Im Google-Haus lernt eine junge Kenianerin die ersten Zeilen Code.

Es gibt ein Thema, das Allen Savai bei Gesprächen zuhause mit der Mutter zu umschiffen versucht: seine Arbeit. Der 28-jährige Kenianer ist Entwickler in dem kleinen Ort Lodwar, mitten in der Wüste. „Hör mir auf mit deinen Startup Lions“, hat er sie schon mal sagen hören. Seine Mutter versteht nicht, mit was für einer Tätigkeit er seinen Lebensunterhalt verdient.

In einer der ärmsten Regionen der Welt – in der einige Menschen vom Handwerk und wenige von der Landwirtschaft leben – ist es für die Studenten und Freelancer der „Startup Lions“ schwierig, ihren Eltern zu erklären, was sie eigentlich den ganzen Tag machen. Denn sie verdienen ihr Geld mit 3D-Modellen, programmieren Websites oder designen Visitenkarten, die sie an Unternehmen in Europa oder in den USA verkaufen.

Der Deutsche Ludwig Bayern hat die Programme Learning Lions und Startup Lions vor drei Jahren zusammen mit drei Freunden gegründet. Sein Onkel war früher in der Region ein Missionar und erzählte ihm von der schwierigen Lage der Menschen. „Das Problem dieser Gegenden ist, dass es keine Wertschöpfung gibt. Und wir glauben, über das Internet als Zugang zum globalen Markt genau das ändern zu können“, erklärt er. In anderen Branchen geht das nicht: In der Region Turkana ist es zu trocken für Landwirtschaft, regelmäßig wird das Wasser knapp. Auch Handwerksgeschäfte lassen sich nur schwierig betreiben, denn die Waren können nur schwer auf Märkte gebracht werden, die Infrastruktur ist zu schlecht.

Ihre Tech-Dienstleistungen verkaufen die jungen Kenianer über internationale Freelancer-Plattformen wie Fiverr. Für die kleinen Aufträge erhalten sie jeweils nur ein paar Dollar. Aber: „Jedes Einkommen ist ein Fortschritt“, sagt Bayern. Viele Menschen in der Region Turkana würden unter der Armutsgrenze leben, sie hätten weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung. Schon in der Ausbildung erhalten die Studenten hier Klein-Aufträge von den Plattformen und dafür das erste Geld. 

Auch Savai hörte damals von dem Programm. „Ich war einer der Glücklichen, kam aus einem guten Haus und habe Computer Science studiert“, sagt er. Seine Mutter wollte ihn in einen Job der Regierung drängen, ihn in einem Hemd mit Krawatte sehen. Doch er beschäftigte sich lieber mit Computern. 

Jeden Monat verdient er jetzt umgerechnet etwa 200 Dollar. Zunächst kamen gerade einmal 50 Dollar im Monat zusammen. „Es war am Anfang sehr hart, Geld zu verdienen“, sagt Savai. Schon bald will er es schaffen sein Honorar weiter zu steigern. Mehr als 1.000 Dollar im Monat könnten die ausgebildeten Techies eines Tages pro Monat verdienen, glauben die Organisatoren.  

Das Ausbildungsprogramm Learning Lions bringt den jungen Kenianer beispielsweise bei, wie es geht HTML zu programmieren, eine WordPress-Seite aufzusetzen oder Photoshop zu verwenden.

Die Sales-Agentur Digital Lions hilft ihnen bei ihrer Arbeit als Tech-Freelancer. Vor allem die Kommunikation mit den Kunden übernehmen Freiwillige aus Europa mit Erfahrung. Die jungen Kenianer bekommen die Aufträge dann zugewiesen. Am Ende des Monates erhalten sie einen Großteil der Einnahmen.

Der Inkubator Startup Lions erarbeitet mit den jungen Menschen eigene Geschäftsmodelle. Außerhalb des Campus sollen sie eigenständige Geschäfte aufbauen. Bislang gibt es einige Erfolgsbeispiele, etwa drei Absolventen des Programms, die als Musikproduzenten arbeiten.

In zwei kleinen gelben Häusern ist der Coworking-Space und die Ausbildungsstätte für Savai sowie etwa 50 andere junge Kenianer untergebracht. In dem staubigen Hof steht ein Tischkicker, in der Ecke liegt ein ausgebranntes Auto. Die meiste Zeit des Tages ist es zu heiß, um sich draußen aufzuhalten. Nur der Schriftzug „Google It House“ erinnert von draußen daran, dass die jungen Menschen hier etwas mit Technik zu tun haben.

Der Campus in der Mittagshitze
Der Campus in der Mittagshitze.

Drinnen sitzen sie etwas gedrängt an langen Tischen und arbeiten in der Hitze vor sich hin. Im Halbdunkel kann man die Motivationssprüche der globalen Tech-Helden lesen. Zum Beispiel „The biggest risk is not taking any risk“ von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. 

„Der Startup-Inkubator hat nicht genügend Erfolgsfälle hervorgebracht“

Wie schwierig die Situation der einzelnen Studenten ist, zeigt das Beispiel von Veronica. Bei ihr kommen zurzeit umgerechnet erst etwa 40 Dollar zusammen. Ihre Eltern starben vor einigen Jahren, der Vater war der Ernährer der Familie. Nun muss sie sich zusätzlich um ihre kleine Schwester kümmern. Sie würde eigentlich gerne Krankenschwester werden, doch kann sich die Ausbildungsgebühren nicht leisten. „Ich habe das gemacht, was verfügbar war“, sagt sie. In dem Programm arbeitet sie als Grafik-Designerin, sie fotografiert gerne.

Seit dem Start mussten Ludwig Bayern und sein Team den Plan anpassen. Ursprünglich wollten sie die Kenianer nach der Ausbildung direkt zu Gründern machen. Sie sollten als Freelancer oder mit kleinen Unternehmen außerhalb des Campus eigenständig arbeiten – und sich selbst damit ernähren. Doch das Konzept funktionierte nicht wie gewünscht.

Im Google-Haus lernt eine junge Kenianerin die ersten Zeilen Code.

„Der Startup-Inkubator hat nicht genügend Erfolgsfälle hervorgebracht“, erzählt Bayern. Ein paar der Studenten sind zum Beispiel als digitale Musikproduzenten oder Illustratoren gestartet – und können sich nun eigenständig außerhalb des Programms finanzieren. Doch ein Großteil der Learning Lions ist noch von der Auftragsarbeit abhängig. „Wir wollen ja nicht die fallenlassen, die es nicht hinbekommen etwas zu gründen“, sagt der Initiator. Trotz der mehrstufigen Auswahlverfahren mit IQ-Test und persönlichen Gesprächen sei außerdem nicht jeder für das Unternehmertum gemacht. Die wirklich Guten zu finden, sei nicht einfach. „Die Ruhigen sind meist die, die sich reinhängen – und nicht die Selbstdarsteller.“ 

Aus diesem Grund haben Bayern und seine Mitstreiter vor einiger Zeit die Digital Lions gegründet. Als Sales-Agentur soll sie den ausgebildeten Menschen dabei helfen, ihre Dienstleistungen zu verkaufen. Die Agentur kommuniziert mit den europäischen Kunden und kümmert sich um die Qualität der Aufträge. Ein Großteil der verdienten Gelder geht dabei an die jungen Freelancer.

Wie tickt ein Kunde, der mehrere tausend Kilometer entfernt ist?

Der erste Ausbildungsschritt sei leicht gewesen, erzählt Bayern: „Ihnen HTML oder Photoshop beizubringen, war kein Problem, doch es ist wahnsinnig schwer zu verstehen, was der Kunde eigentlich will und genau das zu liefern.“ Die ersten Resultate erinnerten an die 90er Jahren, alles blinkte und Schriften drehten sich. „Sie haben alles zusammengeschmissen, was sie gerade gelernt hatten“, sagt Bayern. Im Schnellverfahren müssen sie nun die Entwicklung von Webdesign der vergangenen 20 Jahre nachholen. Mit Tools und Checklisten wollen sie das Lernprogramm beschleunigen. Allen Savai und andere erfahrene Freelancer trainieren sie gerade dafür, auch in der Agentur eine wichtige Rolle zu spielen und andere managen können.

In den kurzen Pausen spielen sie Kicker.
In den kurzen Pausen spielen sie Kicker.

Damit das funktioniert, helfen Freiwillige wie Jan Veddeler und Hanna Weck. Die beiden Deutschen sind für mehrere Monate vor Ort und kümmern sich um Digital Lions. Weck hat bereits Arbeitserfahrung in einer Werbeagentur gesammelt. An diesem Nachmittag sitzen sie mit mehreren Entwicklern in einem Meeting, um über die Fortschritte ihrer Aufträge zu sprechen. Ein großer Fernseher mit einem Board voller Trello-Tasks steht vor ihnen. „Ich mache noch einmal Druck bei den Kunden“, sagt Hanna Weck. Das Team will unbedingt auf der Fiverr-Plattform einen besseren Status erreichen. Dazu braucht es eine bestimmte Anzahl an abgeschlossenen Aufträgen. Sobald die Kunden zahlen, ist der Auftrag bestätigt. 

Ein besserer Status auf der Plattform bringt ihnen auch mehr Aufträge. „Wir müssen das Problem mit der Telefonnummer noch lösen“, sagt Veddeler. Gerade ist bei Fiverr noch die falsche Nummer angegeben und das Team sucht verzweifelt nach dem Handybesitzer, um den Sicherheitscode zu bekommen. Es sind die Alltagsprobleme, die sie bei 35 Grad lösen müssen. 

Gerade bei den Problemen der Startphase von Digital Lions kommt es auf die Kleinigkeiten an, sagt Bayern: „Es ist wichtig, dass wir uns jetzt nicht beeilen, sondern ein System schaffen, dass sich schnell replizieren lässt“, sagt er. „Wir wollen nicht nur einer Handvoll Leute zu helfen, sondern wir wollen das als skalierbares Projekt aufziehen. Ohne dass am Ende die Europäer ihre Finger im Spiel haben müssen.“ Dafür entwickeln sie gerade einen detaillierten Plan, der vor allem auf digitale Tools setzt. In der Ausbildung ermöglicht ein Programm beispielsweise, dass ältere Studenten die Arbeit der jüngeren benoten und ihnen helfen, alles wird automatisch zugeordnet. Das besondere Management-System Holocracy – ein Management ohne Manager – soll dazu führen, die fehlenden Führungskräfte mit Erfahrung zu ersetzen.

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Schon bald soll das Entwicklungshilfe-Projekt wachsen

Wenn das alles funktioniert, soll ein neuer Campus für Learning Lions und die Sales-Agentur entstehen. Ein Campus, auf dem zwei Klassen mit 30 Studenten gleichzeitig starten. Funktioniert das Konzept, wollen die Organisatoren weitere Standorte schaffen. Den neuen Campus sollen erfahrene Techies von einem existierenden Standort mit aufbauen. „Es ist dann als Entwicklungshilfekonzept spannend, weil ich zeigen kann, dass die Leute, die hier buchstäblich in Strohhütten leben, auf ein Einkommensniveau von bis zu 1.000 Euro kommen“, sagt Bayern. Ein Projekt, das auch für Geldgeber mit sozialen Fonds interessant sein könnte. Bislang wird das Lernprogramm von privaten Spendern finanziert. Die großen Investoren könnten dann die Idee aus Lodwar in arme Regionen überall auf der Welt tragen.

Ob Allen Savai bei der Expansion noch an Bord ist, weiß er selbst noch nicht. Er träumt von einem eigenen Startup. „Die Ideen werden kommen“, sagt er. Über eine App, die die Zugänge zu Wasser zeigt, hat er schon nachgedacht. In zehn Jahren wird er jedenfalls weiter sein als seine Freunde in den Regierungsjobs und den Hemden mit Krawatten, da ist er sich sicher.

Die beiden Freiwilligen Jan Veddeler und Hanna Weck mit Allen Savai.
Die beiden Freiwilligen Jan Veddeler und Hanna Weck mit Allen Savai.

Bild: Gründerszene