Das EU-Parlament hat über ein neues Urheberrecht abgestimmt

Ist das Internet tot oder wird es eher gerecht? Darüber streiten Experten, nachdem das Europäische Parlament Mitte September darüber entschieden hat, ein neues Urheberrecht einzuführen. Bis zum Frühjahr 2019 will die EU über die finalen Richtlinien abgestimmt haben. Ziel soll es sein, kreative und journalistische Arbeiten im Internet zu schützen. Dabei geht es vor allem um die Linksteuer und den Uploadfilter.

Wer ist für das neue Gesetz, wer dagegen?

Auf der einen Seite stehen traditionelle europäische Medienhäuser. Sie finden, dass die Reform zwingend notwendig und längst überfällig ist, um die von ihnen geschaffenen Inhalte im Internet zu schützen und besser monetarisieren zu können. Verlage glauben, dass die Freiheit des Internets dadurch nicht in Gefahr kommen würde, da es genug Ausnahmen gebe. Beispielsweise fallen nicht kommerzielle Anbieter, Zitate oder Satire nicht unter die Reform. 

Linksteuer

Öffentliche Nachrichten-Aggregatoren wie Google News aber auch Suchmaschinen und andere Plattformen soll es zukünftig nicht mehr möglich sein, ohne Erlaubnis Überschriften oder Ausschnitte von Pressetexten anzuzeigen. Bisher ist das erlaubt. Wollen sie das weiterhin tun, müssen sie sich mit den Journalisten beziehungsweise deren Verlagen oder Verbänden auf die Nutzung und eine dafür gegebenenfalls zu zahlende Vergütung einigen. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger soll dafür den rechtlichen Rahmen bilden.

Auf der anderen Seite stehen vor allem die großen US-Internet-Unternehmen sowie eine breite Front der europäischen Digitalwirtschaft. Diese sehen in der Reform einen Sargnagel für die Freiheit des Internets. Derartige Maßnahmen würden die Nutzer in ihrer Kreativität einschränken, die Kommunikation sowie den Informationsfluss zwischen den Nutzern erschweren und den Internetstandort Europa schaden. Obendrein würde die Reform das Nutzungsverhalten im Internet verfehlen, die nun mal aus liken, sharen und uploaden eigener sowie fremder Inhalte bestehe. 

Wen betreffen Linksteuer und Uploadfilter?

In erster Linie adressiert die Reform – wie auch schon die DSGVO und das NetzDG – die großen US-Konzerne. Es soll zwar diverse Ausnahmen für beispielsweise kleinere Unternehmen geben. Dennoch könnten Startups indirekt davon betroffen sein. Unternehmen, die digitalen Content oder nutzergenerierte Inhalte veröffentlichen, sollten die Reform daher im Blick behalten. Und zwar aus beiden Richtungen: als Ersteller und Bereitsteller von Content aber auch als Nutzer sowie Verbreiter von Content.

Wer selbst Inhalte erstellt, egal ob für sich oder seine Kunden, und diesen auch auf Plattformen wie Facebook veröffentlichen möchte, muss hierfür dann die notwendigen Lizenzen gewähren. Sicherlich werden alle großen Portale hierfür standardisierte Prozesse entwickeln beziehungsweise ihre bestehenden Prozesse entsprechend erweitern. Unternehmen, die das vergessen oder ablehnen, werden aus der jeweiligen Timeline verschwinden oder gegebenenfalls nur noch mit aussageschwachen Einzelwort-Links vertreten sein.

Uploadfilter

Öffentliche Plattformen wie YouTube, Facebook oder Twitter sollen zukünftig außerdem dazu verpflichtet werden, Urheberrechtsverstöße – vor allem hochgeladene Bilder und Videos – bereits im Vorfeld zu verhindern. Aktuell sind sie nur dazu verpflichtet, nachträglich auf Verstöße zu reagieren. Der Begriff Uploadfilter selbst taucht zwar in den EU-Vorschlägen nicht auf, Experten sind sich aber weitestgehend einig, dass die Masse an hochgeladenen Inhalten nur durch derartige technische Lösungen zu bewältigen sein wird.

Startups, die fremden Content verbreiten, müssen an zwei Dinge denken: Sie benötigen die Erlaubnis des Rechteinhabers. Die ist gegebenenfalls nur gegen Bezahlung möglich, auch wenn Unternehmen nur Snippets verwenden wollen. Außerdem müssen Gründer das Urheberrecht vorher kontrollieren. Je nach Umfang des Inhalts wird das nur mit technischen Lösungen machbar sein. Diese wiederum sind – aufgrund ihrer technischen Komplexität und immensen Entwicklungskosten –  gegebenenfalls nur von einem der großen Player zu erhalten. So soll allein die Entwicklung von YouTubes Content-ID-System mindestens 60 Millionen Dollar verschlungen haben. Für die meisten Startups zu teuer.

Uploadfilter sollen Bilder, Videos und Musik scannen und urheberrechtlich einordnen, bevor die Inhalte online gehen. Das EU-Parlament will die Einzelheiten jetzt gemeinsam mit den beteiligten Interessenträgern erarbeiten. Die möglichen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen lassen sich also nur mutmaßen.

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Startups, deren Fokus auf eigenen Inhalten und Produkten liegt, wie etwa Softwareentwicklung, SaaS, FinTech oder industrielle Technologien, sind vom Thema sicher weniger stark betroffen. Hier dürfte die Richtlinie – wenn überhaupt – lediglich Randbereiche betreffen, beispielsweise wenn die eigene PR-Abteilung auf positive Berichterstattung zum eigenen Unternehmen hinweisen oder eine bestimmte Studie referenzieren möchte.

Genauer hinschauen sollten dagegen Startups aus dem E-Commerce oder der Medienwirtschaft. Das sind momentan etwa 16 Prozent der deutschen Startups. Je nach dem, ob und inwiefern fremde Inhalte Kern des eigenen Geschäftsmodells sind, sind diese Unternehmen mehr oder weniger von der Reform betroffen. Eine Vertriebsplattform, die als klassischer Vermittler auftritt und es den Nutzern selbst überlässt, Produktbilder hochzuladen, dürfte beispielsweise stärker betroffen sein, als eine Vertriebsplattform, die Kontrolle über die Uploads behält.

Wie ist das Gesetz zu bewerten?

Es ist meiner Meinung nach richtig, veraltete Regelungen anzupassen. Das europäische Urheberrecht stammt aus einer Zeit, als Google, Facebook, Twitter, Instagram und Co. noch nicht relevant waren. Die bisherigen Regeln passen daher nicht mehr. Dass Kreativschaffende für ihre Leistungen angemessen entlohnt werden wollen und sollen ist ebenfalls in Ordnung. Ob die momentanen Vorschläge ihr Ziel aber tatsächlich erreichen oder im schlimmsten Fall sogar das Gegenteil bewirken, bleibt abzuwarten und kann mit guten Gründen skeptisch gesehen werden.  

Es stellt sich zunächst die Frage, ob ein Leistungsschutzrecht an sich überhaupt der richtige Ansatz ist. Auf nationaler Ebene hat das Recht keine Wirkung und sich als ungeeignet erwiesen. Verlage haben selbst entschieden, ihre Inhalte umsonst online zu stellen. Einige Medienunternehmen bieten mittlerweile unterschiedliche Bezahlmodelle an, die aus Marktsicht sinnvoller erscheinen.

Uploadfilter werden heute bereits eingesetzt, da urheberrechtlich geschützte Inhalte ohne Erlaubnis ohnehin nicht veröffentlicht werden dürfen. Diese Filter arbeiten bislang aber nicht effektiv, da sie die Verstöße nicht zuverlässig von erlaubter Satire oder anderen Inhalten unterscheiden können. Bis dieses technische Problem gelöst ist und Gerichte offene Rechtsfragen geklärt haben, geht das im Zweifel zu Lasten der Meinungsfreiheit. Stichwort: Overblocking. Es gibt elegantere Vorschläge, um Journalisten und andere Kreativschaffende an den Einnahmen zu beteiligen – etwa in Form einer Kulturflatrate – oder um Urheberrechtsverstöße zu ahnden.

Im Übrigen bleibt letztlich zu befürchten, dass vergleichbare Effekte eintreten werden, wie bei der DSGVO: die Unsicherheit, der Verwaltungsaufwand und die Kosten steigen. Dadurch werden kleine Unternehmen belastet und etablierter Player profitieren davon.

Bild: © Bildagentur PantherMedia  /