Informatik ist nicht „dramatisch mathematisch“, findet Audeering-Gründerin Dagmar Schuller.
Informatik ist nicht „dramatisch mathematisch“, findet Audeering-Gründerin Dagmar Schuller.

Nur 15 Prozent aller Startups in Deutschland haben eine Gründerin. Und nur acht Prozent dieser Firmen sind in der Technologiebranche angesiedelt. Dagmar Schuller ist also eine Rarität – sie ist Gründerin eines Tech-Startups. Die 43-Jährige entwickelt mit ihrem Unternehmen Audeering KI-basierte Technologien zur Audioanalyse. „Wir analysieren Emotionszustände. Also nicht, was jemand sagt, sondern wie er es sagt“, erklärt Schuller im Gespräch mit Gründerszene.

Eingesetzt wird die Technologie etwa von BMW und Ipsos zu Marktforschungszwecken. Sie testen damit, wie neue Produkte bei Kundinnen und Kunden ankommen. Außerdem ist die Technik in einem Kopfhörer des dänischen Unternehmens GN eingebaut. Er passt die Audio-Lautstärke an Umgebungsgeräusche an: Im Straßenverkehr wird die Musik hochgepegelt, im stillen Büro nach unten.

Gleichzeitig arbeitet das Startup an einer App, die über Sprache Burnout und Depressionen erkennt, und an einem Roboter, der autistischen Kindern hilft, Emotionen zu erkennen. Insgesamt fünf solcher Forschungsprojekte laufen bei Audeering momentan, das Startup finanziert sie mit Mitteln aus dem EU-Topf „Horizon 2020“ sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Profitabel seit dem ersten Kunden 

Schuller gründete Audeering 2012 gemeinsam mit vier Kollegen vom Lehrstuhl für Mensch-Maschine-Kommunikation an der TU München. Den ersten Kunden, das Marktforschungsinstitut GfK, hätten sie wenige Wochen nach dem Start gewonnen, erzählt Schuller. Seitdem wirtschafte das Startup profitabel. Laut einer Sprecherin von Audeering liegen die Umsätze im Millionenbereich. Wagniskapitalgeber sind nicht an Bord. Einzig das Unternehmen GN, für das Audeering vergangenes Jahr den smarten Kopfhörer entwickelte, hat für eine Millionensumme – konkreter wird Schuller nicht – Anteile am Startup erworben. 

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Audeering sitzt im bayerischen Gilching. Ein 19.000-Einwohner-Kaff, könnte man meinen, nichts für ambitionierte Gründer. Doch tatsächlich haben sich hier zahlreiche bekannte Startups angesiedelt: Der Flugtaxi-Bauer Lilium, der Laser-Spezialist Mynaric und das Grußkarten-Startup Kartenmacherei etwa residieren in der Gemeinde am Starnberger See. Die Firmen profitieren laut Schuller von der Nähe zu Forschungseinrichtungen wie dem Zentrum für Luft und Raumfahrt sowie der TU München. Seit kurzem hat Audeering ein zweites Büro mit fünf Mitarbeitern in Berlin, bald sollen es laut Schuller „deutlich mehr“ werden. Insgesamt beschäftigt das Startup 65 Personen.

KI-Produkte entwickeln ist wie mit Lego spielen 

Schon als Kind sei sie an Computern interessiert gewesen, sagt Schuller. Ihr Abitur machte sie an einer auf technische Fächer spezialisierten Schule. Dort habe sie „am Großrechner“ programmieren gelernt. „Das hat mich fasziniert. Ich wusste aber: Es gibt Leute, die verdammt viel besser programmieren als ich.“ Nach der Schule studierte sie daher nicht Informatik, sondern Wirtschaftswissenschaften und Jura. Doch wann immer es ging, belegte sie Kurse zu Data Mining und KI. „Mein Vorteil als Gründerin ist jetzt: Ich weiß, wie Programmieren funktioniert und kann abschätzen kann, was realistisch ist. Das Coden selbst überlasse ich aber den Experten.“

Dass die Tech-Branche eine Männerdomäne ist, liegt laut Schuller an falschen Vorstellungen. „Viele Frauen und Mädchen glauben, dass Informatik total schwierig und langweilig ist“, sagt sie. „Vor allem die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz ist ein höchst kreativer, ich würde sagen: fast künstlerischer Prozess.“

Die Bausteine, die es zum Entwickeln eines KI-Produkts brauche, seien heutzutage längst vorhanden, sagt Schuller. Man könne es sich daher vorstellen wie etwas aus Legosteinen zu bauen: „Man hat die Bausteine, baut aber nicht das Objekt, das vorne auf der Packung ist, sondern sein ganz eigenes Raumschiff.“ Schon Grundschülerinnen und Grundschüler könne man mit dieser Denkweise spielerisch ans Programmieren heranführen. „Wenn das Thema so früh verankert würde, hätten wir viel mehr Frauen, die in dem Bereich gründen“, ist sich Schuller sicher.

Was Startups in Sachen KI besonders beachten müssen, welche Rolle Sprachtechnologien spielen und wie man die Qualität der Daten sicherstellen kann – mehr dazu gibt’s in unserem KI-Report:

Bild: Lukas Aigelsreither