Wavefont-Erfinder Tim Schlippe.
Wavefont-Erfinder Tim Schlippe.

Digitalisierung bringt Fortschritt? Bisher nicht, wenn es ums Schreiben geht, findet Tim Schlippe. „Die Schrift hat sich zurückentwickelt“, sagt der Gründer. Seine Argumentation: Handschrift beinhaltet Informationen über die schreibende Person. Mann oder Frau, alt oder jung? Merkmale wie diese können Experten aus ihr herauslesen. Computerschrift beinhaltet solche Informationen nicht.

Mit seinem Startup Silicon Surfer hat Schlippe die Software Wavefont gebaut, die digitale Schrift informativer machen soll: Sie verändert das Aussehen der Wörter so, dass Leser daraus ableiten können, wie sich der geschriebene Text gesprochen anhören würde.

Hörgeschädigte näher ans Filmerlebnis bringen

Diese Technik soll etwa Video-Untertiteln Emotionen verleihen. Denn: Ob in Filmen geschrien oder geflüstert wird, machen Untertitel normalerweise nicht deutlich – die Schrift sieht immer gleich aus. Wavefont dagegen macht laute Wörter dicker, leise dünner. Wird langsam gesprochen, stehen die Buchstaben weit auseinander, bei schnellem Sprechtempo reihen sie sich dicht aneinander. „Das hilft insbesondere Hörgeschädigten, näher an das Filmerlebnis ranzukommen“, so Schlippe. 

So funktioniert die Wavefont-Software
Basis der Technologie ist die gesprochene Sprache. Sie muss als Video- oder Audio-Datei vorliegen, außerdem die Transkription des Gesprochenen. Ein Spracherkennungs-Algorithmus wertet Geschwindigkeit und Lautstärke des Gesprochenen aus und wandelt beides in Zahlenwerte um. Im nächsten Schritt werden diese Werte auf die Transkription übertragen – zum Beispiel resultiert ein laut gesprochenes Wort in fetter Schriftart. 

Anwendung soll die Wavefont-Schrift nach Willen des Gründers zwar hauptsächlich bei Film und Fernsehen finden, aber in gedruckter Form auch in Büchern. So könnte sie etwa Sprachlernenden bei der Aussprache helfen, meint Schlippe – ergänzend zur Lautschrift, die dazu gewöhnlich angewendet wird. Und in Karaoke-Bars könnten die Gäste nicht nur ablesen, was, sondern auch wie sie singen müssen. 

So soll Wavefont in Filmen (oben) und in Sprachbüchern (unten) aussehen.
So soll Wavefont in Filmen (oben) und in Sprachbüchern (unten) aussehen.

Der Markt ist da, die Kundschaft fehlt noch

Bisher ist das alles nur Theorie. Seine Software ist zwar startklar, zahlende Kunden hat Schlippe aber noch nicht. Er kommt aus der Wissenschaft, promovierte in der multilingualen Spracherkennung. Marketing- und Vertriebskenntnisse sind in dieser Branche nicht gefragt. Die müsse er sich erst einmal aneignen, sagt er – und lernen, sich und seine Idee vor Kunden und Geldgebern zu verkaufen. „Viele Dinge, die für mich klar sind, sind für andere schwer verständlich.“

Interessenten habe er allerdings schon gefunden, darunter die ARD und Red Bull TV. Das Erste untertitelt 96 Prozent seiner Sendungen – teilweise sogar live, etwa die Spiele der Fußballweltmeisterschaft. Generell spielen Untertitel für die Film- und Fernsehindustrie eine große Rolle. Auf Videostreaming-Plattformen schaut inzwischen ein großer Teil der Nutzer Filme mit Untertiteln, auf sozialen Netzwerken werden Videos zu 85 Prozent ohne Ton angeschaut. Und die BBC arbeitet derzeit an einer Individualisierung ihrer Untertitel. 

„Wenn gründen, dann jetzt“

Mögliche Preise für seine Software hat Schlippe zwar „schon im Kopf“, verraten will er sie aber noch nicht. Er wolle auf volumenbasierte Preise setzen. Heißt: Pro mit Wavefont untertitelter Filmminute fällt eine bestimmte Summe an. Noch bis September finanziert Schlippe sein Startup durch die Gründungszuschuss-Förderung der Bundesagentur für Arbeit. Derzeit versucht außerdem, 10.000 Euro von der Crowd einsammeln. Wenn er das schaffe, finanziere ihn die L-Bank mit weiteren 10.000 Euro, sagt er.

Kapital und Kunden sind noch nicht sicher. Und doch setzte Schlippe für Wavefont alles auf eine Karte. Vor einem Dreivierteljahr kündigte er seinen Job bei einem Softwareunternehmen, um in Vollzeit an seinem Startup zu arbeiten. „Wenn gründen, dann jetzt“, habe er sich gedacht.

Schlippe veröffentlicht mit Wavefont untertitelte Videos bei Youtube. Hier hat er ein Sportschau-Video des WM-Treffers von Toni Kroos bearbeitet:

Bilder: Tim Schlippe