Das EU-Parlament hat über ein neues Urheberrecht abgestimmt.

Ein Beitrag von Andreas Kühnke, Legal Counsel bei Project A

Ist das Internet tot oder wird es gerechter? Die schon lange, sehr hitzig und äußerst verhärtet um diese Frage geführte Diskussion hat sich noch einmal deutlich verschärft, seit sich Mitte Februar 2019 die europäischen Institutionen im sogenannten Trilog-Verfahren politisch auf die Urheberrechtsreform geeinigt haben. Damit ist der Weg für das EU-Parlament bereitet, die umstrittene Richtlinie noch vor der Europawahl im Mai 2019 zu beschließen. Ob das Plenum zustimmen wird, ist aufgrund der zunehmenden Kritik aus allen Lagern nicht sicher. Ziel der Richtlinie soll es sein, kreative und journalistische Arbeiten im Internet zu schützen. Dabei geht es vor allem um die sogenannte Linksteuer und sogenannte Uploadfilter.

Wer ist für das neue Gesetz, wer dagegen?

Auf der einen Seite stehen vor allem traditionelle europäische Medienhäuser. Sie finden, dass die Reform zwingend notwendig und längst überfällig ist, um die ihnen zur Verwertung zustehenden Inhalte im Internet zu schützen und besser monetarisieren zu können. Verlage glauben, die Freiheit des Internets sei dadurch nicht in Gefahr, da es genug Ausnahmen gebe – beispielsweise für nicht-kommerzielle Anbieter, Startups, Zitate, Kritiken, Rezensionen oder Satire. 

Linksteuer

Öffentlichen Nachrichten-Aggregatoren wie Google News, aber auch Suchmaschinen und anderen Plattformen, soll es zukünftig nicht mehr möglich sein, ohne Erlaubnis Überschriften oder Ausschnitte von Pressetexten anzuzeigen. Bisher ist das erlaubt. Wollen sie das weiterhin tun, müssen sie sich mit den Journalisten beziehungsweise deren Verlagen oder Verbänden auf die Nutzung und eine dafür gegebenenfalls zu zahlende Vergütung einigen. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger – gemeinhin Linksteuer genannt – soll dafür den rechtlichen Rahmen bilden.

Auf der anderen Seite stehen vor allem die großen US-Internet-Unternehmen sowie eine breite Front der europäischen Internet- und Digitalwirtschaft sowie der Netzcommunity. Sie alle sehen in der Reform den Grundstein für eine Zensur- und Kontrollinfrastruktur und damit einen Sargnagel für die Freiheit des Internets. Die Richtlinie würde die Nutzer in ihrer Kreativität einschränken, die Kommunikation sowie den Informationsfluss zwischen den Nutzern erschweren, dem Internetstandort Europa schaden und den eigentlich Kreativen gar nicht zu Gute kommen (Stichwort: Total-Buyout durch Verlage).

Wen betreffen Linksteuer und Uploadfilter?

In erster Linie adressiert die Reform – wie auch schon die DSGVO und das NetzDG – die großen US-Konzerne. Es soll daher diverse Ausnahmen geben – unter anderem für kleinere Unternehmen. So ist vorgesehen, dass nur solche Anbieter, die jünger als drei Jahre sind, einen Jahresumsatz von weniger als zehn Millionen Euro und unter fünf Millionen Nutzer im Monat haben, für illegal veröffentlichte Inhalte haften. Fehlt es an einer dieser drei Bedingungen, sind auch Startups betroffen. Junge Unternehmen, die digitalen Content oder nutzergenerierte Inhalte veröffentlichen, sollten die Reform daher weiterhin im Blick behalten. Und zwar aus beiden Richtungen: als Ersteller und Bereitsteller von Content aber auch als Nutzer sowie Verbreiter von Content.

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Wer selbst Inhalte erstellt, egal ob für sich oder seine Kunden, und diese auch auf Plattformen wie Facebook oder Twitter veröffentlichen möchte, muss hierfür dann die notwendigen Lizenzen gewähren. Sicherlich werden alle großen Portale standardisierte Prozesse entwickeln beziehungsweise ihre bestehenden Prozesse entsprechend erweitern. Unternehmen, die das vergessen oder ablehnen, werden aus der jeweiligen Timeline verschwinden oder gegebenenfalls nur noch mit aussageschwachen Einzelwort-Links vertreten sein.

Uploadfilter

Öffentliche Plattformen wie Youtube, Facebook oder Twitter sollen zukünftig dazu verpflichtet werden, Urheberrechtsverstöße – vor allem von Dritten zu Unrecht hochgeladene Bilder, Videos und Musik – bereits im Vorfeld zu verhindern. Tun sie das nicht, haften sie selbst. Derzeit sind sie nur dazu verpflichtet, bei Kenntnis nachträglich auf Verstöße zu reagieren. Der Begriff Uploadfilter selbst taucht zwar in der Richtlinie nicht auf, Experten sind sich aber weitestgehend einig, dass die Masse an hochgeladenen Inhalten nur durch derartige technische Lösungen zu bewältigen sein wird.

Startups, die fremden Content verbreiten, müssen, selbst wenn sie nur Snippets verwenden wollen, an zwei Dinge denken: Sie benötigen die Erlaubnis des Rechteinhabers (der nicht zwingend dieselbe Person ist, wie der Uploader). Diese Erlaubnis, auch Lizenz genannt, ist unter Umständen nur gegen Bezahlung zu erhalten. Außerdem müssen Gründer das Urheberrecht vorher kontrollieren und die Inhalte, für die keine Lizenzen vorliegen, herausfiltern und deren Upload unterbinden. Je nach Umfang des Inhalts wird das nur mit technischen Lösungen machbar sein. Diese wiederum sind – aufgrund ihrer technischen Komplexität und immensen Entwicklungskosten –  gegebenenfalls nur von einem der großen Player zu erhalten. So soll allein die Entwicklung von Youtubes Content-ID-System 60 bis 100 Millionen US-Dollar verschlungen haben. Für die meisten Startups zu teuer.

Startups, deren Fokus auf eigenen Inhalten und Produkten liegt, wie etwa Softwareentwicklung, SaaS, FinTech oder industrielle Technologien, sind vom Thema sicher weniger stark betroffen. Hier dürfte die Richtlinie – wenn überhaupt – lediglich Randbereiche betreffen, beispielsweise wenn die eigene PR-Abteilung auf positive Berichterstattung zum eigenen Unternehmen hinweisen oder eine bestimmte Studie referenzieren möchte.

Genauer hinschauen sollten dagegen Startups aus dem E-Commerce oder der Medienwirtschaft. Das sind momentan etwa 16 Prozent der deutschen Startups. Je nach dem, ob und inwiefern fremde Inhalte Kern des eigenen Geschäftsmodells sind, sind diese Unternehmen mehr oder weniger stark von der Reform betroffen. Eine Vertriebs- oder Kommunikationsplattform, die als klassischer Vermittler auftritt und es den Nutzern selbst überlässt, Inhalte, etwa Produktbilder, hochzuladen, dürfte beispielsweise stärker betroffen sein, als eine Vertriebsplattform, die Kontrolle über die Uploads behält.

Wie ist das Gesetz zu bewerten?

Es ist richtig und notwendig, veraltete Regelungen anzupassen. Das europäische Urheberrecht stammt aus einer Zeit, als Google, Facebook, Twitter, Instagram und Co. noch nicht relevant waren. Die bisherigen Regeln passen daher nicht mehr und müssen ins digitale Zeitalter überführt werden. Dass Kreativschaffende für ihre Leistungen angemessen entlohnt werden wollen und sollen ist ebenfalls nachvollziehbar. Ob die momentanen Vorschläge ihr Ziel aber tatsächlich erreichen oder im schlimmsten Fall sogar das Gegenteil bewirken, bleibt abzuwarten und kann aus guten Gründen skeptisch gesehen werden.  

Es stellt sich zunächst die Frage, ob ein Leistungsschutzrecht an sich überhaupt der richtige Ansatz ist. Auf nationaler Ebene hat sich das Ganze als ungeeignet und letztlich wirkungslos erwiesen. Alle großen Verlage haben Google am Ende kostenlose Lizenzen eingeräumt. Im Übrigen war es mit zunehmender Digitalisierung des Pressemarkts zunächst die freie Entscheidung der Verlage, ihre Inhalte umsonst online zu stellen. Insofern sollten auch jetzt eher Marktlösungen gefunden werden, wenn dieser Entwicklung entgegengewirkt werden soll. Immer mehr Medienunternehmen bieten mittlerweile unterschiedliche Bezahlmodelle an, die aus Marktsicht sinnvoller erscheinen.

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Uploadfilter werden heute bereits eingesetzt, beispielsweise von Youtube, da urheberrechtlich geschützte Inhalte ohne Erlaubnis ohnehin nicht (oder nur in sehr engen Grenzen) veröffentlicht werden dürfen. Diese Filter arbeiten bislang aber nicht zuverlässig, da sie beispielsweise unerlaubte Nutzung nicht zuverlässig von erlaubter Satire unterscheiden können und diese daher blockieren würden. Bis dieses technische Problem gelöst ist (wenn das überhaupt geht – auch hier gehen die Meinungen stark auseinander) und Gerichte offene Rechtsfragen geklärt haben, geht die Neuregelung im Zweifel zu Lasten der Meinungsfreiheit. Stichwort: Overblocking. Es gibt elegantere Vorschläge, um Journalisten und andere Kreativschaffende an den Einnahmen zu beteiligen – etwa in Form einer Kulturflatrate – oder um Urheberrechtsverstöße zu ahnden.

Im Übrigen bleibt letztlich zu befürchten, dass vergleichbare Effekte eintreten werden, wie bei der DSGVO: die Unsicherheit, der Verwaltungsaufwand und die Kosten steigen. Dadurch werden kleine Unternehmen belastet, in Abhängigkeit getrieben oder gar ausgebremst. Etablierte Player profitieren davon, weil nur sie den Aufwand stemmen und etwaige Rechtsrisiken eingehen können. Und europäische Nutzer werden bezüglich der Nutzung bestimmter Dienste beschränkt oder schlimmstenfalls gar ausgeschlossen.

Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels, der zuerst am 1. Oktober 2018 bei Gründerszene erschien.

Bild: © Bildagentur PantherMedia  /