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In der Praxis ist eine Viertagewoche nur möglich, wenn die Arbeitsproduktivität gemessen werden kann.

Wir haben zwei Wissenschaftler gefragt, was für und was gegen die Verringerung der Arbeitszeit spricht – aus Unternehmenssicht. Eine Gegenüberstellung.

Von Alexander Spermann

Sinnvoll, aber…

Woher kommt die Vorstellung, dass technologischer Fortschritt und Arbeitszeitverkürzungen Hand in Hand gehen? Nach Jahrhunderten ohne Wohlstandssteigerungen erlaubte das erste Maschinenzeitalter – die Einführung der Dampfmaschine von James Watt – einen Wohlstandssprung durch massive Produktivitätssteigerungen. Weitere technologische Entwicklungen wie die Fließbandfertigung, der Einsatz elektrischer Energie, die Automatisierung durch Industrieroboter ermöglichten den Menschen mehr Wohlstand und weniger Arbeitsstunden. Das zweite Maschinenzeitalter hat gerade begonnen – und ist mit der Verbreitung digitaler Technologien verbunden.

Die neuen Buzzwords sind das Internet der Dinge, künstliche Intelligenz, Blockchain, humanoide Roboter und 3-D-Druck. Aus ökonomischer Sicht sind die Dinge klar: Wenn die Digitalisierung gelingt, dann ist mehr Wohlstand mit weniger Arbeitsstunden möglich. Es spricht vieles dafür, dass der „war on talents“, der Kampf um die besten Köpfe, noch jahrelang weitergehen wird. Diesen wenigen Top-Talenten wird von Unternehmen weiterhin der rote Teppich ausgerollt werden müssen, damit sie hochbezahlt Spitzenleistungen erbringen. Doch ihre Produktivität ist so groß, dass sich die hohe Entlohnung aus Unternehmenssicht auch rechnet.

Sollten Unternehmen ihren Mitarbeitern generell die Viertagewoche bei vollem Gehalt anbieten? 

In der Praxis ist das nur möglich, wenn die Arbeitsproduktivität gemessen werden kann. Die Messung der individuellen Produktivität durch Key-Performance-Indikatoren gehört jedoch zum Schwierigsten, was die Betriebswirtschaft zu bieten hat. Jedes KPI bewirkt Verhaltensreaktionen, die dem ursprünglichen Ziel des Unternehmens zuwiderlaufen können. Am ehesten lassen sich noch Output-Ziele in bestimmten Zeitfenstern definieren, deren Erreichen mit Umsatz für das Unternehmen verbunden ist.

Im Idealfall steht dann eine selbst organisierte Viertagewoche für Mitarbeiter. Das dürfte jedoch der Ausnahmefall sein, weil Projekt-Deadlines sich nicht an die Vier- Tage-Woche halten. Realistischer erscheinen 16-Tage-Monate oder Tagesvorgaben für das Jahr. Solche Arbeitszeitvorgaben sind auch für Unternehmen besser planbar. An dieser Stelle besteht politischer Handlungsbedarf: Das derzeitige Arbeitszeitgesetz passt nicht mehr in die heutige Zeit. Manche Betriebsvereinbarung zu Arbeitszeiten und Arbeitsorten ist hier schon wesentlich fortschrittlicher. 

Für manch einen Mitarbeiter wird die Viertagewoche eine Illusion bleiben

Aber ist nicht die Viertagewoche für alle in einer digitalisierten Welt vorstellbar? Grundsätzlich ist es denkbar, dass die höhere Arbeitsproduktivität durch den Einsatz digitaler Technologien zu niedrigeren Jahresarbeitszeiten führt. Damit würde die Erfolgsstory der industriellen Revolutionen fortgeschrieben: Mehr Wohlstand bei weniger Arbeitsstunden. Aber das gilt nur im Durchschnitt – die Streuung um diesen Mittelwert dürfte dagegen deutlich zunehmen.

Denn die Löhne für geringer Qualifizierte in der Dienstleistungsgesellschaft liegen unter denen der Industriegesellschaft, sodass diese Menschen mehr Stunden arbeiten müssen, um ein entsprechendes Monats- oder Jahreseinkommen zu erzielen. Für diese Menschen wird die Viertagewoche eine Illusion bleiben.

Alexander Spermann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Erwerbstätige (FOM) in Köln und zweifacher Gründer. Er hat als Arbeitsmarktexperte in Führungspositionen bei internationalen Wirtschaftsforschungsinstituten und in einem Personaldienstleistungskonzern gearbeitet.



Von Hilmar Schneider

Nicht sinnvoll, weil…

Früher bestand die Arbeitswelt in standardisierter Massenproduktion, die zu definierten Zeiten an definierten Orten stattfand. Exemplarisch dafür steht der Schichtarbeiter am Fließband. Arbeit ließ sich in dieser Welt sowohl am Input als auch am Output messen. Die Arbeitswelt von heute besteht in der Erbringung vage definierter Dienstleistungen, die zum großen Teil orts- und zeitungebunden erfolgen kann.

Arbeit lässt sich im Wesentlichen nur noch am Output bemessen. Aus diesen Gegenpolen lassen sich unmittelbar die damit verbundenen Konsequenzen für die Arbeitsorganisation ableiten. Standardisierte Massenproduktion ist dann effizient, wenn sie mit klar definierten Arbeitsaufträgen, strengen Hierarchien, geregelten Arbeitszeiten und Bezahlung einhergeht. Wenn die Zielvorgaben dagegen vage sind, ergibt sich Effizienz durch Delegation von Verantwortung an die Ausführenden selbst, die dann nicht nur über Autonomie und Flexibilität bei der Gestaltung des Produkts, sondern auch bei der Entscheidung über Ort und Zeit der Gestaltung verfügen müssen.

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Arbeitszeitvereinbarungen haben in der modernen Arbeitswelt allenfalls noch symbolischen Charakter. Eine reine Präsenzkultur bewirkt das Gegenteil von Kreativität, auf die es mehr denn je ankommt. In jedem Fall erscheint die Verbindung von New Work im Sinne von Autonomie und Flexibilität von Arbeitnehmern mit der Forderung nach einer Viertagewoche seltsam widersprüchlich. Es ist der zum Scheitern verurteilte Versuch, Instrumente der alten mit den Anforderungen der neuen Arbeitswelt zusammenzubringen.

Wer sich darauf einlässt, wird vermutlich früher oder später feststellen, auf eine Mogelpackung hereingefallen zu sein. Wenn Arbeitszeit nicht mehr wirklich messbar ist und in erster Linie das Ergebnis zählt, läuft man Gefahr, bei 80 Prozent des möglichen Gehalts für 100 Prozent Arbeitsleistung zu enden. Wer sich als Arbeitnehmer darauf einlässt, ist selbst schuld. Anders sieht es aus, wenn es sich um Arbeit handelt, die physische Präsenz am Arbeitsplatz erfordert und mit der Präsenz erledigt ist.

Das hat dann aber nichts mit New Work zu tun und ist nichts anderes als klassische Teilzeitarbeit mit den damit verbundenen Problemen. Wenn ein Arbeitgeber die Wahl hat, ein klar bestimmtes Ergebnis von vier Vollzeitkräften oder von fünf 80-Prozent-Kräften erbringen zu lassen, ist die Option mit vier Vollzeitkräften immer die attraktivere. Denn die verursacht weniger Rekrutierungs- und Verwaltungsaufwand und bindet weniger Kapazitäten.

Für wen entscheidet sich der Arbeitgeber bei einer Aufgabe? Für vier Vollzeitkräfte oder fünf 80-Prozent-Kräfte?

Wenn mit Viertagewoche allerdings gemeint sein sollte, weniger Arbeit für das gleiche Geld zu machen, stellen sich andere Fragen. Als Begründung wird in diesem Zusammenhang gern vorgebracht, dass man das Ergebnis, für das man normalerweise fünf Tage braucht, durch geschickte Organisation auch in vier Tagen erzielen könne. Das wirft die Frage auf, warum man solche Effizienzsteigerungsmöglichkeiten nicht ebenso gut dazu nutzen sollte, an fünf Tagen das 1,25-Fache zu leisten. Dass in Unternehmen, die dem Wettbewerb unterliegen, massenhaft unentdeckte Produktivitätsreserven in dieser Größenordnung schlummern, ist jedenfalls eine gewagte These.

Sollten diese Reserven in Wahrheit gar nicht vorhanden sein, handelt es sich bei der Forderung nach der Viertagewoche bei gleichem Lohn um eine ganz banale, wenn auch saftige Lohnforderung. Bei der Frage, wie damit umzugehen sei, braucht es keinen wissenschaftlichen Rat. Den vorhandenen Verteilungsspielraum werden die Beteiligten in jedem einzelnen Unternehmen zweifellos am besten zu beurteilen wissen. In diesem Fall sollte man es aber auch Lohnforderung nennen, statt sich hinter einem Etikettenschwindel zu verstecken.

Professor Dr. Hilmar Schneider leitet seit März 2016 mit dem Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) ein globales Forschungsnetzwerk auf dem Feld der Arbeitsökonomie. Der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler berät unter anderem die Bundesregierung und ist Autor zahlreicher Fachpublikationen.

Bild: Westend61 / Getty Images

Hier könnt ihr einen Blick in den Gründerszene New Work Report werfen:

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