Obwohl Huawei ein privates Unternehmen ist, haben die chinesischen Sicherheitsbehörden vollen Zugriff auf seine Daten.

Die Mobilfunkanbieter überbieten sich zurzeit mit Versprechungen. Vodafone will bis Ende des kommenden Jahres zehn Millionen Menschen mit dem neuen, fünften Mobilfunkstandard 5G erreichen. Ein Jahr später sollen es doppelt so viele sein.

Die Deutsche Telekom plant bis 2025: Dann will der Konzern 99 Prozent der Bevölkerung und 90 Prozent der Fläche Deutschlands mit 5G versorgen. Als letzter Anbieter hat nun auch Telefónica seine Pläne enthüllt.

Die 5G-Antennen in seinem O2-Netz sollen bis Ende 2022 insgesamt 16 Millionen Menschen in 30 Städten erreichen. „Wir schaffen das“, tönte es in den vergangenen Wochen aus den Strategieabteilungen der Konzerne. Deutschland mag anderen Ländern beim Mobilfunk hinterherhinken. Abhängen lassen soll es sich beim 5G-Aufbau aber nicht.

Ob es so kommt, wie es sich die Chefplaner wünschen, ist nicht ausgemacht. Denn bisher stützen sie sich bei ihren Plänen maßgeblich auf die Technik des chinesischen Ausrüsters Huawei. Aus Sicht der Ingenieure bietet er derzeit die ausgereiftesten Lösungen. Aus politischer Sicht ist das ein Problem.

Staat und Wirtschaft sind in China eng verwoben. Obwohl Huawei ein privates Unternehmen ist, haben die Sicherheitsbehörden legal vollen Zugriff auf seine Daten. Zwar gibt es bisher keine Belege dafür, dass Huawei-Technik für Spionage genutzt werden kann, dennoch fürchten Kritiker, dass genau das in Zukunft passieren wird. Die digitale Überwachungsdiktatur China hätte dann Zugriff auf die bedeutsamste deutsche Infrastruktur, das 5G-Mobilfunknetz.

Der Streit über Huawei beschäftigt auch den Bundestag. Die von der Regierung favorisierte technische Überprüfung und Zertifizierung halten viele Abgeordnete für unzureichend. Die SPD drängt auf einen gemeinsamen Beschluss mit der Unions-Fraktion Anfang 2020, der möglicherweise deutlich schärfer ausfällt, als bislang vom Kanzleramt und von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) geplant. Innerhalb der Union ist man sich aber noch nicht darüber einig, ob man den chinesischen Netzwerkausrüster vom Ausbau der Mobilfunknetze ausschließen soll.

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Ein Ausschluss würde nicht nur die Ausbauplanungen der Mobilfunker empfindlich stören. Alle drei Netzbetreiber verfolgen schon bisher einen „Multi-Vendor-Ansatz“, setzen also die Produkte mehrerer Ausrüster in ihren Netzen ein, um nicht von einem Unternehmen allein abhängig zu sein.

Vodafone und Telekom bauen ihre Netze mit Ericsson und Huawei, Telefónica mit Nokia und Huawei. Das gilt auch für die bestehenden Mobilfunknetze. Dort vor allem wäre der Huawei-Bann für die Konzerne ein großes Problem. Sie müssten etwa die Hälfte der Netze abwracken – und zugleich beim Neuaufbau auf den günstigsten und innovativsten Ausrüster verzichten.

Was das bedeuten würde, zeigt eine eine Studie des Branchenverbands GSMA. Darin rechnen die Experten mit Kosten von zusätzlich 55 Milliarden Euro für den 5G-Aufbau in Europa. Im GSMA sind 750 Netzbetreiber und fast 400 weitere Unternehmen organisiert.

Der frühere Vodafone-Technikchef und heutige Berater Hartmut Kremling beschreibt den möglichen Technologieaustausch so: „Das ist wie die Kernsanierung eines Hauses, in dem die Mieter aber weiter wohnen.“ Alle Experten gehen von steigenden Preisen für den Ausbau aus, die vom Nutzer zu zahlen seien.

Weiterbau von LTE

Um zu verstehen, wie tief die chinesische Technik schon im deutschen Mobilfunknetz steckt, muss man sich dessen Aufbau genauer ansehen. In Deutschland funken von den Antennenstandorten heute drei Mobilfunkgenerationen, die als 2G (GSM), 3G (UMTS) und 4G (LTE) bezeichnet werden, auf unterschiedlichen Frequenzen.

Alle Anbieter setzen hier auf einen sogenannten Single-RAN-Ansatz, wobei RAN für Radio Access Network steht, also das Basisstationsnetz inklusive der Antennen. Alle diese Netze müssen genau aufeinander abgestimmt sein.

Damit die Technik auch funktioniert, wird an einem Antennenstandort nur ein Ausrüster eingesetzt. Das gilt sogar für ganze Cluster und Regionen. So besteht etwa das Vodafone-Mobilfunknetz im Westen Deutschlands aus Ericsson-Technik und im Osten Deutschlands aus Huawei.

Eine Mischung von Nokia, Ericsson und Huawei an einem Standort gibt es nicht mehr, weil ein solcher Mix in einem hochkomplexen Netz nicht funktioniert. Je nach Empfangsstärke schaltet ein Smartphone von 2G auf 3G oder 4G um. Ein Technik-Patchwork würde zu Gesprächsabrissen und Datenübertragungsproblemen führen.

Das gilt auch für den 5G-Ausbau. Tatsächlich setzt die Technik auf den 4G-Netzen auf. Es handelt sich also streng genommen um eine Netzerweiterung – auch weil es noch viele Jahre dauern wird, bis ein Großteil der Mobilfunknutzer in Deutschland mit 5G-fähigen Smartphones ausgestattet ist. Aus diesem Grund hat auch der Neueinsteiger United Internet verkündet, kein reines 5G-Netz bauen zu können.

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Die hochfliegenden Pläne der Konzerne beziehen sich also nicht ausschließlich auf 5G, sondern noch viel mehr auf den bestehenden LTE-Standard. Während die Netzbetreiber mit den 5G-Investitionen erst beginnen, stecken sie ein Vielfaches dieser Summe in den fortschreitenden 4G-Ausbau – auch mit Huawei-Technik.

Für Telekom, Vodafone und Telefónica stehen in der Huawei-Debatte also Milliarden auf dem Spiel. Entsprechend hart diskutieren sie mit. Die aktuelle politische Debatte umschreiben ihre Lobbyisten häufig mit dem Wort „faktenfrei“.

Zuletzt hatte Vodafone-Sicherheitschef Oliver Harzheim Mitte Dezember noch einmal vor dem Bundestagsausschuss Digitale Agenda versucht, die Konsequenzen eines Huawei-Banns zu beschreiben. Sein Unternehmen habe hochgerechnet, „dass das für uns vielleicht einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren bedeutet, den wir als Vodafone benötigen würden, um das vorhandene Equipment umzubauen und 5G-ready zu machen“. Sollten jedoch alle Netzbetreiber zugleich auf limitierte Kapazitäten zugreifen, könnte es sogar noch länger dauern.

Zweifel an Ericsson

Zwar hatte Ericsson-Manager Fredrik Jejdling zuletzt angedeutet, der Ausrüster sei in der Lage, Europa mit genügend 5G-Funkeinheiten zu versorgen – auch nach einem Ausschluss des Marktführers Huawei. Doch in der Branche sorgte das für Stirnrunzeln. Europäische Hersteller seien nicht auf die Schnelle in der Lage, Huawei zu ersetzen, heißt es bei Vodafone.

Auch Telefónica widerspricht Ericsson in einem nicht öffentlichen Positionspapier, das im November an Bundestagsabgeordnete verschickt wurde und WELT AM SONNTAG vorliegt. „Ein Ausschluss nur eines Herstellers würde die Verfügbarkeit der Hardware empfindlich verknappen“, heißt es dort.

Darüber hinaus weist der Netzbetreiber auf die vergleichsweise „geringen Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E)“ bei europäischen Ausrüstern hin. Huawei habe zuletzt sogar deutlich mehr für Forschung und Entwicklung ausgegeben als Nokia und Ericsson zusammen.

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Insgesamt würde ein Verbot von Huawei den Netzausbau in Deutschland um Jahre zurückwerfen. Telefónica weist in seinem Papier darauf hin, dass ein Großteil der IT-Hardware auch aller anderen Hersteller in China produziert wird. Wollte man ein Netz ohne jedes chinesische Zutun, stünde man derzeit wohl ganz ohne Ausrüster da.

Alle Netzbetreiber bezeichnen Huawei als technologisch führenden Ausrüster. Viele Experten sehen allein Ericsson weitestgehend in der Lage, hier mitzuhalten. Nokia sei im Vergleich in der technischen Entwicklung um ein bis zwei Jahre zurückgefallen, heißt es bei einem Betreiber.

Telekom mit Nokia unzufrieden

Tatsächlich war die Deutsche Telekom nach Informationen von WELT AM SONNTAG schon beim 4G-Ausbau unzufrieden mit Nokia. „Wenn ein Unternehmen aus dem Wettbewerb ausscheidet, können die anderen nicht sofort seinen Platz einnehmen“, sagt auch Roman Friedrich, Partner und Telekom-Experte bei der Boston Consulting Group (BCG).

Die Konzerne hoffen auf einen politischen Kompromiss: ein Huawei-Verbot, das nur den besonders sensiblen Teil des Netzes betrifft. Die Mobilfunknetze bestehen aus einem Antennennetz mit der Technik an den Masten und dem sogenannten Kernnetz, das beispielsweise für SMS und den Internet-Übergang steht.

Mit mehr als 80 Prozent fällt der Großteil der Investitionen auf das Antennennetz. Ein Huawei-Verzicht im Kernnetz wäre daher deutlich billiger. Telekom und Vodafone ersetzen hier bereits Schritt für Schritt die chinesischen Anlagen.

Doch was geschieht, wenn die Politik sich für einen kompletten Huawei-Bann entscheidet? Friedrich erwartet einen „schmerzvollen Prozess, der oft mit Netzausfällen einhergeht“.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / WANG ZHAO