2014 hat Facebook Whatsapp für 19 Milliarden Dollar gekauft.
2014, fünf Jahre nach der Gründung, hat Facebook Whatsapp gekauft.

Es ist bereits mehr als vier Jahre her, da verkauften Brian Acton und sein Mitbegründer Jan Koum den Messaging-Service Whatsapp für 22 Milliarden Dollar an Facebook. Es war eine der erstaunlichsten Übernahmen des Jahrhunderts. Vor zehn Monaten verließ Acton Facebook, verzichtete auf Anteile im Wert von 850 Millionen Dollar und sagte, er wolle sich auf eine gemeinnützige Tätigkeit konzentrieren.

Dann im März, als Details des Cambridge-Analytica-Skandals bekannt wurden, setzte er einen Tweet ab, der schnell viral ging und seine ehemaligen Arbeitgeber schockierte: „Es ist Zeit. #deletefacebook.“ Es folgte keine Erklärung, keine weiteren Tweets. Jetzt spricht er im Interview mit dem US-Magazin Forbes zum ersten Mal öffentlich über die Geschehnisse. 

Whatsapp sollte Geldmaschine werden

Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg (COO von Facebook) hätten ihn dazu gedrängt, Whatsapp endlich zu monetarisieren. Also zu der Geldmaschine zu machen, die sie sein sollte. Dabei soll Zuckerberg die Verschlüsselung infrage gestellt haben, um gezielte Anzeigen schalten und kommerzielles Messaging erleichtern zu können. Für Acton, der die Verschlüsselung selbst mitprogrammiert hatte, untragbar.

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Acton verließ Facebook ein Jahr vor seiner letzten Tranche ihm zustehender Aktienanteile – damaliger Wert: 850 Millionen Dollar. Die vielleicht teuerste moralische Kündigung der Geschichte. Wenige Monate später folge ihm Jan Koum. „Es war wie, ,okay, nun, ihr wollt diese Dinge tun, die ich nicht tun will. Es ist besser, wenn ich euch aus dem Weg gehe‘. Und das tat ich“, so Acton. Es ist die Art von Problemen, die die Instagram-Gründer gerade dazu veranlasst haben, abrupt aufzuhören. Kevin Systrom und Mike Krieger sollen sich an Facebook und Zuckerberg regelrecht aufgerieben haben.

Es ist auch eine Geschichte, mit der sich jeder idealistische Unternehmer identifizieren kann: Was passiert, wenn man etwas Unglaubliches baut und es dann an jemanden verkauft, der ganz andere Pläne für sein Baby hat? „Ich habe die Privatsphäre meiner User verkauft. Ich habe eine Entscheidung und einen Kompromiss getroffen. Und ich lebe jeden Tag damit“,  resümiert Acton.

Für Zuckerberg „nur eine Produktgruppe“ 

Verkauft an Mark Zuckerberg, an einen der umstrittensten CEOs des Planeten. „Ich kann nicht viel über den Kerl erzählen“, sagt Acton. In einem von insgesamt etwa zehn gemeinsamen Meetings habe ihm Zuckerberg unromantisch klargemacht, dass Whatsapp, das innerhalb des Facebook-Universums einen gewissen Grad an Autonomie innehatte, „lediglich eine Produktgruppe für ihn war, wie Instagram“.

Whatsapp habe Zuckerberg zunehmend frustriert, sagt Acton. Die Kombination von Facebook und WhatsApp sei von Anfang an ein „Head-Scratcher“ gewesen. Facebook besitzt eines der weltweit größten Werbenetzwerke – Koum und Acton hassen Werbung. Der Mehrwert von Facebook für Werbetreibende ist, wie viel Facebook über seine Nutzer weiß. Die Gründer von Whatsapp waren Pro-Privacy-Enthusiasten, die der Meinung waren, dass ihre Verschlüsselung ein wesentlicher Bestandteil ihres Wachstums war.

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Facebook, sagt Acton, habe schließlich angefangen, zwei Wege zu verfolgen, um mit Whatsapp Geld zu verdienen. Erstens, indem gezielte Werbung in der neuen Statusfunktion von Whatsapp angezeigt wird. Actons Motto bei Whatsapp hingegen war „Keine Werbung, keine Spiele, keine Tricks“ – ein direkter Gegensatz zur Mutterfirma, die 98 Prozent ihrer Einnahmen aus Werbung erzielt. Ein weiteres Motto, „Nimm dir die Zeit, es richtig zu machen“, stand ebenfalls in starkem Kontrast zu Zuckerbergs „Move fast and break things“ („Bewege dich schnell und zerstöre Dinge“). 

Zusätzlich wollte Facebook Business-Tools verkaufen, womit Firmen mit Whatsapp-Usern chatten können. Sobald Unternehmen an Bord waren, hoffte Facebook, ihnen zusätzliche Analyse-Tools verkaufen zu können. Das Problem war die wasserdichte End-to-End-Verschlüsselung von Whatsapp, die sowohl Whatsapp als auch Facebook davon abhielt, Nachrichten zu lesen. Obwohl Facebook nicht geplant hatte, die Verschlüsselung zu knacken, fragten und „sondierten“ die Manager nach Möglichkeiten, Unternehmen in einer verschlüsselten Umgebung analytische Einblicke in Whatsapp-Nutzer zu bieten.

Werbung auf Whatsapp ab 2019

Ein Whatsapp-Sprecher bestätigte unlängst, dass Whatsapp im nächsten Jahr damit beginnen werde, Anzeigen in seiner Statusfunktion zu schalten. Allerdings würden „die Nachrichten durchgängig verschlüsselt bleiben.“ Acton seinerseits hatte vorgeschlagen, Whatsapp durch ein Metered-User-Modell zu monetarisieren. Dass man beispielsweise einen Zehntel eines Cents aufladen müsse, nachdem eine bestimmte Anzahl von kostenlosen Nachrichten verbraucht war. „Man baut es einmal, es läuft überall in jedem Land“, sagt Acton. „Man braucht keinen anspruchsvollen Außendienst. Ein sehr einfaches Geschäft.“

Sandberg lehnte Actons Plan ab. „Ihre Worte waren: ‚Das lässt sich nicht skalieren.‘“ Ein Klassiker aus der Silicon-Valley-Bibel. Und das alles, obwohl der Facebook-Gründer Acton und Koum vor der Übernahme zugesichert habe, dass sie für die nächsten fünf Jahre „Nulldruck“ wegen Monetarisierung kriegen würden.

„Sie sind Geschäftsleute, gute Geschäftsleute. Sie repräsentieren nur eine Reihe von Geschäftspraktiken, Prnzipien und Ethik sowie Richtlinien, mit denen ich nicht unbedingt einverstanden bin“

Schließlich kam es, wie es kommen musste. Zuckerberg rief Acton in sein Büro, ein Anwalt war anwesend. Es ging um die Monetarisierung und um eine Klausel in Actons Vertrag. Die hätte es ihm und Koum erlaubt, frühzeitig alle vereinbarten Aktienanteile zu bekommen, sollte Facebook ohne Einverständnis der Whatsapp-Gründer Monetarisierungsmaßnahmen umsetzen. Das Rechtsteam von Facebook war allerdings der Meinung, dass Whatsapp solche Initiativen lediglich „untersucht“ und nicht „umgesetzt“ habe. Zuckerberg seinerseits hatte eine einfache Botschaft: „Er sagte mir: Das ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass du mit mir redest.“

Anstatt nun mit Anwälten anzutanzen oder zu versuchen, einen Vergleich mit Verschwiegenheitsklausel zu vereinbaren, beschloss Acton, nicht zu kämpfen. „Am Ende des Tages habe ich meine Firma verkauft“, sagt er. „Ich bin ein Sell-Out. Ich muss das eingestehen.“ Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns auch eingestehen: Es ist Zeit. #deletewhatsapp. 

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de

Bild: Getty Images / Justin Sullivan / Staff