Envion wollte Kryptocoins in Containern auch neben Solarparks schürfen – doch daraus wurde nichts.

Die Posse um das Skandal-Startup Envion AG geht weiter: Das Schweizer Kantonsgericht Zug hat die Liquidation des Krypto-Unternehmens angeordnet, wie das Handelsblatt zuerst berichtete. Das Ende des einst gefeierten Startups ist damit so gut wie besiegelt. Wie konnte es soweit kommen?

Anfang 2018 hatte Envion mit einem ICO in beachtlicher Größe auf sich aufmerksam gemacht. Von Einnahmen in Höhe von 100 Millionen Dollar war die Rede. Ziel war es, mit dem eingesammelten Geld portable Container herzustellen, um darin mit überschüssiger Energie beispielsweise aus Solaranlagen Kryptocoins zu minen. Das sollte das Krypto-Schürfen ökologisch unbedenklich machen. 30.000 ICO-Anleger investierten in die Idee. Die Produktion lief aber nie richtig an und so blieben auch die angekündigten Umsätze aus. 

Der Grund: Zwischen dem ehemaligen Envion-Verwaltungsrat und CEO Matthias Woestmann und den Gründern um Michael Luckow entbrannte schon kurz nach dem ICO ein handfester Streit. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, den Niedergang der Firma ausgelöst zu haben. Dabei geht es auch um Verwaltungsstrukturen bei Envion. So wird als Begründung für den jetzigen Entscheid des Gerichts, der Gründerszene vorliegt, ein sogenannter Organisationsmangel angegeben. Dem Unternehmen fehlt demnach seit Monaten eine Revisionsstelle. Damit ist ein gesetzlich vorgeschriebener Wirtschaftsprüfer gemeint, der in Schweizer AGs eine Kontrollfunktion einnimmt. 

In dem Entscheid heißt es, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft habe die Revisionsstelle bei Envion auch deshalb nicht antreten wollen, weil dem Startup zufolge „Unterlagen aus dem Initial Coin Offering (ICO) fehlen würden“. Die Berliner Trado GmbH „verweigere“ die Herausgabe dieser Dokumente. Envion habe daher im vergangenen Frühjahr Strafanzeige gegen Luckow eingereicht. Er ist der Geschäftsführer der Trado GmbH, die maßgeblich für die technischen Aktivitäten der Envion AG zuständig war. 

Falschinformationen an das Gericht?

Die Gegenseite um Luckow schreibt in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung, dass sie die betreffenden Unterlagen in Form von „aggregierten Daten zu dem ICO“ sehr wohl schon im Januar und Februar 2018 an Woestmann übermittelt habe. Ob dieser sie an die Wirtschaftsprüfer weitergeleitet habe, sei nicht bekannt. Überhaupt basiere der Entscheid des Kantonsgerichts auf „falsch vorgetragenen Informationen“. Der böse Vorwurf: Er verbreite sie, um dem Unternehmen zu schaden. Es sei sein „lang gehegter Masterplan“ gewesen, es aufzulösen. Luckow und seine Kollegen wollen die Liquidation eigenen Angaben zufolge „mit allen Mitteln abwehren.“ Sie glauben nach wie vor, dass ihr Mining-Konzept funktionieren kann.

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Der „falsche Vortrag“ würde nun bei der Schweizer Finanzaufsichtsbehörde Finma und dem Kantonsgericht Zug richtiggestellt. Ob beim Gericht innerhalb der Einspruchsfrist eine entsprechende Meldung eingegangen ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht festzustellen. Das Gericht will weder telefonisch noch schriftlich Auskunft erteilen. Luckow teilte auf Nachfrage mit, gegenüber dem Kantonsgericht fehle ihm die Legitimation, um Einspruch einzulegen. 

Umstrittene Kapitalerhöhungen und zu viele Token

Auf den ICO waren im Laufe dieses Jahres eine umstrittene Kapitalerhöhung, Klagen von Anlegern und die Anschuldigung Woestmanns gefolgt, Luckow und sein Team hätten deutlich mehr Token ausgegeben als vereinbart – insgesamt 127 Millionen. Dass die Schaffung weiterer Token nicht abgesprochen war, dementiert Luckow gegenüber Gründerszene. Für die 30.000 Investoren würde eine Erhöhung der Token-Zahl aber bedeuten, dass sich der Wert ihrer Coins verringert. 

Bislang ist unklar, ob und wie viel sie von ihrem Geld wiedersehen. Das Handelsblatt zitiert in seinem Bericht den Schweizer Gesellschaftsrechtler Urs Schenker. Demnach könne sich die Liquidation ein bis zwei Jahre hinziehen.

Woestmann zeigt sich im Gespräch mit Gründerszene zuversichtlich, dass die Anleger etwas wiederbekommen. Er betont, dass er sich als Aktionär äußert. Eine Pressemitteilung, die er herausgegeben hat, trägt den optimistischen Titel: „Envion-Anleger erhalten Geld zurück“. Er glaubt, dass das zuständige Konkursamt in Zug wohl noch vor Weihnachten seine Arbeit aufnehmen werde. Auch der Berliner Rechtsanwalt István Cocron, der Envion-Anleger vor Gericht vertritt, äußerte sich vor Kurzem im Tagblatt, dass die Chancen auf Auszahlung gutstünden.

Ein Großteil der Anlegergelder liege auf Bankkonten der Envion AG, sagt Woestmann. Dies geht auch aus einem älteren Bericht des Tagesanzeigers hervor. Darin wird ein Gegenwert von insgesamt 50 Millionen Dollar angegeben. Mehrere Millionen befinden sich demnach noch in den Händen der Gründer.

Im Februar hatte Envion einen Großteil der Kryptozahlungen in Dollar getauscht. Insgesamt waren bei dem ICO 86 Millionen Token ausgegeben worden – bei einem Durchschnittskurs von 80 Cent pro Token ergibt das ein Volumen in Höhe von 68 Millionen Dollar. Zumindest ein Teil dieses Geldes sei etwa für Rechtsanwälte aufgewendet worden, sagt Woestmann – und damit für die Investoren verloren. 

„Wahrscheinlich, dass wir zu hoher Auszahlungsquote kommen“

Woestmann ergänzt: „Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir zu einer hohen Auszahlungsquote kommen. Die große Frage ist nur: Was passiert mit den Käufern im Sekundärmarkt?“ Woestmann zufolge habe ein Teil der Anleger die Token weiterverkauft. „Diejenigen, die die Token bis jetzt in ihrem Wallet gehalten haben, werden wir ausbezahlen können, aber Sekundärerwerber sind das Problem.“ Es sei schwer, eine Unterscheidung vorzunehmen. Damit sind Personen gemeint, die Token nach dem ICO von Anlegern erwarben. Die Schweizer Finanzmarktaufsicht will sich aufgrund eines seit dem Sommer laufenden Verfahrens gegen Envion nicht zur Sache äußern.

Envion machte große Versprechen, aus denen nichts wurde. Dass das Unternehmen den Geschäftsbetrieb niemals aufgenommen hat, hält zumindest Woestmann für eine gute Sache: „So haben wir die Risiken für die Anleger massiv gesenkt.“ Ohne Revisionsstelle im Unternehmen wäre es aus seiner Sicht „fahrlässig“ gewesen, in das Mining einzusteigen. Er meint, dass Container und Server jetzt auf Kosten der Investoren „zum Schrottpreis“ hätten versteigert werden müssen. Gründer Luckow sieht nur einen „einzigen Weg, dass die Menschen den Nominalbetrag oder einen Betrag darüber hinaus erhalten“: das geplante Geschäftsmodell umsetzen. 

Auch wenn Luckow noch angibt, Unternehmen und Idee von Berlin aus retten zu wollen, steht fest: Das ursprüngliche Vorhaben der Envion-Macher ist krachend gescheitert.

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Bild: Envion; Hinweis: Nachträglich wurden Aussagen von Michael Luckow ergänzt.