Wurde von EU-Startups zu einer der 50 einflussreichsten Frauen der VC- und Startup-Szene in 2017 gewählt: Tanja Kufner. 

Nicht nur Andreas Scheuer findet: Die Autobranche wandelt sich zu langsam. Wer nur von Herausforderungen rede und nicht die Produkte der Zukunft auf die Straße bringe, gefährde die Branche, sagte der Bundesverkehrsminister kürzlich in Berlin. Wir haben Tanja Kufner gefragt, wo die Gründe für den langsamen Wandel liegen – und wie sich die wichtigste Industrie in Deutschland für die Zukunft aufstellen muss. Kufner begleitet seit Jahren Mobility-Startups und Konzerne und verantwortet bei der Porsche-Tochter MHP den Investment & Startup Bereich unter der Marke dynamics. Zuvor leitete sie das Startupbootcamp Berlin. Ein Gespräch über ängstliche Technikmanager, Kooperationen und Anreize.

Frau Kufner, deutschen Autobauern wird oft nachgesagt, ihnen fehle die Bereitschaft zu Innovation. Dabei entfallen laut einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft rund 40 Prozent aller Patente Deutschlands auf die Automobilindustrie. Steht die Branche zu Unrecht am Pranger?

Das sind sehr erfreuliche Zahlen, die belegen, dass die Branche immer noch immenses Innovationspotenzial hat. Auf der anderen Seite bedeuten viele angemeldete Patente alleine ja noch nicht automatisch, dass auch wirklich innovativ gearbeitet wird. Es geht um die praktische Umsetzung, um die Integration neuer Technologien in bestehende Prozesse. Dazu braucht es den Willen, Veränderung auf allen Ebenen der Organisation voranzutreiben. Hier hängt die deutsche Automobilindustrie momentan leider noch hinterher. Ich bin jedoch positiv gestimmt, dass sich das ändert.

Was muss die Industrie tun, um innovativer zu werden?

Automobilunternehmen sind so tief in ihrer Tradition verwurzelt, dass sie sich nur langsam verändern. Aber dem rasanten Technologiewandel kann kein Unternehmen erfolgreich allein trotzen. Konzerne können enorm von der Zusammenarbeit mit Startups profitieren, wenn sie ihr Technologieportfolio erweitern wollen. Deshalb sollten sie die Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen forcieren.  

Warum ist das Miteinander von Startups und Corporates vielversprechend?

In Zukunft werden Themen wie Mobilitätsdienstleistungen, Shared Mobility und autonomes Fahren immer wichtiger. Die dafür nötigen Technologien kommen in der Produktionslandschaft der Automobilindustrie nicht vor, die Kompetenzen in diesen Bereichen fehlen zu großen Teilen. Aus diesem Grund müssen sie sich Partner ins Boot holen.

Was haben die Startups davon? Und was die etablierten Unternehmen?

Startups können durch solche Partnerschaften von der Erfahrung, dem Marktzugang und den Ressourcen der älteren Unternehmen enorm profitieren, da diese ihre Produkte und Prozesse über Jahrzehnte hinweg perfektionieren konnten und den Markt von Beginn an mit geprägt haben. Etablierte Unternehmen können sich weiterhin auf das konzentrieren, was sie am besten können und durch die Partnerschaft disruptive Technologien und innovative Geschäftsmodelle erforschen, ohne ihr Kerngeschäft zu gefährden. Es ist ein Win-Win-Szenario für beide – wenn es richtig gemacht wird.

Viele Corporates arbeiten bereits mit Jungunternehmern zusammen – allerdings mit mäßigem Erfolg. Laut eines Reports des Frühphasen-Venture-Fonds 500-Startups skalieren weniger als 25 Prozent aller Pilotprojekte von weltweit führenden Unternehmen überhaupt bis zur Marktreife. Woran liegt das?

Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen kulturelle: Startups arbeiten sehr lösungsorientiert und nach dem „Geht-nicht-gibt’s-nicht”-Prinzip. In Konzernen gibt es oftmals viel Politik – die dann eventuell sinnvolle Entscheidungen verzögert oder sogar verhindert. Auch die Organisationsstruktur hat Einfluss auf die Zusammenarbeit: Startups sind durch ihre schlanke Struktur agil und schnell, etablierte Unternehmen hingegen allein wegen ihrer enormen Größe langsam und schwerfällig. Das führt bei der Zusammenarbeit zu Problemen, denn verzögerte Entscheidungen und langsame Prozesse können Startups schnell das Genick brechen. Sie haben einfach keine finanziellen Ressourcen, um mehrere Monate auf einen Vertrag zu warten. Daneben sind es technische Probleme, wegen denen die Projekte scheitern.

Wie meinen Sie das?

Ich weiß von mehreren Projekten, die zwar vom CEO gewollt waren, letztendlich aber am CTO gescheitert sind. Die Technikchefs trauen sich oft nicht an die Umsetzung. Häufig sind sie auch durch ihre KPIs – die Kennzahlen, an denen sich ihr Erfolg misst – nicht entsprechend incentiviert, Risiken einzugehen.

Wie lässt sich ihre Sorge nehmen?

Bevor Unternehmen erste Projekte mit Startups anstoßen, muss bereits ein Kulturwandel stattgefunden haben. Deshalb sind Programme wie die Startup-Autobahn in Stuttgart sehr wichtig, mit dem Daimler internationale Jungunternehmer für den Technologie-Standort Stuttgart gewinnen will. Mit solchen Programmen kann die Belegschaft von Konzernen langsam an die Denkweise junger Unternehmer herangeführt werden.

Der Kulturwandel muss vom Management gewollt sein. Eine Studie zeigt, dass Führungskräfte in der Automobilbranche kaum dazu bereit sind, Neues zu lernen. Im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen Branchen fehlt es ihnen an Selbstreflexion und Fähigkeiten der Personalführung. Ist ein Wandel mit den heute aktiven Top-Managern überhaupt möglich?

Ganz ehrlich: Ich glaube nicht. Das Management muss notfalls ausgewechselt werden, falls dieser Trend bestehen bleibt. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die CEOs grundsätzlich zum Umdenken bereit sind. Die Probleme liegen in der Regel im mittleren Management. Dort gibt es Mitarbeiter, die Transformationsprozesse blockieren. Das Management auf dieser Ebene umzuschulen ist extrem schwierig, vor allem in der Produktion.

Wie lassen sich diese Mitarbeiter mitnehmen?

Benötigt werden Instrumente, mit denen sich Mitarbeiter incentivieren lassen, beispielsweise indem sie einen Bonus erhalten, wenn sie sich an Startup-Projekten beteiligen. Außerdem sollten Räume und Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen Konzern- und Startup-Mitarbeiter einander begegnen. Nur so lässt sich die Quote derjenigen in den Unternehmen steigern, die sich für Startups begeistern. Dafür braucht es viele Innovationsprogramme vor Ort.

Die Unternehmen stehen vor großen Veränderungen, müssen ihre Geschäftsmodelle voraussichtlich langfristig komplett überdenken, da immer weniger Menschen überhaupt einen privaten Pkw kaufen. Werden Daimler, VW und die anderen Branchenriesen überhaupt noch gebraucht?

Die Mobilitätsrevolution wird zweifellos den Bedarf an Autos als persönliche Besitztümer beeinflussen. Was sie nicht ändern kann, ist die Leidenschaft, die Menschen für das Fahren haben. Ich kann mir vorstellen, dass die Autobauer in Zukunft vor allem über ihre Marke Geld verdienen. Es gibt eine starke persönliche Bindung, die Menschen zu Autos empfinden. Kaum eine andere Form des Transports weist so eine Bindung auf. Zwar geht es zukünftig nicht mehr um das konkrete Fahrzeug, das verkauft wird. Stattdessen buchen die Kunden „Experiences“.

Was genau ist darunter zu verstehen?

Wer eine Möglichkeit sucht, in einem luxuriösen Fahrzeug von A nach B zu kommen, wird sich beispielsweise ein Porsche-Shuttle buchen. Die Erfahrung beim Fahren wird aber die gleiche sein, egal ob Sie oder der Flottenbetreiber das Auto auch tatsächlich besitzen. Zu anderen Anlässen bestellen sich die Reisenden dann beispielsweise eine günstigere Variante oder ein Fahrzeug, in dem sie auch schlafen können.

Wie muss sich Deutschland aufstellen, um weiterhin Weltmarktführer im Bereich Mobilität zu bleiben?

Die Automobilindustrie als Ganzes muss ihren Fokus verändern, das wurde allerspätestens durch Dieselgate klar. Mobilität ist zunehmend geteilt, elektrisch und multimodal – Menschen werden in Zukunft zu jedem Zeitpunkt die Wahl aus verschiedenen Verkehrsmitteln haben, um von A nach B zu kommen. Dadurch ist es für den Mobilitätssektor in Deutschland erforderlich, verstärkt in Technologien, Produkte und Dienstleistungen entlang der gesamten Mobilitätslieferkette zu investieren. Unternehmen sollten viele Dinge auf einmal tun und zusammenarbeiten, anstatt zu konkurrieren.

Wie können solche Kooperationen konkret aussehen?

Dies kann zum Beispiel durch einen konzernübergreifenden Mobilitätsfonds für gemeinsame Investitionen in Zukunftstechnologien passieren. Oder durch Partnerschaften mit Städten und Startups, durch die Finanzierung von Forschungsinitiativen oder den Austausch von Mobilitätsdaten zwischen Automobilunternehmen. Die Möglichkeiten sind endlos. Es gibt viele Szenarien, wie sich das ausspielen könnte, aber das Wichtigste ist, im Moment zusammenzuarbeiten und zu handeln.

Bild: Startupbootcamp