Jennifer Li auf dem Welt Summit Artificial Intelligence 2018 in Berlin. Früher war sie Finanzchefin des chinesischen Suchmaschinenkonzerns Baidu, heute leitet sie dessen KI-Investmentvehikel Changcheng.

China erlebt gerade einen Boom der Künstlichen Intelligenz (KI). 2030 will das Land an den USA vorbeiziehen und die führende KI-Macht der Welt sein. Bis dahin werde die Wirtschaft des Landes allein durch diese Technologie um mehr als ein Viertel wachsen, sagt die Beratungsgesellschaft PwC voraus. Für die USA und Deutschland prognostiziert sie lediglich Zuwächse von 15 beziehungsweise elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Warum prescht China so voran?

„Wir brauchen einen neuen Motor, um auf die nächste Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung zu gelangen“, sagt Xudong Cao, Gründer und CEO von Momenta aus Peking gegenüber Gründerszene. „In den vergangenen 40 Jahre wurde die Maschine der chinesischen Wirtschaft von billiger Arbeitskraft angetrieben. Aber diese Maschine läuft nicht mehr.“ Sein Startup baut „Gehirne für autonome Autos“, also Software, mit der selbstfahrende Fahrzeuge ihre Umgebung selbstständig wahrnehmen, erfassen und kartografieren können. Getreu dem von der Regierung ausgegebenen Slogan „High-Quality Growth“ komme es in China nun darauf an, die Effizienz zu steigern, sagt Cao. Mit der richtigen Technologie von Unternehmen wie seinem.

Als Schwellenland hat China nach wie vor einen großen Anteil an klassischer Industrie und Landwirtschaft, zusammen machen sie immer noch rund die Hälfte des BIP aus. Jennifer Li sieht diesen Rückstand als Chance: „Der Markt ist hungrig nach technologisch getriebenen Veränderungen“, sagt die langjährige Finanzchefin des chinesischen Suchmaschinenkonzerns Baidu, die heute dessen KI-Investmentvehikel Changcheng leitet, gegenüber Gründerszene. Während Unternehmen im weiter entwickelten Westen eher an kleinteiligen Produkten arbeiteten, seien in China gleich Komplettlösungen gefragt, um den technologischen Rückstand in kurzer Zeit aufzuholen.

„Die natürliche Schönheit der Machtkonzentration“

Die Ein-Kind-Politik der Kommunistischen Partei habe dafür gesorgt, dass die chinesische Gesellschaft den westlichen immer ähnlicher werde, sagt Li: Die Bevölkerung altert, die Arbeitskräfte werden weniger und die Arbeitskosten steigen. Auch sie sieht KI als Treiber der Effizienzsteigerung, warnt aber davor, den Begriff falsch zu benutzen: „Vieles von dem, was Künstliche Intelligenz genannt wird, ist in Wahrheit nur Erweiterte Intelligenz: Es hilft Menschen, schneller Entscheidungen zu treffen und Aufgaben zu erfüllen, damit sie sich auf wichtigere Dinge konzentrieren können“, führt Li aus. „Die Technologie, die es heute schon gibt, hilft Ärzten vielleicht bei der Diagnose, aber sie ersetzt sie nicht.“

Xudong Cao, Gründer und CEO von Momenta, auf dem Welt Summit Artificial Intelligence 2018 in Berlin

Als weiteren wichtigen Faktoren für Chinas KI-Boom sehen sowohl die Konzernfrau Li als auch der Startup-Gründer Cao die Tech-Riesen ihres Landes – Tencent, Alibaba oder eben Baidu. Li nennt es „die natürliche Schönheit der Machtkonzentration“: Je mehr unterschiedliche digitale Dienste ein Unternehmen anbiete und je mehr Rechenpower es zur Verfügung habe, desto mehr Daten könne es von seinen Nutzern einsammeln und desto effizienter könne es sie verarbeiten. Zum Beispiel um eine KI damit zu füttern.

Cao bringt das in Zusammenhang mit Chinas Status als bevölkerungsreichstes Land der Welt: „In der Vergangenheit bedeutete das vor allem niedrige Arbeitskosten“, sagt der Momenta-Gründer. „Aber in Zukunft bringt es zwei andere Vorteile: einerseits einen sehr großen Talent-Pool an Codern, Ingenieuren und Forschern, und andererseits eine große Menge von intelligenten Daten aus der Interaktion zwischen Mensch und Maschine.“ Und genau die brauche es zur Entwicklung immer besserer KIs.

Den richtigen Weg für KI-Startup wie seines sieht Xudong Cao in der Kooperation mit Großunternehmen. „Manche Startups in China sind kleine Kopien von Konzernen, sie machen alles selbst“, sagt er. „Wir finden es wichtiger, uns auf unsere eigenen Stärken zu konzentrieren. So entsteht immer noch genug Nutzen für die Kunden und genug Cashflow für uns.“

Und was ist mit ausländischen KI-Startups, die sich in China etablieren wollen? Es komme darauf an, wonach man suche, sagt Jennifer Li. „Es gibt sehr viele talentierte Ingenieure, neue Technologien werden sehr schnell angenommen und es gibt einen riesigen Markt, in dem man experimentieren kann“, so die Baidu-Managerin „Gleichzeitig ist es eine sehr hektische Umgebung, sehr kompetitiv, man muss schnell sein.“ Ihrer Beobachtung nach gebe es in Europa und den USA jedoch viele Firmen mit solider Technologie, die es schaffen könnten.

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