Doch kein D-Zug: Auch die Blockchain braucht noch ein bisschen Zeit.

2017, das war Hype. Die Blockchain werde unser Leben komplett umkrempeln, so der Tenor, und das schon bald. Ein Jahr später fragt man sich: Disrupiert hier noch mal jemand irgendwas? Im vergangenen Jahr wurden dApps, also dezentralisierte Apps mit Blockchain-Ansatz, noch erwartungsvoll gefeiert. An der Börse explodierten die Aktienkurse, wenn Firmen auch nur das Wort „Blockchain“ in ihren Namen einbauten. DApps sollten unhackbar, unausspionierbar, unzensierbar sein. Als erstes sollte das Bankensystem ersetzt werden, dann alle anderen Industrien. „To the Moon!“, wie man der Szene träumte.

Seitdem: Flaute. Nada. Null-Wachstum. Gefühlte StudiVZ-Atmo.

Im großen Maßstab zeigt sich: Die Verbreitung von dApps ist bisher bescheiden. Laut Dapp-Radar können gerade einmal zwei dApps auf Ethereum-Basis über 1.000 aktive Nutzer am Tag verzeichnen. Wohlgemerkt: weltweit. Whatsapp schafft diese Zahl in Sekundenbruchteilen.

Beim Konkurrenten EOS sieht es noch schlechter aus. Dort kommt keine einzige dApp über 1.000 täglich aktive Nutzer hinaus. Diagramme, die die Nutzung im zeitlichen Verlauf visualisieren, ähneln eher zittrigen EKGs als steilen Wachstumskurven. Drei Viertel aller bei Dapp-Radar gelisteten Blockchain-Anwendungen hatten in den vergangenen 24 Stunden nicht einen einzigen Nutzer. In Zahlen: 0. So schlecht ist nicht mal Myspace.

Haben dApps also schon gegen Google, Facebook und Amazon verloren?

Tatsächlich ist der Vergleich unfair – und geschichtsvergessen. Denn auch Netzwerke wie Whatsapp, Twitter, Facebook oder Instagram haben klein angefangen. Sehr klein. Visualisiert man die Anzahl aktiver Nutzer in den ersten Jahren nach ihrer Gründung, sieht man bei den vier Riesen, wie lange sie Zwerge waren. Und man darf nicht vergessen: Es handelt sich um vier der am schnellsten gewachsenen Netzwerke in der Menschheitsgeschichte.

Jahrelang wuchsen sie langsam vor sich hin, bevor sie eine kritische Masse erreichten und überhaupt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Erst drei bis vier Jahre nach der Gründung begannen in Deutschland große Medien wie die Zeit oder das Manager Magazin über Facebook zu berichten. Heute hingegen sind die Erwartungen höher – und unrealistischer. Drei bis vier Jahre auf gute Blockchain-Apps warten? Puhhh.

Doch gute Software braucht Zeit. Und so fallen bisher fast alle aktiven dApps bei Dapp-Radar in drei Kategorien: Tauschbörsen, Games und Glückspiel. Entweder geht es also um Bitcoin-Handel oder um Anwendungen, für die man eigentlich gar keine Blockchain braucht. Apps, die wirklich Mehrwert schaffen oder auch Nutzer außerhalb der Kryptoszene ansprechen, sind noch in der Entwicklung. Wäre die Blockchain-Software ein Betriebssystem, gliche sie weniger Windows 10 als vielmehr DOS, wo man der Software noch beim Rechnen zusehen konnte. Die Nutzer-Interfaces sind kompliziert, das Produkt schwer verständlich. Hinzu kommt, dass der größte Teil der Entwickler sich mit Skalierungsproblemen und Industrieadaptionen beschäftigt und weniger an Anwendungen für Endverbraucher tüftelt. Auch das erklärt den geringen Zulauf bei den Nutzerzahlen.

Das sind die bekanntesten Blockchain-Apps

Ein weiteres Problem, das dApps haben werden: Auf digitalen Märkten setzen sich nicht zwingend die besten Produkte durch. Der Wert von Facebook, Twitter und Whatsapp besteht nicht im Quellcode ihrer Anwendungen. Andere Unternehmen haben bereits bessere Software auf den Markt gebracht und sind damit gescheitert. Im digitalen Raum siegen jene Player langfristig, die früh Markte erobern – selbst wenn andere technisch besser sind. Entweder, weil sie überlegene Konkurrenten mit ihrer Marktmacht erdrücken, oder Innovationen aufkaufen, bevor sie gefährlich wird.

dApps werden also nicht Whatsapp, Facebook und Gmail ablösen, wenn sie diese Dienste mit der Blockchain nur ein bisschen verbessern. Ein bisschen mehr Revolution muss es schon sein.

Also, liebe Blockchain-Gründer, nehmt euch noch ein paar Jahre Zeit. Aber dann muss das Ding knallen.

Bild: Getty / VW Pics