Als Microsofts Windows-Produktchef Joe Belfiore im April 2015 auf Microsofts „Build“-Entwicklerkonferenz seinen neuen Internet-Browser für Windows 10 ankündigte, sparte er nicht mit Superlativen: „Das wird der Browser, an den Nutzer denken wenn sie Dinge schaffen wollen, der schnellste Browser für Windows 10.“

Die Botschaft war deutlich: Microsoft wollte das Image des lahmen Internet-Explorers hinter sich lassen und einen Web-Browser bauen, der schneller sein sollte als die Konkurrenz – vor allem schneller als Googles Konkurrenzprodukt Chrome.

Allein, die Nutzer waren nicht am Tempo interessiert: Im November 2018 hat Edge im Netz laut Messungen des unabhängigen Analsyetools NetMarketShare gerade einmal einen Marktanteil von 4,3 Prozent. Selbst der alternde Internet-Explorer ist mit gut elf Prozent Marktanteil erfolgreicher – mit weitem Abstand führend ist Googles Chrome mit 63 Prozent.

Daher verwundert nicht, dass Microsoft die Weiterentwicklung eines eigenen Webbrowsers einstellt: Zwar will Microsoft weiterhin Edge anbieten, der Browser bleibt Bestandteil von Windows 10. Doch künftig soll Edge hinter der Fassade der Benutzeroberfläche technisch auf „Chromium“ basieren – so nennt Google die Teile seines hauseigenen Chrome-Browsers, der als sogenannte Open-Source-Software im Netz frei verfügbar ist. Technisch gesehen also ist Microsofts Edge-Browser künftig eine Variation von Chrome mit Microsoft-Benutzeroberfläche.

Der radikale Schritt Richtung Google verwundert nicht: Microsoft-Chef Satya Nadella ist bekannt dafür, dass er einerseits wenig von Ideologie-Kriegen gegen den Konkurrenten aus Kalifornien hält – so hat er Microsoft zum Beispiel aus Lobby-Initiativen gegen Google zurückgezogen und gegenseitige Patentgefechte einstellen lassen. Andererseits hat Nadella keinerlei Probleme damit, auch prestigeträchtige Projekte kurzerhand einzustampfen, wenn sie ihm als wenig gewinnbringend erscheinen.

Microsoft-Programmierer unterstützen nun Chromium

Nicht zuletzt unterstützt Nadellas neues pragmatisches Microsoft das Thema Open-Source-Software stärker denn je, Nadella kaufte im Sommer sogar die weltweit führende Open-Source-Plattform Github für 7,5 Milliarden Dollar. Das Programmierer-Team, das bislang die Edge-Software baute, soll nun zur Open-Source-Software beitragen, die Microsoft-Programmierer stellten bereits erste Verbesserungsvorschläge für Googles Chromium auf Github ein. Künftig also könnte Chromium und damit auch der Chrome-Browser eine Software werden, die von beiden Megakonzernen gemeinsam weiter entwickelt wird.

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Das mag gut sein für Google und Microsoft, und auch Webseiten-Programmierer haben künftig weniger zu tun, denn sie müssen ihre Seiten für weniger Browser-Varianten testen. Neben Chromium existieren nun nur noch zwei Browser-Alternativen: Apples Safari und der Firefox-Browser nutzen weiterhin eigenständige Software.

Doch aus Sicht der Nutzer, der Regulierungsbehörden und konkurrierender Internet-Unternehmen sollte die Chromium-Dominanz Anlass zur Sorge geben: Herzstück von Chromium ist die sogenannte Rendering-Engine „Blink“. Sie bestimmt, wie Nutzer Internetseiten sehen, welche Plugins funktionieren, wie die Webseiten-Programmiersprache HTML interpretiert wird.

Künftig gilt mehr denn je: Nur Standards, die von Googles Chromium unterstützt werden, können sich im Netz durchsetzen – die beiden Browser-Alternativen Safari und Mozillas Firefox kommen gemeinsam gerade einmal auf 14 Prozent Marktanteil. Safari wird zudem nur noch für Apple-Geräte gepflegt.

Es droht eine Monokultur im Netz

Sowohl für Windows-Nutzer als auch für Android-Smartphones bleibt also nur noch Firefox als Alternative. Web-Programmierer können getrost ihre Seiten nur für Chrome optimieren, ohne ein Risiko einzugehen, relevante Anteile ihrer Nutzer zu vergraulen. Umgekehrt dürfte dieser Effekt dazu beitragen, dass noch mehr Nutzer auf Chromium-Browser umschwenken.

Es droht eine Monokultur im Netz: „Chrome hat gewonnen“, kommentierte bereits im Sommer der ehemalige Mozilla-Technikchef Andreas Gal. Das sollte nicht nur den Google-Konkurrenten Sorgen bereiten, sondern auch den Nutzern: Sicherheitslücken in der Chrome-Engine „Blink“ etwa dürften künftig mangels Alternativen ein größeres Problem für alle Nutzer sein als zuvor, „Blink“-inkompatible Webseiten etwa in historischen Archiven bleiben eventuell verschlossen.

Chromiums Dominanz im Web ist zudem Teil eines größeren Trends hin zu Google-Software, der auch Regulierungsbehörden Kopfschmerzen macht: Googles offenes Betriebssystem Android treibt bereits jetzt deutlich über 80 Prozent aller Mobilgeräte im Netz, neben Smartphones auch Smart-Lautsprecher, Fernseher und weitere Smart-Home-Devices.

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Mit dem Standard „Accelerated Mobile Pages“ (AMP) dominiert Google zudem die Auslieferung von Medieninhalten auf mobilen Geräten – Verlage und Fernsehsender (auch WELT) nutzen die HTML-Alternative, um ihre Seiten besonders schnell und problemlos auf mobilen Browsern anzuzeigen. AMP wiederum funktioniert besonders gut in der Chromium-Umgebung, Google implementiert etwa aktuell besondere Privatsphäre-Einstellungen und bestimmt indirekt auch, welche Arten von Online-Werbung Verlage in AMP einsetzen dürfen.

Selbst für Microsoft hat sich die Alternative zu Google nicht gelohnt

Schon jetzt ist AMP in der Kombination mit Android und Chromium ein Software-Paket, mit dem Google einerseits die komplette Nutzer-Erfahrung von Webseiten bestimmt, andererseits den Inhalte-Anbietern im Netz indirekt vorgibt, wie sie ihre Seiten gestalten können. In Europa hat der Konzern damit bereits den Unmut der europäischen Wettbewerbshüter auf sich gezogen: Die Kombination von Chrome und Android ist Teil einer Untersuchung von Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager.

Doch ob die EU-Wettbewerbshüter die weltweite Software-Dominanz von Google ernsthaft erschüttern können, ist zweifelhaft. Mit Microsoft hat einer der größten Google-Konkurrenten eingestehen müssen, dass sich der Versuch, eine Alternative zu etablieren, schlicht nicht gelohnt hat.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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