist: „Ich habe gelernt, dass morgen nicht wie heute sein wird und mit Sicherheit kein bisschen wie gestern ist.“ Worte einer Mutter, die liebt und trauert. 

Gerichtet an andere Gründerinnen – und sicherlich auch Gründer – sagt Shirley: „Es ist eine Sache, eine Idee für ein Unternehmen zu haben, aber die Umsetzung ist oft schwierig.“ Sie verlange enorm viel Energie, Glauben an sich selbst und Willenskraft. „Man braucht den Mut, Familie und Heim aufs Spiel zu setzen, und einen Einsatz rund um die Uhr, der an inneren Zwang grenzt“, sagt sie. Und, in Bezug auf das, was sie antreibt: „Arbeit ist nicht bloß etwas, das ich erledige, obwohl ich lieber etwas anderes täte.“

Außerdem verrät Stephanie Shirley zwei Erfolgsgeheimnisse. Das erste: „Umgebt euch mit erstklassigen Leuten und mit Menschen, die ihr mögt.“ Und das zweite: „Wählt euren Partner sehr, sehr sorgsam.“ Den Grund liefert sie mit einem Lächeln auf den Lippen gleich mit: „Kürzlich, als ich gesagt habe, dass mein Ehemann ein Engel ist, beschwerte sich eine Frau: Sie haben Glück, sagte sie. Meiner lebt noch.“

Hier gibt es den gesamten TED-Talk.

Bild: Getty Images / AFP Contributor