Simon Tschürtz schmiss seinen Job bei Audi, um mit einem Schuldfreund sein eigenes Unternehmen zu starten.

Auch wenn die Wahrheit oft zwischen den Zeilen liegt, sind es einzelne Wörter, die fast alles über uns verraten. Davon gehen zumindest die Macher der Software „100 Worte“ von Simon Tschürtz aus. Sie soll anhand von Texten den Denkstil, die Stimmung und Bedürfnisse der Verfasser erkennen können.

Ein praktisches Anwendungsbeispiel sind Bewerbungsschreiben: Hier prüft das Startup, ob die Soft Skills einer Person zum Unternehmen passen. Der 29-jährige Tschürtz gründete das Startup mit seinem Schulfreund Daniel Spitzer. Seit Oktober 2017 arbeiten sie in Vollzeit an dem Projekt und zählen etwa Personaldienstleister zu ihren Kunden.

Simon, die Deutsche Bahn wirbt gerade dafür, das Anschreiben bei Bewerbungen abzuschaffen. Wie findest du das?

Die Deutsche Bahn will mit dieser Methode in erster Linie dafür sorgen, dass sich überhaupt jemand bewirbt. Das finde ich schade, denn dann wird nur darauf geachtet, ob es fachlich passt. Ob der Bewerber aber zur Firmenkultur passt, wird dabei nicht berücksichtigt. Das kann dazu führen, dass sowohl Mitarbeiter als auch das Unternehmen unglücklich sind. Und das kann wiederum extreme Kosten verursachen, wenn die Personalsuche neu gestartet werden muss.

Nutzt du das Tool in deinem eigenen Unternehmen, um neue Mitarbeiter einzustellen?

Ja, aber nicht nur dafür. Wir analysieren damit auch unseren internen Chat, um herauszufinden, wie wir miteinander kommunizieren und wie wir unseren Umgang vielleicht verbessern können.

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Dein Startup nennt sich „100 Worte“. Benötigt ihr genau diese Anzahl an Wörtern, um die Sprache eines Menschen zu analysieren?

100 ist die minimale Anzahl an Wörtern für eine Analyse. Richtig valide Ergebnisse bekommen wir aber erst ab 300 bis 500 Wörtern.

Ich könnte aus deiner kurzen Antwort also nicht herauslesen, was für ein Typ Mensch du bist?

Erste Tendenzen lassen sich daraus herauslesen. Aber es würde kein komplettes Bild von mir widerspiegeln.

Du willst mit deiner Sprachanalyse objektive Ergebnisse erreichen. Was bedeutet das?

Wir als Leser eines Textes haben Erfahrungen mit Menschen gemacht, die wir bei der Interpretation einfließen lassen. Unser Algorithmus ist dagegen stabil. Zum Beispiel kann man aus einem Text herauslesen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Dies beeinflusst die persönliche Einschätzung.

Aus den Texten schließt ihr auf verschiedene Dinge, wie etwa die Stimmung und Bedürfnisse, aber auch den Denkstil einer Person. Was ist damit gemeint?

Damit ist gemeint, ob man eher ein analytischer oder spontaner Denker ist, also erst weitere Daten braucht oder aus dem Bauch heraus entscheidet. Bei den Bedürfnissen schauen wir nach Beziehungen, Leistung, Macht und Führung. Bei Stimmung zum Beispiel auf Ärger, Enttäuschung, Aggression. Darüber hinaus berücksichtigen wir noch Eigenschaften wie Dominanz oder Authentizität.

Ihr setzt für diese Analyse nicht nur auf Inhaltswörter, sondern auch auf Funktionswörter.

Genau, uns ist nicht nur das Was, sondern auch das Wie, also die Struktur der Sprache wichtig. Dafür sind Funktionswörter verantwortlich. Das sind zum Beispiel Artikel und Pronomen. Sie machen nur 0,5 Prozent unseres Wortschatzes, aber 50 Prozent eines Satzes aus. Dadurch sind sie schwer manipulierbar. Wenn jemand beispielsweise häufig in der Wir-Form spricht, dann wirkt er sehr dominant. Jemand, der häufig „ich“ verwendet, wirkt selbstfokussiert.

Was kam denn bei der Analyse deiner Sprache heraus?

Das kommt darauf an, weil etwa Emotionen auch tagesformabhängig sind. Bei meiner Sprachanalyse kam heraus, dass ich sehr auf Leistung und gute Beziehungen aus bin. Weniger wichtig sind mir Führung und Status. Mein Denkstil ist weder spontan noch analytisch. So würde ich mich auch selbst einschätzen.

Wie genau ist deine Software dann etwa bei der Werbewirkungsanalyse oder einem Bewerbungsverfahren, wenn bestimmte Dinge tagesformabhängig sind?

Unsere Software ist nur eine Entscheidungshilfe. Sie hilft etwa einem Personaler, bevor er zum Hörer greift und den Bewerber anruft, zu entscheiden, ob der Kandidat aufgrund seiner Soft Skills für die Stelle geeignet ist. Wir analysieren dafür auch transkribierte Videos. Bei der Werbewirkungsanalyse achten wir nicht nur auf die tagesformabhängigen Emotionen, sondern vielmehr darauf, was die Zielgruppe ausmacht. Zum Beispiel, ob sie eher an einer persönlichen Ansprache interessiert ist oder eine technische Sprache bevorzugt.

Unterscheiden sich die gesprochene und geschriebene Sprache nicht massiv?

Das ist korrekt. Jemand, der in die Kamera spricht, wirkt beispielsweise immer spontaner. Wir rechnen das mit ein, um es vergleichbar zu machen.

Arbeitet ihr dafür eigentlich mit einem einfachen Algorithmus oder einer Künstlichen Intelligenz?

Wir haben mit regelbasierten Studien begonnen und ergänzen diese jetzt um maschinelle Verfahren, um die Genauigkeit zu erhöhen. Mit unserem Algorithmus können wir deswegen schon mit sehr kleinen Datenmengen arbeiten.

Du arbeitest seit Oktober 2017 in Vollzeit an 100 Worte. Dann seid ihr wahrscheinlich noch nicht profitabel?

Wir sind noch nicht profitabel und derzeit über Business Angels finanziert. Gerade machen wir eine weitere Finanzierungsrunde und wollen dann möglichst schnell profitabel werden.

Bild: 100 Worte