Bleibt am Ende nur ein schicker Name vom Cloud-Projekt, das Wirtschaftsminister Altmaier vorschwebt? Im schlimmsten Fall nicht einmal das.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wünscht sich ein eigenes europäisches Betriebssystem samt Verwaltung für Datenspeicherung auf Cloud-Servern. Die Lösung soll der europäischen Wirtschaft mehr Souveränität über die eigenen Daten verschaffen, zudem soll ein Gegengewicht zu großen US-Anbietern wie Amazons AWS oder Microsofts Azure geschaffen werden. „GAIA-X“ soll das Projekt heißen, und nicht nur der Name, der für General Artificial Intelligence Application steht, erscheint noch ein wenig unausgereift.

Öffentlich gemacht hatte das Projekt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die aus einem internen Papier des Bundeswirtschaftsministeriums zitierte. Auf WELT-Anfrage bestätigte eine Ministeriumssprecherin die Pläne des Ministers: „Wir arbeiten im Bundeswirtschaftsministerium am Thema einer europäischen Dateninfrastruktur, die unter anderem auch als Grundlage für einen Datenpool für künstliche Intelligenz dienen kann.“

Bislang verlassen sich viele deutsche Unternehmen auf Lösungen der beiden globalen Marktführer Amazon AWS und Microsoft Azure. Das jedoch ist aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums ein Problem, denn die beiden Infrastrukturprovider stammen aus den USA: „Datensouveränität und breite Datenverfügbarkeit sind wesentliche Faktoren für den Erfolg deutscher und europäischer Unternehmen in einer datengetriebenen Wirtschaft und für erfolgreiche Entwicklungen im Bereich der KI“, erklärt das Ministerium und druckst dabei ein wenig um die Frage herum, warum am Markt verfügbare Cloud-Speicher-Lösungen dafür nicht ausreichen. „Die europäische Wirtschaft benötigt daher dringend verlässliche Datensouveränität und breite Datenverfügbarkeit.“

GAIA-X soll gar nicht erst versuchen, mit Marktführern zu konkurrieren

Ein Insider eines deutschen Amazon-AWS-Konkurrenten bringt auf den Punkt, was den Minister umtreibt: „Die haben die Sorge, dass Daten der deutschen Mittelständler im Streitfalle über den Cloud Act direkt in den USA landen. Schließlich handelt es sich bei den Serverbetreibern um US-Firmen.“ Der Cloud Act verpflichtet US-Firmen, den US-Behörden auch dann Zugriff auf Daten ihrer Kunden zu geben, wenn diese nicht auf Servern in den USA, sondern in Europa gespeichert werden.

Deswegen wünscht sich Altmaier eine eigene Lösung. Da jedoch die US-Marktführer einen meilenweiten technischen Vorsprung beim effizienten vernetzten Betrieb großer Rechenzentren haben, soll das Projekt „GAIA-X“ gar nicht erst versuchen, dagegen zu konkurrieren.

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Stattdessen soll das Projekt vorhandene europäische Serverkapazitäten etwa bei der Deutschen Telekom unter einer einheitlichen Software steuern und die Angebote kleinerer europäischer Cloud-Anbieter virtuell zu einer großen europäischen Server-Wolke zusammenfassen. Gespräche mit den Firmen führt das Ministerium gerade, in den nächsten Tagen wolle man mehr verraten.

Auf WELT-Anfrage bestätigte die Deutsche Telekom die Teilhabe an dem Projekt. Doch scheinen die Bonner das Ziel des Projektes etwas anders zu verstehen als das Wirtschaftsministerium: „Wir sollten Europas Anbieterlandschaft so stärken, dass es zusätzliche Alternativangebote auf Basis unserer europäischen Sicherheits- und Wertestandards gibt.“

Deutsche Telekom erhofft sich staatliche Aufträge

„Dies entspricht auch dem europäischen Wettbewerbsgedanken“, kommentierte ein Telekom-Sprecher. „Ein starke Nachfrage durch die öffentliche Hand kann dabei der europäischen Cloud zu der notwendigen Größe und Skalierbarkeit verhelfen.“

In anderen Worten: Die Deutsche Telekom erhofft sich aus dem Projekt vor allem zusätzliche Aufträge und Mittel aus öffentlichen Töpfen. Doch die eigene durchaus starke Marke im Cloud-Geschäft wollen die Telekom-Marketingexperten keineswegs zugunsten eines halb-staatlichen „GAIA-X“ verwässern. Stattdessen stellen sie sich das Projekt eher als eine Art Betriebssystem für die Cloud vor, über das europäische Firmen Kapazitäten bei EU-Anbietern buchen und steuern können.

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Der Haken daran: Solche Software gibt es längst auf dem Markt, teilweise sogar als Open-Source-Lösung. Damit ebenfalls problemlos möglich ist der Austausch von Daten, wie er Altmaier zur Erforschung von Künstlicher Intelligenz vorschwebt. Ein Beispiel etwa ist das vom deutschen Gründer Florian Leibert 2013 gestartete „Mesosphere Datacenter OS“ des Start-ups D2iQ. Warum europäische Firmen nun umschwenken sollten, wenn die deutsche Regierung ein Projekt startet, wird bislang nicht deutlich.

Denn, Haken Nummer zwei, die US-Anbieter sind aus gutem Grund so dominant. Wer nicht große Hardware-Investitionen stemmen kann, der kommt an den Rechenzentren von Amazon und Microsoft kaum vorbei: Zu groß sind die Datenmengen, zu klein die vorhandenen europäischen Serverkapazitäten. Und so muss ein Insider eines großen Konkurrenten zugeben: „Wahrscheinlich dürfen früher oder später auch Amazon und Microsoft wieder bei ‚GAIA-X‘ mitmachen, wenn sie sich an die europäischen Datenschutzregeln halten.“

Welchen Zusatznutzen soll GAIA-X überhaupt schaffen?

Die Daten der Kundenfirmen würden dort ja ohnehin verschlüsselt abgelegt. Das jedoch, betonen Amazons Experten bei jedem Gespräch über das deutsche AWS-Serverzentrum in Frankfurt, erfolgt ohnehin. Wer verschlüsselt speichert, der muss auch den Zugriff von US-Behörden nicht fürchten.

Damit bleibt die Frage, welchen Zusatznutzen „GAIA-X“ überhaupt schaffen soll. Könnte am Ende nur ein schicker Name für ein Subventionsprojekt für europäische Serverprovider bleiben? Vermutlich nicht einmal das, wie ein Blick in das Register des deutschen Patent- und Markenamtes zeigt: Die Wortmarke „GAIAX“, ohne Bindestrich, hat sich 2014 Volvos Baumaschinen-Tochterfirma „Volvo Construction Equipment AB“ europaweit gesichert.

Die Schweden fassen darunter ein Zukunftsprojekt, bei dem ein autonomer Bagger direkt aus dem Planungsbüro Daten für Erdaushebungen bekommt. Auf WELT-Anfrage kommentierte eine Ministeriumssprecherin: „Es geht uns hier nicht um eine Nutzung als Wort-Bild-Marke, sondern lediglich um einen Projektnamen. Ob es für das finalisierte Projekt dann eine Wort-Bild-Marke geben soll und welche das sein soll, ist aktuell nicht entschieden.“

Vielleicht, so spekuliert WELT , kann sich Altmaier mit den Schweden ja über die Markenrechte einigen, „GAIA-X“ könnte dann zur „europäischen Datenschaufel“ oder so ähnlich umdeklariert werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / Sean Gallup